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(c) Pester Lloyd / 01 - 2012  POLITIK 04.01.2012

 

"Von der Demokratie in die Diktatur"

Ungarn braucht Hilfe: Offener Brief von Oppositionellen

Das verzweifelte Ungarn müsse eine Warnung für Europa sein. Eine Gruppe von Dissidenten der einstigen stalinistischen und pseudosozialisten Diktatur in Ungarn, unter ihnen viele bekannte Intellektuelle und Ex-Politiker, darunter nicht wenige Verantwortungsträger der links-liberalen Vorgängerregierungen, wandten sich in einem offenen Neujahrsbrief an ihre Landsleute und die europäische Öffentlichkeit, um vor den Entwicklungen in Ungarn zu warnen. Dabei listeten sie die Sünden der Orbán-Regierung feinsäuberlich (aber längst nicht vollständig) auf und zeihen den Premier, die Errungenschaften der Wende von 1989/90 verraten zu haben.

Leicht gekürzte Übersetzung (Pester Lloyd)

“Niedergang der Demokratie - Aufstieg einer Diktatur

Die Unterzeichner, einst Teilnehmer der Menschenrechts- und Demokratiebewegung, die sich in den 70er und 80er Jahren gegen das kommunistische Einparteiensystem gestellt haben, sind überzeugt davon, dass die ungarische Gesellschaft nicht nur das Opfer der derzeitigen Wirtschaftskrise, sondern auch Opfer seiner eigenen Regierung ist. Die heutige Regierung hat die demokratischen Instrumente aus den Händen derjenigen entfernt, die diese Instrumente zur Verbesserung ihrer Lage verwenden könnten. Während sie hohle patriotische Slogans singt, benimmt sich die Regierung höchst unpatriotisch, in dem sie die Bürger zu Inaktivität und Machtlosigkeit verdammt.

Die verfassungsmäßgige Ordnung in Ungarn ist auf eine kritische Situation gesunken. Mit Inkraftreten der neuen Verfassung zum 1.1.2012, gleichzeitig mit einer Reihe von grundlegenden Gesetzen, versucht die Regierung Orbán den Rechtsstaat zu zerstören, demokratische Kontrollorgane abzuschaffen und betreibt eine Politik der systematischen Ausschaltung autonomer Institutionen, einschließlich jener Einrichtungen der Bürgergesellschaft, die in der Lage wären die Übermacht der Regierung zu kritiseren. Niemals, seit dem Regimewechsel 1989 als die kommunistische Diktatur niedergerissen wurde, hat es in der Region eine derartige Machtkonzentration gegeben, wie im Ungarn von heute.

Einrichtungen, die in der Lage wären, die Tätigkeit der Regierung zu kontrollieren, ereilte alle dasselbe Schicksal: das Fidesz entzog diesen Einrichtungen ihre Unabhängigkeit, erpresst sie, um überleben zu können, zieht das professionelle Personal ab und gestaltet sie durch unrechtmäßgige Anweisungen so um, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Regierungsarbeit zu kontrollieren oder zu korrigieren. Im Gegensatz zu ihrer Originalfunktion dienen sie am Ende als Stütze einer Autokratie. Mit dem Entzug der "checks and balances" wurde der ganze Staat zu einem Diener der Regierung, sogar des Ministerpräsidenten.

Das Parlament und der Präsident lassen sich alles vom Parlament diktieren, durch radikalen Personalwechsel und kompetenzbeschneidende Gesetze wurden die Generalstaatsanwaltschaft, der Oberste Gerichtshof und das Verfassungsgericht verlängerte Arme der Regierung. Während die Kommunalverwaltungen den besseren Teil ihrer Zuständigkeiten verloren haben, fungieren halbstaatliche Einrichtungen wie der Rechnungshof, die Nachrichtenagentur, die Akademie der Wissenschaften, der nationale Kulturfonds heute faktisch als reine Regierungsbehörden. Einspruchseinrichtungen wurden abgeschafft.

1. Legislative

Fidesz schuf ein System, dass echte Debatten zum Gesetzgebungsprozess innerhalb und außerhalb des Parlamentes beendet hat. Durch die Aussperrung des Souveräns machte man das Parlament zu einem virtuellen Ein-Parteien-Haus, in dem nicht einmal mehr ein einwandfreies parlamentarisches Protokoll geführt wird. ... Die Existenz einer parlamentarischen Opposition ist nurmehr eine Formalie, Gesetze können ohne nennenswerte Debatte durchgewunken werden.

2. Exekutive

Seit die meisten Gesetzesvorschläge von Fidesz-Mandatsträgern eingebracht werden, die meistens kein Interesse an einem Konsens haben und oft auch die betroffenen Ministerien, Fachleute und verlässlichen Experten ignorieren, wird klar, dass die Gewaltenteilung nur noch eine Fassade ist, Minister und Ministerien sind nur noch ausührende Organe der Regierungspartei, sie haben ihre Zähne verloren. Der Präsident, eigentlich angehalten, unabhängig von Regierung und Parteien zu agieren und ein lebendes Symbol für die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu geben, unterschreibt prompt alles was auf seinem Schreibtisch landet und unter Missachtung der ihm von der Verfassung zugedachten Rolle, ist er nicht mehr als eine Marionette der Regierung.

3. Judikative

Eine Reihe von gesetzlichen Änderungen belegen die direkten politischen Intentionen, die demokratische Rechtsstaatsprinzipien ignorieren. Das Verfassungsgericht, die letzte Institution zum Schutz des Rechtes wurde Stück für Stück zu einer gewichtslosen Körperschaft degradiert. Die Zahl der Richter wurde erhöht und mit Leuten besetzt, deren Loyalität zur Regierungspartei bekannt ist (einschließlich eines früheren Ministers und eines Parlamentsmitgliedes, beides Fidesz-Mitglieder). Die Zuständigkeit des Gerichtes wurde verringert, das Einspruchs- und Gerichtsrecht für ökonomische Fragen einfach entzogen. Weiterhin wurde die Richterkammer unter direkten politischen Einfluss gestellt. Den Vorsitz hat nun die Frau eines Fidesz-Europaabgeordenten das exklusive Recht, Richter zu ernennen, zu versetzen und anzuweisen, welches Gericht welche Fälle bearbeiten soll. Dazu wurde sie für neun Jahre ernannt und kann nur mit einer 2/3-Mehrheit abgelöst werden, was sie womöglich lebenslang auf ihrem Posten belässt. Während überall die Pensionsgernze angehoben wird, hat man viele führende Richter zur Pensionierung gezwungen. Die Richterschaft wurde existentiell abhängig gemacht. Der Generalstaatsanwalt, der das alleinige Recht hat, zu bestimmen, welche Fälle zukünftig vor den Obersten Gerichtshof gelangen ist ein Politiker der Regierungspartei. Zukünftig können Verdächtige zeitweise von ihrem Rechtsbeistand. Dieses System bedeutet das Ende der unabhängigen Rechtsprechung in Ungarn.

4. Medien

Fidesz versucht sämtliche Medien unter seine Kontrolle oder Aufsicht zu bekommen, um jede Art von unabhängiger, analytischer und kritischer Beurteilung seiner Politik zu verhindern. In diesem Sinne wurden die als unabhängiges Forum gedachten öffentlich-rechtlichen Medien gezwungen, der Regierungspartei dienlich zu sein. Professionalismus wurde durch politische Loyalität ersetzt. Die Nachrichtenerstellung wurde zentralisiert, auf jedem öffentlich-rechtlichen Sender gibt es die selben Nachrichten. Die Nationale Medien- und Telekommunikationsbehörde, geführt von einer Fideztreuen, wurde mit nie dagewesener Macht ausgestattet und hat weitreichende regulatorische und sanktionäre Rechte. Rundfunkfrequenzen und Senderrechte werden nach Gutdünken vergeben, die unabhängigen Medien mit enormen Strafen bedroht, was die Selbstzensur befördert. Druch den drohenden Verlust von Anzeigenaufträgen durch staatliche Unternehmen oder durch Nachteile befürchtende Privatunternehmen riskieren unbotmäßige Medien sogar den Bankrott.

Weiter geht es in dem Schreiben zu Details des neuen Wahlrechtes, die wir
hier schon einmal aufbereitet hatten (Anm.)

In Ungarn ist die freiheitliche Demokratie, wie man sie im Westen kennt, beendet. Die Gewaltenteilung ist nur noch formell in Kraft. Die Regierung handelt antidemokratisch, in dem sie die Unantastbarkeit von Privatbesitz ignoriert, die Selsbtverwaltung der Kommunen beendete und alle Kanäle der Sozialarbeite sowie der allgemeinen und höheren Bildung unter ihre politische Kontrolle brachte. Es ist offensichtlich, dass die totale Umgestaltung der Gesellschaft dazu führen sollen, die Bewohner des Landes unfähig zu machen sich gegen eine diktatorische Macht aufzulehnen. Unter solchen Zuständen wie heute, hätte Ungarn 2004 keine Chance gehabt der EU beizutreten... Leider kann Ungarn so nur weitere Isolation und Hoffnungslosigkeit in der Zukunft erwarten. (...)

Die Anwälte der Demokratie und des Rechtsstaates in und außerhalb Ungarns sollten es nicht hinnehmen, dass ein Mitgliedsland der Europäischen Union universelle Werte abschafft. Auch sollte sich die EU nicht hinsetzen und den Entwicklungen zuschauen, so als wäre sie die Geisel eines vorgestrigen Provinztyrannen. Es ist im Interesse Ungarns und der Europäischen Union gegen den Premierminister von Ungarn aufzubegehren. Die Führer der EU tuen Recht darin, die Integration zu verstärken, nur sollten sie dich nicht auf den Kampf gegen die Finanzkrise beschränken... Auch der Ausschluss sollte nicht nur für ökonomische Gründe angedroht werden, sondern auch für antidemokratische Politik...

Da wir uns selbst gleichzeitig als Bürger Ungarns und Europäer sehen, wünschen wir keinen Streit um Identitäten. Wir weigern uns, unsere "dopplte Staatsbürgerschaft" abzugeben. Wenn wir schon ein Wahl treffen müssen, dann die zwischen Demokratie und Diktatur, so wie wir es in der Zeit der kommunistischen Dikatur taten. Es ist uns klar, dass die Idee eines gemeinsamen Europas als wirtschaftliches Projekt geboren wurde, doch dieses Projekt muss Wunschdenken bleiben, bis ein gemeinsames Wertesystem funktioniert und einforderbar ist. (...)

 

Die diktatorische Macht in Ungarn hat bereits einen Punkt ohne Umkehr erreicht, unter den jetzigen Umständen wird unser Land kaum in der Lage sein aus eigener Kraft auf den Weg des Rechtsstaates zu finden. Was zur Rückkehr zur Demokratie benötigt wird, ist die Einheit der Massen. (...) Nur wenn die Einheit der Massen erreicht ist, können Europa und die Welt, die derzeit ihre Stimme gegen das ökonomische Abenteurertum Orbáns erheben, auch der ungarischen Demokratie helfen. Europa steht selbst an einem Scheideweg. Ungarn ist nur ein trauriges Beispiel, was passieren kann, wenn sich Krisen konzentrieren und versucht wird, ökonomische und soziale Krisen durch autoritäre Haltung und eine Politik der nationalen Isoaltion zu lösen. Anstatt zu Stabilität und Wohlstand, kann eine solche Politik nur zu Konflikten, Unterdrückung und Aufruhr führen. Die verzweifelte Situation des heutigen Ungarns sollte eine Warnung für uns alle sein: wenn Europa Ungarn hilft, wird es auch sich self helfen.

Unterzeichner in alphabetischer Reihenfolge:

Attila Ara-Kovács, Journalist
György Dalos, Schriftsteller
Gábor Demszky, Ex-Oberbürgermeister von Budapest
Miklós Haraszti, früherer OSZE-Repräsentant für Medien und ehem. Abgeordneter
Róza Hodosán, frühere Abgeordnete
Gábor Iványi, Pfarrer, früherer Abgeordneter
János Kenedi, Historiker
György Konrád, Schriftsteller
Bálint Magyar, Ex-Minister für Bildung
Imre Mécs, früherer Abgeordneter
Sándor Radnóti, Philosoph
László Rajk, Architekt, früherer Abgeordneter
Sándor Szilágyi, Schriftsteller”

red.

 

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