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(c) Pester Lloyd / 02 - 2012      POLITIK 13.01.2012

 

Galgenfrist ohne Galgen

Taktische Manöver zwischen Ungarn, EU und IWF

Am Donnerstag hat Ministerpräsident Orbán vor ausländischen Journalisten wieder versucht, Verständnis für den ungarischen Standpunkt beim Streit bzw. den Verhandlungen mit EU und IWF zu wecken. Sein IWF-Verhandler ist derweil auf Good-Will-Tour. Die verschiedenen Statements aus EU-Kreisen zeigen, dass es der Gemeinschaft einmal an Mitteln, einmal am Willen, oft an beidem fehlt, gegen autokratische Tendenzen und Gesetze wirksam und sinnvoll vorzugehen.

Orbáns eigene Wahrheit

Orbán zeigte sich vor einer Runde von Auslandskorrespondenten am Donnerstag in manchen Pukten gesprächsbereit, bei manchen taktiert er weiter, doch insgesamt gewann immer wieder der Ideologe Oberhand über den Pragmatiker. Hinsichtlich der in Frage stehenden Gesetze "erwarte" er "Argumente, keine politische Meinung von der Europäischen Union", sagte der Ministerpräsident. Vermutlich wartet die EU auf selbiges aus Budapest. Sollten ihn "diese Argumente überzeugen, wird sein Kabinett zu gesetzlichen Anpassungen bereit sein." Die Haltung Ungarns sei "allgemein offen und flexibel, wir sind bereit über jede Sache zu verhandeln". Er wäre sogar bereit, Änderungen vorzunehmen, die er für sinnlos halte, "wenn es angebrachter scheint", auf EU-Linie zu bleiben.

Termine, die Orbán mehr liegen: mit heiligem Ernst wurde am Donnerstag im Parlament eine neue Universität für den öffentlichen Dienst inauguriert. “Ihr seid die Garanten für den ungarischen Wideraufstieg” sagte der Premier in seiner Rede zu den ersten Studenten. Diese Kaderschmiede für den Staatsdienst wurde aus verschiedenen Fakultäten bestehender Hochschulen zusammengebastelt, die per Dekret der neuen Struktur unterstellt wurden. Hoschulautonomie ist übrigens auch keine EU-Angelegenheit...

Orbán beharrte darauf, dass das Defizit des Staatshaushaltes 2011 unter 3% liegt, auch ohne die von EU-Kommissar kritisierten und herausgerechneten "außerordentlichen Maßnahmen" bzw. Einmaleffekte. Olli Rehn sieht das Defizit Ungarns ohne die Zurechnungen der verstaatlichten privaten Rentenbeiträge bei 6%. (siehe dazu diesen Beitrag) In der Angelegenheit wurde Nationalwirtschaftsminister Matolcsy für die nächste Woche vor den Haushaltsausschuss zitiert, wo er Rechenschaft über einige unklare Positionen geben soll, ein Manöver, das auch als taktisch angesehen werden darf.

Angestrengter Optimismus statt belastbarer Fakten

Er, Orbán, sieht den Marktoptimismus hingegen steigen und die "fundamentalen Daten der Ökonomie sind deutlich stärker als von vielen vorausgesagt ... oder erhofft". Er sieht darin und in der gelungenen heutigen Auktion von Staatsanleihen ein klares Zeichen, dass die Ziele für 2012 und 2013 erreichbar seien, was wiederum - nach einem Abkommen mit dem IWF - den "Verbleib" Ungarns am internationalen Finanzmarkt ermöglichen wird.

Sein "best case scenario" sei, in einem Monat nicht mehr darüber spekulieren zu müssen, ob sich Ungarn noch finanzieren kann, sondern darüber nachzudenken, wie gut Ungarns Wirtschaft wachsen wird. In einem Interview für ein einheimisches Medium hatte Orbán kürzlich sogar noch aufgetrumpft, dass Ungarn "eines Tages" nicht nur den internationalen Finanzmarkt nicht mehr brauche werde, sondern "selbst als Kreditgeber" aufzutreten gedenkt. Ein Satz, den er sich vor internationalem Publikum lieber verkniff. Auch auf die Frage, was er für ein "worst case scenario" halte, ging er nicht direkt ein, wie er überhaupt die wichtigsten Antworten schuldig blieb.

So lässt sich auch jetzt die Frage, ob Ungarn zugunsten eines IWF-Abkommens bei den zumindest für den IWF entscheidenden Fragen einen Rückzieher machen wird, mit einem klaren: Ja-Aber beantworten. Offenkundig will man sich über die Kreditlinie Zeit kaufen, um dann alsbald ungestört weiter zu machen wie geplant, mit allen katastrophalen Folgen, die eintreten müssen, wenn der ökonomische Realitätsverlust in Budapest so weiterregiert, wie er das in den letzten Monaten tat.

Auch auf politischer Ebene dominieren weiter Trotz und Rechthaberei belegbar durch Dutzende Statements, die allerdings nicht berichtenswürdig sind, da sie alle nur die bekannten Phrasen wiederholen.

Artikel 7, Atikel 258, Defizitstrafe?

Die EU gab Ungarn indes noch einige Tage Zeit, die EU-Konformität einiger Schlüsselgesetze nachzuweisen, wohl auch, um sich selbst einmal klar darüber zu werden, welche Möglichkeiten man gegen antidemokratische und nicht rechtsstaatliche Gesetzgebung überhaupt in der Hand hat und welche davon überhaupt sinnvoll in der Anwendung erscheinen. Bei Lichte bleibt da ein sehr dürftiges und zweifelhaftes Instrumentarium über, wie die Aufnahme des "Exzessiv Defizit Verfahrens", das u.a. von Kommissar Rehn ins Gespräch gebracht wurde und zum Einfrieren von Mitteln aus dem Kohäsionsfonds führen könnte oder die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7, wie es die Liberalen im EU-Parlament anstrengen wollen, an dessen weit entferntem Ende ein Stimmrechtsentzug im Rat steht.

Die Bedenkenliste schrumpft angesichts der Sanktionsmöglichkeiten

Es ist schon jetzt offensichtlich, dass die EU für jede Kleinigkeit die Marktregularien betreffend mehr Sanktionsmacht hat, als beim Verstoß gegen Grundrechte. Die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Viviane Reding, warnte Ungarn am Mittwoch nochmals, die ungarische Regierung möge ihre "legislative Mehrheit nicht missbrauchen." Eine Warnung, die womöglich eineinhalb Jahre zu spät kommt. "Eine dominante Position bringt auch eine besondere Verantwortung mit sich.", was schön gesprochen ist, aber nicht mehr.

Aus dem Zeigefinger könnte langsam ein Mittelfinger werden. Barroso zeigte sich zuletzt sichtlich genervt, als er seinem ehemaligen Duzfreund fünf Briefe schreiben musste, um ihn an seine europäischen Pflichten zu erinnern.

Kommissionspräsident Barroso sagte, dass die "Kommission ihre ganze Macht einsetzen werde", um die Kompabilität der in Frage stehenden Gesetze und Maßnahmen mit EU-Recht zu kontrollieren und durchzusetzen. Man behalte sich ausdrücklich sämtliche Schritte offen, darunter auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 258, sagte Barroso. Damit können jedoch nur solche Gesetze behandelt werden, deren Aufsicht ausdrücklich in die Kompetenz der EU fallen. Und damit schrumpft die Liste der "Bedenken" schon beachtlich. Geht es so doch - laut EU - nur noch um die sogenannte Unabhängigkeit der Zentralbank und der Datenschutzbehörde und die Anpassung des Rentenalters von Richtern sowie die Machtfülle der parteitreuen Gerichtskammerpräsidentin. Die wirklichen strukturellen Angriffe auf demokratische Kontrollinstanzen und die autokratische und vor allem unsoziale Umgestaltung des Landes (hier aufbereitet in unserem "Sündenregister") bleiben dabei weitgehend unberührt.

Good Will Tour und Antritt zum Rapport

Bis dahin wird sich auch der IWF noch bedeckt halten, wie es mit den offiziellen Verhandlungen mit Ungarn weitergeht. Ungarns Chefverhandler im Ministerrang, Tamás Fellegi traf in Washington zu informellen Vorgesprächen, besser gesagt, zu einer veritablen Standpauke an, verkaufte diese aber tatsächlich der heimischen Nachrichtenagentur als "Wiederaufnahme der Gespräche". Nach Gesprächen mit IWF-Chefin Lagarde und Vertretern des US-Außenministeriums, die sich diesmal das Briefporto sparen können, wird Fellegi noch eine Art Good-Will-Tour durch Europa abhalten, am 16. und 17. Januar, also just, wenn die EU-Kommission berät, will er in Deutschland EZB-Chef Mario Draghi und Bundesbankchef Jens Weidmann treffen, auch der ungarische Zentralbankchef András Simor wird dabei sein. Fellegi will auch mit Finanzminister Schäuble und "Top Politikern der deutschen Regierung und Spitzenbankern" zusammentreffen, wie der Staatsfunk vermeldet. Am 19. Januar geht es weiter nach Österreich, zu Nationalbankgeneral Ewald Novotny und Finanzministerin Maria Fekter.

Zahnlose EU lässt Orbán gewähren

 

Am 20. Januar dann wird Fellegi in Brüssel zum Rapport antreten und von Kommissar Olli Rehn empfangen. Dann sollten auch Umfang und Art der Maßnahmen verkündet werden, die gegen Ungarn bzw. für die ungarische Demokratie zur Anwendung kommen sollen.

Viel Ergiebiges sollte man nicht erwarten, denn es fehlen entweder die Mittel oder der Wille, oft genug auch beides, vor allem ist nicht davon auszugehen, dass der konservativ dominierte Europäische Rat der Regierungschefs von der eh und je gepflegten Kameraderie unter den Schwesterparteien abrückt. Angesichts dieser bei Grundwerten so zahnlosen EU wird Orbán auch weiter vorführen können, was geschieht, wenn die wirtschaftlichen und sozialen Krisen Europas von Populisten seines Kalibers "gelöst" werden, weil die Demokraten keine vernünftigen Antworten auf die sich stetig akuter stellenden Systemfragen finden und die führenden Politiker immer noch meinen, mit gescheiterten Konzepten die Zukunft der Gemeinschaft sichern zu können.

red. / B.S. / ms.

 

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