(c) Pester Lloyd / 01 - 2012
NACHRICHTEN 02.01.2012
Es lebe die Republik! -
Zehntausende demonstrierten in Ungarn
Mehrere zehntausend Menschen demonstrierten am Montagabend in Budapest gegen die Orbán-Regierung und die neue Verfassung, die zu gleicher Zeit mit
einem offiziellen Staatsakt in der Oper gefeiert wurde und von den Demonstranten als “Ende der Republik” und nur “einer Partei dienlich”
abgelehnt wird. Die Polizei war mit einem Großaufgebot zugegen, einige Neonazis versuchten die Menge zu provozieren. Der Live-Bericht unserer Reporter vor Ort in der Nachlese:
Update 3.2.:
Einen stattlichen Bock hat mal wieder das staatliche Fernsehen geschossen. Anstelle von
zehntausenden Demonstranten, zeigten die Abendnachrichten leere Straßen. Angeblich sei das Kamerateam im Verkehr stecken geblieben, entschuldigte sich MTV für den
“fachlichen Fehler” und daher war die Demo schon aus. Die Collage zeigt links die Bilder des offiziellen Berichtes des Staatsfernsehens zu den “Demonstrationen vor der Oper”,
rechts die Realität.
Die Regierung reagierte wie gehabt auf die Proteste. Orbáns Sprecher befanden, dass es
sich um 5.000 bis 8.000 Verwirrte handelt, die die Wahlniederlage der Sozialisten noch immer nicht verwunden haben. Gabrielle Selmeczi, einst Beauftragte für die “Sicherheit
der Renten”, heute Parteisprecherin, zieh die sichtlich ruhigen und friedlichen Demonstranten, sie würden gar zu Straftaten aufrufen und die demokratischen
Verhältnisse in Ungarn verhöhnen. Die LMP übte Kritik an der Polizeitaktik, die mehrere Übergriffe von Neonazis auf Demonstranten nicht verhindern konnte.
Der Andrássy Boulevard voll mit Demonstranten. Foto: MTI
Videomitschnitt der Demo:
19:56 Uhr: Mit dem Ruf “Es lebe die Republik!” wird die Veranstaltung beendet, die
Menge zerstreut sich allmählich.
19:53 Uhr:
Die Moderatorin berichtet, dass das Staatsfernsehen in seiner Live-Berichterstattung vom
Staatskakt lediglich mitgeteilt hat, dass “eine Demonstration neben der Oper stattfindet, die Polizei eine Absperrung errichtet hat.” Die Organisatoren bitten um einen friedlichen
Abgang der Demonstranten über die Andrássy út Richtung Oktogon. Die Demonstranten mögen ein Beispiel für Zivilisiertheit geben.
19:48 Uhr:
Die Polizei hat mittlerweile sämtliche Zugänge zur Andrássy út gesperrt.
19:45 Uhr:
Die Moderatorin des Abends sagt, dass von der Demo ein wichtiges Zeichen nicht nur für
Ungarn, sondern auch in die Welt ausgeht: Ungarn ist kein Volk von 10 Millionen willenlosen Schäfchen und besteht auch nicht aus 10 Millionen wildgewordenen
Schweinchen (Redewendung). Man werde für die Demokratie kämpfen. Dann spricht der ehemalige Chef der aufgelösten Medienbehörde ORTT und Dozent für Innenpolitik, László
Majtényi, der der Verfassung aufgrund ihres Entstehungsprozesses die Legitimität abspricht, was mit intensiven Sprechchören von der Menge bejubelt wird. “Orbán führt das Land ins Chaos.”
Foto: www.origo.hu
19:38 Uhr:
Es spricht der Methodisten-Pfarrer Gábor Iványi. Er hofft, dass Gott die ungarische
Republik schützen möge.
19:30 Uhr:
Die Veranstalter sprechen mittlerweile von “mehreren zehntausend Teilnehmern”. Die Reden werden mit “Es lebe die Republik!” begrüßt. Redner weisen daraufhin, dass die
Menge nicht einmal mehr von “diesem Staatsfernsehen” ignoriert werden kann.
19:25 Uhr:
Die Staatsspitze ist vor das Opernhaus vorgefahren, lautstarke Buhrufe aus der Menge der
Demonstranten. Der Historiker Zoltán Ripp erläutert, warum die Politik der Orbán-Regierung als antidemokratisch einzustufen ist und beschwört die “Geburtsstunde
eines neuen demokratischen Widerstands”.
19:20 Uhr:
Die Polizei wird sichtlich nervös und hat die Absperreihen hinter der Bühne der Gegendemo
verdoppelt, da die ersten offiziellen Gäste der Staatsgala vorgefahren werden. Rund einhundert Demonstranten befinden sich zwischen Oper und gegenüberliegender
Balettschule. Auf der Bühne: der Maler Miklós Szücs zählt der Regierung in ruhigen Worten ihre gesamten Sünden auf...
19:15 Uhr:
Szolidaritás-Chef Kónya forderte den Rücktritt von Orbán, nannte die Verfassung ein
“oranges Phantom” (orange ist die Farbe der Regierungspartei Fidesz) und das Staatsoberhaupt einen “Präsidenten ohne Republik”. Aber “die ungarische Republik gibt es noch.”
Derweil trafen in der Nagymezö utca einige Demonstranten und Neonazis aufeinander, es
kam zu einer kleineren Schlägerei.
19:10 Uhr:
An der Ecke Andrássy út / Nagymezö utca liefern sich Demonstranten und Neonazis
Schreigefechte. Letztere beschimpfen die Protestierer mit “Judenschweine”, von dort kommt “Nazis raus!” “Fideszsklaven!” u.ä., zurück. Die Polizei trennt beide Gruppen
mühsam, was auch dazu führt, dass der Zugang auf die Andrássy fast unmöglich geworden ist.
Auf der Bühne spricht unter großem Beifall der
charismatische Redner Péter Kónya, einer der Mitbegründer der Szolidaritás-Bewegung, die sich bewusst an die Idee der polnischen Solidarnosc anlehnt. Kónya, bis vor kurzem Chef
einer Gewerkschaft der Militärangehörigen und Offizier, hat kürzlich die Armee aus Gewissensgründen verlassen.
18:55 Uhr:
Die Polizei hat zusätzlich den Zugang über einige
Nebenstrassen nebst der Oper gesperrt, offiziell, um die dortige Gala abzusichern, weil Demonstranten versucht hätte, sich Zutritt zur Oper zu verschaffen. Somit wird aber auch
der Zugang zur Gegendemo erschwert. Gleichzeitig sind an den Nebenstraßen schwerst ausgerüstete Polizisten mit Pfefferspray aufmarschiert, greifen aber noch nicht ein. Auf
der Bühne werden mehrere Dutzend Organisationen verlesen, die gemeinsam zu dieser Demo aufriefen. Bei linken Veranstaltungen traditionell ein längeres Prozedere...
18:44 Uhr:
Das Aufkreuzen der Nazis an der Peripherie der Demo wird mit einem kräftigen “Nazis
raus!”-Chor aus tausenden Kehlen kommentiert. Derweil wird auf der Bühne die Inauguration der Verfassung satirisch aufgearbeitet.
18:35 Uhr:
Unsere Leute vor Ort sowie die Veranstalter schätzen “mindestens 10.000 Teilnehmer”
und der Andrássy Boulevard füllt sich immer noch weiter. Die Polizei ist in voller Ausrüstung angetreten. Viele Transparente werden gezeigt, trauernd: “Ungarische
Republik: 1989-2011” bis kämpferisch: “Genug ist genug.” - “Orbán muss weg!”
Das offizielle Gegenprogramm: Premier Orbán vor einem Historiengemälde in der Nationalgalerie.
Foto: MTI
18:30 Uhr:
Die Demo beginnt mit einem Auftritt des Liedermachers und Dichters János Bródy.
18:17 Uhr:
Rund 150 Neonazis sind auf Höhe Liszt Ferenc tér mit Árpádflaggen und in
szenetypischem Outfit aufmarschiert, verhalten sich bisher ruhig.
18:14 Uhr:
Bereits vor dem offiziellen Beginn der Demo haben sich
tausende Menschen in der Andrássy út versammelt. Die Polizei hält sich in Nebenstraßen in Bereitschaft. Von den angekündigten Provokationen rechter Gruppen ist
bisher noch nichts zu bemerken gewesen. Die Demonstraten vertreiben sich die Zeit mit Musik und Silvestertröten. Vor der offiziellen Regierungs-Gala
haben sich hochrangige Vertreter der Regierung in der Nationalgalerie eingefunden, um eine “Kunst”-Ausstellung mit Auftragswerken zu Ehren der
neuen Verfassung zu eröffnen. Ein paar Highligths der neuen Staatskunst gibts hier: http://pusztaranger.wordpress.com/2011/11/07/staatskunst-ist-auc
h-kunst-die-letzten-150-jahre-ungarischer-geschichte-in-zeitgenossi schen-olgemalden/
16:22 Uhr:
Ungarische Newsportale melden, dass
rechtsextreme Gruppen in unmittelbarer Nähe zur Demo eine Gegenveranstaltung planen. Motto: die Straße gehört uns. Mehr dazu bei Pusztaranger: http://pusztaranger.wordpress.com/.
Derweil stehen an der Oper die ersten
weiträumigen Absperrungen, das Staatsfernsehen möchte wohl schöne Bilder haben, die nicht durch Oppositionelle gestört werden. Spart man sich später die Retusche unliebsamer Personen... Foto: D-Day live
16:17 Uhr:
Bereits vor dem Jahreswechsel und auch zu Neujahr gab es Proteste und Demonstrationen
aus verschiedenen Anlässen. Hier mehr dazu. Kurz vor Weihnachten protestierten
Abgeordnete und später tausende Bürger gegen eine ganze Reihe “Kardinalsgesetze”. Hier. Auch die Vorkommnisse beim staatlichen Rundfunk waren Anlass für Eskalationen. Hier.
16.00 Uhr:
Etliche oppositionelle Gruppen (4K!), Bürgerrechtler, Gewerkschaften (Szolidaritás),
Internet-Aktivisten, linke und liberale Parteien haben für den heutigen Montag, ab 18.30 Uhr zu einer Demonstration vor der Staatsoper aufgerufen. Im Opernhaus wird zur
gleichen Zeit mit einer Staats-Gala die neue Verfassung intrhonisiert, die von den Demonstranten als “illegitimes Einparteienmachwerk” abgelehnt und deren Wirkung auch
von Rechtsexperten als demokratiegefährdend zingestuft wird. Organisatoren gaben das Motto aus: “Die ungarische Republik gibt es noch!”, in Anspielung auf die Tatsache, dass
der Name Republik per 1.1. aus dem Landesnamen gestrichen wurde. Die Protestierer wollen zeigen, dass es auch ein anderes, ein demokratisches Ungarn gibt und Widerstand
erwecken. Gleichzeitig ist auch vor der ungarischen Botschaft in Berlin eine Solidaritätskundgebung geplant.
Zur Einordnung des Geschehens in Ungarn:
Überall ein bisschen Ungarn Versuchslabor "Ungarn 2012", Europa und die Medien - KOMMENTAR
Hintergründe zur neuen Verfassung: Themenseite
red.
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