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(c) Pester Lloyd / 01 - 2012  POLITIK 04.01.2012

 

Das Volk als letzte Hoffnung

Wie die Partei LMP die Einparteinherrschaft in Ungarn überwinden will

Die neujahrliche Plakataktion der parlamentarischen Oppositionspartei LMP wird für einige Aktivisten ein juristisches Nachspiel haben. Doch die grün-liberale Partei plant bereits weitere spektakuläre Aktionen, um in Ungarn einen "neuen Widerstand" gegen die autokratische Regierung Orbán zu befördern. Notfalls wolle man "gegen die Verfassung" handeln und die Fidesz-Allmacht soll mit einem Referendum gestoppt werden.

Nachdem sich am 23. Dezember einige LMP-Abgeordnete an die Einfahrt des Parlaments ketteten, weil das Haus nach einer Änderung der Debattenregelen aus ihrer Sicht endgültig zu einem "Marionettentheater" verkommen ist, konnte man am 1. Januar an einigen prominenten Plätzen, allen voran dem Heldenplatz, Statuen mit Plakaten entdecken, die die Aufschrift "Neuer Widerstand" trugen.

Vor allem am Heldenplatz, auf dem den Árpádenfürsten, den Helden der mythisch verbrämten Landnahme gehuldigt wird, schritt die Polizei ein, um die Personalien der Aktivisten aufzunehmen. Drei von ihnen drohen nun Anklagen wegen mutmaßlicher Sachbeschädigung, Landfriedensbruch, Störung der öffentlichen Ruhe und womöglich sogar "Herabwürdigung des Gedenkens Verstorbener". Allerdings wird sich die Staatsanwaltschaft schwer tun, die Meinung, z.B. eines Franz Liszt oder Béla des Eroberers einzuholen, ob sie diese Aktion als ihrem Andenken unwürdig betrachten oder nicht. Derweil ermittelt noch die zuständige Bezirkspolizei.

Die verkopfte grün-liberale Partei gibt sich wieder kämpferischer

Die LMP-Mitglieder wählten Statuen als Medium, um zu verdeutlichen, dass "die neue Verfassung die Macht der Regierungspartei in Stein gemeißelt" habe, so eine Sprecherin. Auch die Aktion am 23. sei symbolischer Natur gewesen, die LMP wollte "als Brücke zwischen Parlament und Bürger" auftreten, was allerdings in der Verhaftung mehrerer Abgeordneter endete und medial als voller Erfolg verbucht werden konnte, denn das simplifizierte "Oppositionelle in Ungarn verhaftet" wurde vor allem in westlichen Medien gern genommen. Auch Ex-Premier Gyurcsány spielte weiter seine Rolle als Mitesser der neuen ungarischen Oppositionsbewegung, reiste ungefragt an und ließ sich medienwirksam von Polizisten abführen.

LMP-Chef András Schiffer (Foto unten), wie überhaupt seine Partei, gibt sich in letzter Zeit deutlich kämpferischer. Lähmte sich die mit großen Hoffnungen gestartete Partei (LMP = Abkürzung für: "Eine andere Politik ist möglich") seit den Wahlen 2010 vor allem durch interne Profilierungsvorgänge und die angestrengte Abgrenzung zu anderen linken Oppositionsgruppen, treten die Grün-Liberalen seit einigen Wochen wieder deutlich kämpferischer auf, was sich auch in den Umfragewerten ersehen lässt. Auch die manchmal mangelnde Abgrenzung von Rechtsaußen durch einige "Pragmatiker" in der Parteispitze kam bei der Wählerschaft gar nicht gut an.

Während die internen Querelen die Partei, die 2010 mit 7,5% auf Anhieb - und damals doch recht überraschend - den Sprung ins Parlament schaffte, zwischenzeitlich auf unter 5% brachten, wird sie mittlerweile von den verschiedenen Meinungsumfragen wieder zwischen 6 und 9% gesehen. Doch damit scheint das Potential dieser hoffnungsvoll gestarteten Gruppe bald erschöpft, die Masse des zunemhend enttäuschten Wahlvolkes, das zeigen die Zahlen deutlich, wendet sich von der Politik ganz ab oder den Ultrarechten zu.

Mehrheitswillen des Volkes spielt zukünftig keine Rolle mehr

Schiffer sagte, dass die neue Verfassung die "Demokratie in Ungarn" aushöhlt. So wird es, zum Beispiel, in Zukunft unmöglich sein, durch eine absolute Mehrheitsentscheidung Änderungen der Politik und sei es auch nur der Steuersatz der Einkommenssteuer, vorzunehmen, was das Land lähmen würde und zudem der demokratischen Willensbildung zuwiderläuft. Man sei daher bereit, notfalls auch "gegen diese Verfassung" zu handeln. Orbán habe im letzten Jahr "die Verfassungsmäßigkeit des Landes liquidiert" und einen Zentralismus geschaffen, der durch keine ausgleichenden oder korrigierenden Instiutionen mehr kontrolliert werden kann.

Als Beispiele sind hier die Teilentmachtung und die Richterbereinigung beim Verfassungsgericht und die neue Aufsicht über die Richterschaft insgesamt anzuführen, weiterhin die Besetzung sämtlicher staatlicher Schlüsselstellen mit Parteisoldaten, ein neues fidesz-freundliches Wahlrecht (Ziehung der Wahlbezirke), das - 2010 angewandt - die 2/3-Mandatsmehrheit des Fidesz zu einer Dreiviertelmehrheit gemacht hätte. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung das Land nach Schiffers Meinung direkt in den Bankrott treibt, weil die Regierung Luftschlösser mit nicht existenten Zahlen baut.

LMP wird ohne Öffnung nicht erfolgreich sein

Schiffer beklagt, dass sich die Nationale Wahlkommission auffallend viel Zeit mit der Bearbeitung der von LMP angestrengten verbindlichen Referenden nimmt. Die Partei hatte viele soziale Grundfragen zur Abstimmung vor dem Volk beantragt und hofft, sobald die Zulassung durch die Behörde erfolgt (was keine Selbstverständlichkeit ist) auf eine breite Kooperation vor allem mit den Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen.

Mit anderen Parteien aber plane man derzeit keine gemeinsamen Aktivitäten, eine fragwürdige Strategie, zumal neue, außerparlamentarische Bewegungen und Parteien verstärkten Zulauf registrieren und allen klar ist, dass nur eine Aktionseinheit aller demokratischen Kräfte eine Chance gegen die rechte Hegemonie hat.

 

Die (parteilich) besetzte Wahlkommission beschäftigt sich nun schon seit Mai 2011 mit den "Formalien" um die angestrebten Referenden der LMP. Einige, angeblich "nicht eindeutige" Fragestellungen sind bereits ein Fall für das Verfassungsgericht, dessen Zusammensetzung sich in den nächsten Monaten signifikant verändern wird. Somit stellt sich die Frage, ob das "neue System" noch mit dessen eigenen Mitteln bekämpft werden kann bald wieder und dann noch grundsätzlicher. Insgesamt sind die Aussichten, mit der LMP einen Politik- und Machtwechsel herbeizuführen eher als bescheiden zu beurteilen.

Hintergrund:

Die andere Mehrheit - Mai 2011
Opposition in Ungarn stellt direkte Demokratie auf den Prüfstand
http://www.pesterlloyd.net/2011_21/21lmpreferendum/21lmpreferendum.html

Solidarität statt Gehorsam - Dez. 2011
Ein Offizier will die Demokratie in Ungarn retten
http://www.pesterlloyd.net/2011_49/49konyaszolidaritas/49konyaszolidaritas.html

Keine Umarmung - Nov. 2011
Die linke Opposition in Ungarn bleibt uneins - Wer soll dann Fidesz schlagen?
http://www.pesterlloyd.net/2011_48/48lmpMSZP/48lmpmszp.html

Die Republik der Bürger - Juni 2011
Bürgerproteste und neue Opposition in Ungarn - Teil 2: die LMP
http://www.pesterlloyd.net/2011_25/25republik2/25republik2.html

red.

 

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