(c) Pester Lloyd / 01 - 2012 WIRTSCHAFT 03.01.2012
Versteuert
Die "Flat tax" als Beispiel des Versagens der Regierung in Ungarn
Wen schon der Demokratieabbau in Ungarn nicht stört, sollte sich wenigstens von der Mathematik überzeugen lassen: die Regierung verzettelt sich mit ihrer sogenannten
Flat tax immer mehr. Mit einem unsinnigen Kompensationsmodell und immer neuen Übergangsregelungen sollen die niedrigen Einkommensgruppen "entschädigt"
werden, was das Sytem weder sozial gerechter noch einfacher macht. Doch die Regierung hält an ihrer kostspieligen Geisterfahrt fest, aus ideologischer Sturheit.
Alles sollte einfacher, transparenter, billiger werden. Ist der Steuersatz nur niedrig genug
- und 16% sind sehr niedrig - werden alle ihre Steuern zahlen, werden Arbeitsplätze geschaffen, der Wohlstand kommt. Dieser feuchte Traum der Neoliberalen, der so bisher
nirgendwo funktionierte, wurde auch von der ungarischen Regierungspartei geträumt, die sich zwar national gebärdet, sonst aber dem neoliberalen Modell eines ständisch fixierten
Untertanenstaates huldigt.
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Und zunächst stellte sich heraus - für rechnerisch Grundbegabte war es keine große
Überraschung - dass die Bezieher höherer Einkommen seit Anfang 2011 bis zu 37% mehr Geld nach Hause brachten als die Masse der unteren Einkommensschichten, die Flat tax
also nicht wie von der Regierung immer wieder posaunt, "proportional" wirkt, sondern von Unten nach Oben umverteilt, denn leider benehmen sich die minimalen Existenzkosten für
Essen, Wohnen, Energie gar nicht proportional und relativ, sondern ziemlich rabiat absolut und für alle gleich. Außerdem ist die Preissteigerung bei den Grundbedürfnissen in Ungarn
2011 rund doppelt so hoch gewesen als der allgemeine CPI (Consumer Price Index) von ca. +4,5% ausweist. Bei einigen Grundnahrungsmitteln lag die Teuerung bei über 50%.
Die Besserverdienenden brüten ihr Geld lieber
Dumm auch, dass die Gruppe der Begünstigten, die nach den Wunschvorstellungen der
Fidesz-Ideologen einmal das mittelständische Rückgrat der neuen Ordnung bilden sollen, das Steuergeschenk nicht würdigen und das zusätzliche Geld eben nicht in den Konsum
oder die eigene Firma pumpen, sondern aufs Konto, möglichst das ausländische legten. Volkswirtschaftlich und erst recht für den Staatshaushalt ergibt das aber keinen Sinn und
schon gar kein Mehr, zumal das großzügige Steuergeschenk die Staatskasse bisher wenigstens 600 Mrd. Forint, ca. 2 Mrd. EUR kostete (fast 2% des BIP), die man nicht hat
und die im letzten Jahr nur notdürftig durch Einmaleffekte kompensiert werden mussten, die, wie der Name schon sagt, so nicht wiederkommen. Warum diese Skepsis bei den
Besserverdienern, die seit letztem Jahr rund 4% des BIP aus dem Wirtschaftskreislauf gezogen haben? Eine ganze Reihe von Verschlimmbesserungen in der Wirtschaftspolitik und eine neue Art "nationalistischer Freunderlwirtschaft" zeigt einmal mehr, dass es längst
nicht nur ein niedriger Steuersatz ist, der die Wirtschaft antreibt.
Die unteren Einkommen sanken unter den gesetzlichen Mindestlohn
Der Finanzminister benutzte, um die vorhersehbaren, aber lange ignorierten Einbußen für
den Staat in Grenzen zu halten, daraufhin das Instrument des "Superbrutto". D.h., die Berechnungsgrundlage für die Flat tax wurde aus dem Bruttolohn des Arbeitnehmers +
dem Arbeitgeberanteil an den Sozialabgaben gebildet. Die Abgaben wurden zudem auf beiden Seiten erhöht. Diese Regelung, die de facto schon eine Aufhebung der "flat" tax
darstellt, führte nun wiederum dazu, dass die Bezieher von gesetzlichen Mindestlöhnen und all jener, die unter rund 210.000 Forint Gehalt beziehen (zusammen über 70%),
Einbußen gegenüber dem vorherigen Steuermodell hinzunehmen hatten, kurz: sie erhielten weniger Geld als bei den "Sozis", was kein so gutes Bild abgab.
Der kleine und der große Steuermann: Finanzminister Matolcsy und Premier Orbán
Gesetzliche Ansprüche werden zu fiskalpolitischen Gnadenakten
Für den Unternehmer wurde die Sache auch noch einmal teurer, erhöhte die Regierung
doch die Mindestlöhne für Ungelernte und Gelernte für 2012 jeweils um ca. 18%, ohne dass die Betroffenen auch nur einen Forint mehr sehen. Auch die Berechnungsgrundlage
für die Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung wurde auf 150% des Mindestlohns angehoben. Arbeitnehmer zahlen zudem nun 1 Prozentpunkt mehr in die
Sozialversicherung ein, 27% insgesamt, wissen aber nicht einmal mehr, wieviel davon in die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenkasse gelangt, weil die Regierung beschloss, alles
zunächst in einen Topf zu werfen. Eine Regelung, die von sämtlichen Gerichten eigentlich kassiert werden müsste, immerhin versickern mit der Zusammenwerfung gesetzliche
Versicherungsansprüche im Nebel fiskalpolitischer Gnadenakte.
Lohndiktat sollte Unternehmer zur Räson bringen
Der Lohnerosion durch das Superbrutto wiederum versuchte man durch eine Art
Lohndiktat zu begegnen, das die Arbeitgeber ultimativ aufforderte, die Löhne auf das "lohnende" Niveau anzuheben, wenigstens erstmal für die Hälfte der minder bemittelten
Angestellten. Wer dem nicht folgt, sollte von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen bleiben. Dahinter steckt natürlich auch das Wissen, dass es in Ungarn eine weit
verbreitete, als "unternehmerische Notwehr" verklärte, aber natürlich kriminelle Unsitte ist, die Angestellten zum Mindestlohn anzustellen und ihnen einen "Bonus" aus
Schwarzgeldern zu zahlen. Doch anstatt der Lohnanpassung antworteten die Unternehmer, wie Unternehmer nun einmal antworten: mit Entlassungen bzw. zumindest der Drohung damit.
Die Regierung versucht nun ab diesem Jahr ein neues "gemeinschaftliches Modell", wonach
der Arbeitgeber bis zu 5 Prozentpunkte Lohnerhöhung selbst tragen soll, die restlichen Prozentpunkte bis zum Erreichen des Break even für den Arbeitnehmer, also bis zu jener
Nettosumme, die zumindest genauso hoch ist wie vor der Einführung dieser genialen Flat tax, will dann der Staat übernehmen. Am Montagabend nun, direkt nachdem die
zehntausenden Antiregierungsdemonstranten abmarschiert waren, ließ die Regierung über das Staatsfernsehen verkünden, dass die Regierung gewillt sei, darüber nachzudenken,
auch jenen Unternehmen, die sich die 5%ige Lohnanpassung nicht leisten können (oder wollen?) unter die Arme zu greifen, "im Interesse der arbeitenden Menschen", wird diese
Flickschusterei gerechtfertigt.
Um sich nicht zu sehr zu verausgaben, hat die Regierung den "allgemeinen gesetzlichen
Mindestlohn" für “eigene” Angestellte teilweise übrigens außer Kraft gesetzt. Das Zwangsbeschäftigungsmodell für Sozialhilfeempfänger, das in Kooperation mit den
Kommunen ab 2012 flächendeckend in Kraft treten soll, und "jeden, der arbeiten kann, der Arbeit zuführen soll", kommt ohne Mindestlöhne aus. Bis zu 150.000
Sozialhilfeempfänger, bevorzugt "herumlungernde Zigeuner" werden so mit perspektivlosem Waldfegen zu einem Hungerlohn, der gerade ein paar Euro über der
Stütze liegt, beschäftigt und (!) beaufsichtigt. Wer nicht mitmacht, muss bis zu drei Jahre Entzug der Sozialhilfe in Kauf nehmen. Auch Frührentner werden "wieder in Arbeit gebracht", ihre bescheidenen Frührenten besteuert, sie, bis zu einer bestimmten
Altersgrenze wieder zu "arbeitsfähig" umdeklariert, Sozialhilfe droht, denn Arbeitsplätze für sie gibt es nicht, wie unberechtigt und ökonomisch unsinnig die massenhafte
Frühberentung auch immer gewesen sein mag. Übergangsregelungen, Rücksicht auf die Betroffenen? Nicht mit dieser Regierung.
Beängstigende Stümperei in memoriam sozialistische Planwirtschaft
Fassen wir zusammen: ein Staat ohne Geld führt eine Flat
tax ein, die nur den Reichen hilft. Damit die Unterschicht nicht auf die Barrikaden geht, zahlt der Staat die Differenz aus "eigener Tasche", muss
sich aber die fehlenden Steuermilliarden dafür mit einer Mehrwertsteuer von 27%, die wieder unterschichtenfeindlich ist und durch Sondersteuern und anderen Zusatzabgaben (allein ein Dutzend neue in diesem Jahr) zurückholen, um irgendwie die Haushaltslöcher
stopfen zu können, die bei jedem neuen Realitätsabgleich größer werden. Gleichzeitig wird bei jeder Gelegenheit betont, dass man an der "Flat tax", die es nicht gibt,
festhalten werde, um "das wettbewerbsfähigste Land der EU bis 2013" zu werden. Ein Steuermodell als Fetisch.
Die ökonomische Stümperei, die im Gesamtmaßstab längst die Ausmaße
pseudosozialistischer Planwirtschaft angenommen hat, muss Arm wie Reich gleichermaßen beängstigen. Ein Zusammenbruch nutzt niemandem, schon gar nicht dem postulierten
“Befreiungskampf gegen die Allmacht der Finanzmärkte”, doch trotz der offenliegenden Rechenbeispeile leistet sich Ungarn lieber den Luxus des Gezänks mit IWF und EU, anstatt
die eigene fehlgestaltete Wirtschaftspolitik zu korrigieren.
Wen das demokratiefeindliche Verhalten dieser Regierung nicht beeindruckt oder stört -
und das sind auch im Westen Europas nicht wenige - den sollte zumindest die Mathematik überzeugen...
red.
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