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(c) Pester Lloyd / 01 - 2012  POLITIK 02.01.2012

 

Vorboten des Scheiterns

Die EU verliert allmählich die Geduld mit Ungarn

Der mediale Schlagabtausch zwischen Ungarn und der EU ging auch über die Feiertage weiter, der Ton wurde verschärft, die Atmosphäre ist eisiger als das Wetter. Wo früher direkt gesprochen wurde, werden heute nur noch Depeschen ausgetauscht. Derweil sackt der Forint auf ein Rekordtief, die Staatsschulden steigen auf ein 16-Jahres-Hoch und Staatsanleihen sind so teuer wie seit 2008 nicht mehr. Auch Brüssel zweifelt allmählich am Realitätssinn der Regierung in Budapest. Beide Seiten spielen bereits Notszenarien durch, die Bürger auch.

“Schau, Viktor: da links hängt der Papandreou, rechts Dein Freund Berlusconi. Wenn Du so weitermachst, hängen wir Dich bald in die Mitte...” Foto: EU, Worte: PL

Hinsichtlich der Haltung Ungarns gegenüber den rechtlichen Bedenken der EU zum neuen Nationalbankgesetz hat sich ein weiteres Mal EU-Kommissionspräsident Barroso mit einem Brief bei Premier Orbán gemeldet (hier mehr zum ersten Schreiben). Das Verhältnis der beiden, das während der Ratspräsidentschaft noch als ausgesprochen gut beschrieben wurde, hat sich dabei merklich abgekühlt, auch der Umstand, dass man brieflich miteinander verkehrt, ist ein Zeichen dafür, dass dem EU-Kommissionspräsidenten längst der Geduldsfaden mit der ungarischen Extrawurst gerissen ist. Barroso scheint allmählich aufzugehen, dass Orbán nicht nur ein Problem für die Unabhängigkeit der Zentralbank darstellt, sondern dessen ständiges egomanes Aus-der-Reihe-tanzen auch für das Funktionieren der gesamten EU negative Auwirkungen haben kann.

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Premier Orbán ficht derart Grundsätzlichs nicht an, er bleibt bei seiner naiven Darstellung, dass Ungarns Probleme vom Ausland "der Eurozone" und einigen bösartigen Spekulanten verursacht wurden und man sich im "Freiheitskampf" von den internationalen Finanzmärkten befinde. Er stellte es bereits so dar, dass der "IWF eine gewöhnliche Bank, unsere Bank" ist, von der man sich nichts diktieren lassen werde. Ungarn brauche das Geld nicht, es ginge nur um ein "vorbeugendes Sicherheitsnetz" falls die Eurozone, die ihre Probleme nicht in den Griff bekommt, gänzlich zum Stillstand kommt. Dass es vor allem seine planlose wie löchrige Wirtschafts- und Finanzpolitik ist, die Ungarn von einer sehr schlechten zu einer katastrophalen Situation manövrierte, wird in Budapest geleugnet.

Leugnen, ablehnen, anschwärzen

Barroso mahnte Orbán jetzt in seinem zweiten Schreiben nach der vorzeitigen Abreise der IWF-Delegation, dass "die Zeit gekommen ist, endlich wieder konstruktiv zu werden", um "jede Eskalation zu vermeiden", eine Formulierung, die im diplomatischen Sprachgebrauch nicht weit von einer Drohung angesiedelt ist. Brüssel untersucht das gerade verabschiedete Zentralbankgesetz nun "tiefer" auf die Frage, ob die Uanbhängigkeit der Entscheidungen des Zentralbankchefs und des Währungsrates gewahrt bleibt oder ob, wie das die Regierung in Budapest wünscht, ein direkter Zugriff auf die Zinspolitik und die Währungsreserven durch die Politik möglich wird.

Orbán und sein Fraktionschef Lázár machten bereits klar, dass Ungarn der EU in 90% der Vorbehalte durch Last-Minute-Änderungen am Gesetz entgegengekommen sei, mehr sei nicht drin. - Intern, so versichern unsere Quellen, spricht man in Brüssel bereits von einem möglichen gänzlichen Scheitern der IWF-Verhandlungen und arbeitet sogar an Plänen, wie mit einem zahlungsunfähigen Ungarn umzugehen sei. Entwickeln sich die Dinge zum worst case, wird damit schon im Frühjahr gerechnet. - Dabei versteht kein Mensch mehr, wahrscheinlich nicht mal Orbán selbst, wohin sein Kampf mit den Windmühlen führen soll oder ob es dabei nur noch um die Besätigung des eigenen Egos geht, dem IWF widerstanden zu haben, koste es was es wolle...

Am 11. Januar nun soll der ungarische Verhandlungsführer Tamás Fellegi, der für diese Aufgabe von nationaler Tragweite sogar seinen Ministerposten zurückgelegt hat, in Washington mit den IWF-Vertretern zusammenkommen. Eigentlich sollten zu der Zeit schon die regulären Gespräche in Budapest stattfinden.

Derweil wurde bekannt, dass Vizepremier und Justizminister Tibor Navracsics versucht hat, die EU-Kommissarin und Vize-EU-Kommissionspräsidäntin Viviane Reding bei ihrem Chef anzuschwärzen. Nachdem diese offizielle Informationen über die Reformen des Justizwesens (Unterstellung der Richterschaft unter Quasi-Parteiaufsicht) sowie das neue Amt für Datenschutz und die "Unabhängigkeit" seines Leiters angefordert hatte, mutmaßte Navracsics in seinem Antwortschreiben an Barroso, dass die Kommissarin für diese Art Anfragen womöglich gar nicht zuständig sei, ihr die "Autorität" fehlt.

Forint bald wieder auf Rekordtief

Aus finanztechnischer Sicht startete das Jahr 2012 für Ungarn sehr ungünstig. Der Forint notierte am Montagmorgen mit einem mittelwert von 315 Forint zum Euro, unweit seines Rekordtiefs, was neben den privaten Schuldnern auch den Staatshaushalt weiter zusätzlich belastet. Der könnte sein Defizitziel verfehlen oder nur auf Pump erreichen, Staatsanleihen werden nahezu unverkäuflich.

Zwar sind die Defizitzahlen für 2011 noch nicht berechnet, doch die Ergebnisse bis Ende September lassen befürchten, dass Ungarn sein selbst gestecktes und wieder betontes Ziel von unter 3% Defizit zum BIP für 2011 nur durch den massiven Einsatz von für 2012 gedachte Reserven, budgetäre Umwidmungen (Rentenbeiträge) und die Zubuchung von Einmaleffekten (Sondersteuern) sowie den Aufschub von Zahlungen (Zuschüsse für Staatsbetriebe etc.) erreichen kann. Dies bedeutet wiederum für 2012 noch weitere Belastungen, obwohl selbst die überoptimistisch rechnende Regierung hier schon mehrmals nachbessern musste. Das Problem dabei: aufgrund der sprunghaften, irrationalen Politik von Premier Orbán, lässt sich ein Forintkurs nicht einmal mehr annähernd verlässlich vorhersagen.

Forintkurs machte Schuldenreduzierung zunichte

Zu Ende September erreichte die Quote der Staatsverschuldung 82,6% zum BIP und lag damit so hoch wie seit 16 Jahren nicht mehr. Dabei vermeldete die Regierung noch Ende des zweiten Quartals durch die Einbuchung der zwangsenteigneten privaten Rentenbeiträge (insgesamt wurden auf diesem Wege immerhin 9,6% des BIP von privat auf staatlich `umverteilt`) eine "Reduzierung der Schuldenquote um mehrere Prozentpunkte", auf zunächst 76,7%, machte sich diese Rate durch ihre verfehlte Wirtschaftspolitik und die katastrophale Kommunikation mit den Märkten und dem IWF selbst wieder zu nichte, denn die Forintabwertung entspringt der Einschätzung, dass die Regierung eine an der Realität vorbeiführende Fiskalpolitik führt. Die Verfassung schreibt eine Schuldenbremse von 50% des BIP vor, diese soll bereits 2016 erreicht sein. Das Defizitziel für 2012 liegt bei 2,49%, allerdings liegt dem Budget ein durchschnittlicher Forintkurs von 299 zu Grunde, vor wenigen Tagen von 268 korrigiert.

Staatsanleihen bald bei 10% Zinsen

Problematisch entwickelt sich, aufgrund der sturen Haltung der Orbán-Regierung gegenüber dem IWF und der EU hinsichtlich des neuen Nationalbankgesetzes, auch die Verzinsung von ungarischen Staatsanleihen. Der Schuldendienst ÁKK bietet vor allem längerfristige Obligationen an wie sauer Bier, bei fünfjährigen Anleihen stiegen die Zinsen von zuvor rund 8,6 auf 9,7%, die die ÁKK aber nicht berappen wollte, weswegen einige Auktionen abgesagt oder gekürzt worden sind. Sowohl der Forintkurs als auch die Zinsaufschläge sind ein klarer Hinweis darauf, dass "die Märkte" Ungarn zu einem Abkommen mit dem IWF zwingen wollen. Auch die Herabstufungen durch Ratingagenturen verfolgten diesen Zweck, die privaten Gläubiger wollen so durch staatliche bzw. mutinationale Unterstützung die Zahlungssicherheit ihres Schuldners absichern lassen.

Staat und Sparer bereiten sich auf "Notstand" vor

 

Die in Ungarn tätigen Banken, ausländische wie einheimische, werden von der Regierung derweil immer unverhohlener "gebeten" doch Staatsanleihen zu zeichnen, indirekt mit dem Hinweis darauf, dass man nur so weitere "unorthodoxe Maßnahmen" zur "Sicherung der Zahlungsfähigkeit des Landes" verhindern könnte. Private, wohlhabendere Ungarn, bringen ihr Geld massenhaft ins Ausland, vor allem die Österreicher machen damit wieder einmal ein gutes Geschäft, in Eisenstadt und Wien begrüßt man täglich Hunderte neuer Kunden wie auch alte Bekannte. Premier Orbán hatte bereits vor Monaten laut darüber nachgedacht, wie man die für den Staat brachliegenden Sparguthaben für die Staatsfinanzen einsetzen könnte. Eine eher weniger als mehr freiwillige "Volksanleihe" oder das "Einfrieren" bestimmter Beträge spukt bereits als konkrete Idee durch die Flure der Fidesz-Zentrale...

red.

 

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