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(c) Pester Lloyd / 03 - 2012      WIRTSCHAFT 18.01.2012

 

Zurück in die Zukunft

Orbán als Ökokrieger: noch ein Entwicklungsplan für Ungarn

Ein Hohelied der Scholle - die Entwicklung des ländlichen Raumes und die Förderung der Landwirtschaft spielen sowohl aus wirtschaftsstrategischer wie ideologischer Sicht für die nationalkonservative Regierung eine zentrale Rolle. Ein 10-Jahres-Plan, der "wichtige Komponenten der nationalen Unabhängigkeit" enthält, soll gesunde Lebensmittel und ein gutes Auskommen bringen und das Land von "ausländischem Dreck" befreien. Gentech wird weiter abgelehnt und der Boden soll in ungarischen Händen bleiben. Richtige Problemstellungen und bewährte Modelle nachhaltiger Bewirtschaftung kollidieren mit Konzepten aus finsteren Jahrhunderten und einer überflüssigen Kriegsrhetorik.

Ländliche Idylle und skeptischer Blick über den Gartenzaun. Premier Orbán auf dem Lande.

Orbán präsentierte den "Ignác Darányi Plan", benannt nach einem Landwirtschaftsminister der vorletzten Jahrhundertwende, auf einer Konferenz am Montag vor Standesvertretern als "nationale Landwirtschaftsstrategie", in deren Zentrum der "Schutz des Ackerlandes und die Sicherung der Wasserversorgung" stehe. "Ungarn ist in allererster Linie ein Agrarland", was "immer es im Lande auch für Gerüchte gibt", so Orbán. Eine Feststellung, die wohl mehr launig auf die Teilnehmer, denn die ganze Wahrheit gemünzt war, die später aber seinen Regierungssprecher veranlasste, klarzustellen, dass man auch "der führende Produktionsstandort" der Region zu sein bzw. zu werden gedenke und man auch die neuen Technologien nicht vernachlässigen werde.

Politischer "Landschutz" als zentrales Element einer neuen Strategie

Der Premier erläuterte seine zentrale These, die man kurz mit "Bauernland in Ungarnhand" zusammenfassen kann und warnte vor einem Ausverkauf. Das zu verabschiedende "Landschutzgesetz", wichtiger Teil des Darányi-Plans, soll dauerhaft dafür sorgen, dass landwirtschaftliche Nutzfläche nicht - bzw. nur unter sehr strengen Auflagen - in ausländische Hände übergeht. Hierin tut sich dann freilich der nächste Konfliktbereich mit der EU auf, die, nach langen Verhandlungen, zuletzt nur einer weiteren Verlängerung des Landkaufmoratoriums bis 2014 zugestimmt hatte. Man schätzt, dass ungefähr ein Fünftel der bewirtschafteten Flächen in Ungarn von ausländischen Unternehmen oder - über Strohmänner - von Ausländern bewirtschaftet werden, bei weitem nicht immer zum Schaden des Landes, aber das ist ein anderes Thema und ein weites Feld.

Den Schutz der Ressourcen meint Orbán also längst nicht nur ökologisch und ökonomisch, sondern vor allem auch politisch. Die Wiederbelebung des ländlichen Raumes ist - neben der Förderung von Handwerk und Mittelstand - die zentrale Hoffnung und These des "Neuen Ungarn", wie es sich diese Regierung erträumt. Man knüpft dabei an die "großen Zeiten" des Landes an, "die stets ländlich geprägt" gewesen seien. Orbán: ging es der Landwirtschaft gut, ging es Ungarn gut und es schwingt darin nicht nur als Ausschmückung, sondern auch in der konkreten Politik viel vom alten Ständesystem der Magnaten und des Lehenswesens vergangenster Jahrhunderte mit, dessen ökonomische wie soziale Leistungen nur wirklich romantischsten Analysen standhalten.

Orbán stellt wieder die richtigen Fragen, verzettelt sich aber bei den Antworten

Wie schon bei vielen anderen Themen, die Ungarn und den Rest der Welt beschäftigen, hat Premier Orbán auch beim Thema ländlicher Raum und der Sicherung unserer zukünftigen Lebensgrundlagen die richtigen Fragen gestellt, grobe Fehlentwicklungen richtig erkannt und prinzipiellere Systemfragen aufgeworfen. Er wehrt sich in seinere Abhandlung dagegen, dass nur das Industrielle als fortschrittlich gesehen wird, während alles Ländliche als rückständig und anachronistisch abqualifiziert wird.

Was ist daran fortschrittlich, so fragte Orbán am Montag, dass sogar die Landbevölkerung ihr Gemüse, womöglich noch "importierten ausländischen Dreck", in großen Hypermarkets einkauft, während die Flächen hinter dem Haus verfallen. Mit dem "ausländischen Dreck" nimmt er eine Polemik aus seinem Sofortprogramm bei Regierungsantritt wieder auf, die seitdem viel böses Blut und viel Unlust bei Investoren, solchen wie solchen, produziert hat, bei seiner Anhängerschaft aber auf fruchtbaren Boden trifft, auch wenn es sich auch hier, beim Lichte europäischer Dimension besehen, um einen reinen Stellvertreterkrieg handelt.

Nationale Kontroll- und sozialistische Planungswut

Die "ungarische Scholle wird uns mit allem versorgen, was wir brauchen: einer guten Lebensumgebung, Jobs für ein gutes Auskommen, gesundem Wasser und qualitätvoller Nahrung, mit in Ungarn produzierten Lebensmitteln.". Der Rede nicht genug, fügte er an, "Nationen, die ihre Scholle aufgeben, geben sich selbst auf und werden konsequenterweise schwach." Nicht zuletzt sind der Verzicht auf "genversaute" Lebensmittel sowie die Selbstversorgung "wichtige Komponenten der nationalen Unabhängigkeit."

Die Menschen auf dem Lande "können daher Hilfe vom Staat erwarten, doch dafür erwartet der Staat auch eine Gegenleistung in Form von sicherer Nahrung, einer sauberen Umwelt und ländlichen Erholungsmöglichkeiten", so Orbán weiter, der, wie für jeden gesellschaftlichen Bereich auch für diesen ein "komplett neues System" erfinden will, vor allem kleine und mittelgroße Landwirtschaftsbetriebe werden in den nächsten 10 Jahren davon profitieren, was wiederum die gesamte ländliche Bevölkerung und schließlich ganz Ungarn zu Gewinnern machen werde.

Im neuen Plan sind nicht uninteressante Ansätze von Direktverkauf und Selbstversorgung, Förderung von Jungbauernfamilien und sanftem Tourismus enthalten, doch stellt sich, wie schon bei den vielen andern prominent-historisierend benamsten Plänen (Széll Kálmán, Széchenyi) die Frage, was davon der Staat wirklich selbst steuern und gestalten kann und sollte und was eher Ausguss nationaler Kontroll- und sozialistischer Planungswut ist.

EU-Gelder reloaded

Denn, ähnlich wie beim "Új Széchenyi"-Plan, kommen die Gelder für die Aktionen überwiegend von der EU, der Staat will sie nur in seinem Sinne kanalisieren. Und dass die Agrar-Subventionspolitik der EU zu überarbeiten ist, weiß diese selbst am besten. Neben viel Unfug und Schaden, der mit Brachsubventionierung und Anbausteuerung angerichtet wurde, haben die ungarischen Winzer die Förderungen, die bis zur Hälfte der Investitionen in Rebstöcke, Anlagen oder Gebäude ausmachten, nur zu gern genommen. Selbst Orbán sagt man ja eine Affinität zu Weinbergen nach...

Jedenfalls wird der neue Plan erst zeigen müssen, wie er strukturiert ist und welchen Interessen er letztlich wirklich dient. Entsprechend war auch die Berichterstattung in den ungarischen Medien. Alle berichteten über die Veranstaltung, kaum einer der Kommentatoren aber ließ sich wirklich auf Spekulationen über greifbare Maßnahmen ein.

Dabei funktionieren fast alle Ideen des neuen Planes längst in anderen Ländern, in unterschiedlichen Ausmaßen. Was hier als “nationale Befreiung” tituliert wird, heißt dort Entschleunigung, ökologische Lebensweise, Nachhaltigkeit. Die Entwicklungen in Europa sind jedoch in regionalen Interessensphären sozusagen "organisch" und in freier Willensbildung der Beteiligten gewachsen, wurden also weder von oben aufgedrückt, noch erfunden, im Gegenteil, oft mussten "die da Oben" überhaupt erst von der kollektiven Vernunft des Volkes überzeugt werden, einer Vernunft, die sich auch ohne großes National-Tam-Tam Bahn zu brechen wusste, wie es der Vernunft eben inne wohnt. Und dann erst, nach dem gesellschaftlichen Konsens, kamen die Gesetze und setzte die Förderung ein. In Ungarn ist nicht nur die Reihenfolge auf den Kopf gestellt, sondern muss heute alles (wieder) zuerst einem größeren Plan und Zwecke dienen, der leider über das, was Menschen zum Leben brauchen, Essen, Sicherheit und Freiheit, weit hinaus und deshalb oft in die Irre geht.

Der IWF ist auf den Paprikaplantagen angekommen

Orbán schmückte aus, was alles passiert, wenn man sich um den ländlichen Raum nicht richtig bemüht: Ausverkauf durch Konzerne, Abhängigkeit von Saatgutproduzenten und Importen, Preisdiktate,Spekulation und nicht zuletzt sieht auch Orbán einen Krieg um Ackerland und Wasserressourcen heraufziehen, den er wie folgt kommentiert: "Die schlechte Nachrticht ist, dass dieser Krieg längst begonnen hat, auch wenn er nich mit normalen Waffen, sondern mit anderen Aktionen, wie "Herabstufungen" geführt wird, - daher müssen wir wachsam sein." Der IWF hat es also ins Herz Ungarns, mitten auf die Paprikafelder von Kalocsa geschafft.

Was bisher geschah, führt eher zurück in die Feudalzeit als in eine nachhaltige Zukunft

Betrachtet man die bisherigen Anstrengungen und überschaubaren Planungen u.a. des "Nationalen Bodenfonds" sowie der jetzt flächendeckend startenden kommunalen Beschäftigungsprogramme für Sozialhilfeempfänger und addiert man 1 und 1, kommt man nicht umhin, fürchten zu müssen, dass zukünftig wieder die Dorfvorsteher, in der Mehrheit ja Orbán-Treue, diverse ständische Kommissionen im Verbund mit einigen einflussreichen Großbauern und Handesloligopolen über Wohl und Wehe der Bauern bestimmen werden, die Landzuweisungen an hoffnungsfrohe, verheiratete junge Bauernfamilien ganz nach Gutdünken vornehmen, denen dann wiederum eine Schicht verarmter "Kommunalarbeiter" quasi als Pool Leibeigener zur Verfügung steht. Lieferketten werden in den Händen weniger Protegees, Protektionismus wird an der Tagesordnung bleiben, nur die Figuren wechseln.

Zu Ende gedacht, bedeutet das eine Rückkkehr in feudale Strukturen, was zwar polemisch klingen mag, aber schon heute die Lage in vielen dörflichen Gebieten ganz richtig beschreibt, Strukturen, die dann nur noch durch Gesetze institutionalisiert und verfestigt werden müssen. Was durch diese Politik in punkto Verbesserung der Selbstversorgung und Qualität der Lebensmittel, nachhaltige Bewirtschaftung und Ressourcensicherung erreicht werden kann, auch, was an Fehlern und Missbrauch aus der Vergangenheit berichtigt werden muss, kann an selber Stelle sozial wieder eingerissen werden, was sich spätestens mittelfristig böse rächen muss.

Auch hier, wie überall wo heute in Ungarn Ökonomie mit Ideologie kollidiert, können wir nur appellieren, die ökologisch vernünftigen, wirtschaftlich überdenkenswerten Ideen mit sozialen Notwendigkeiten der Chancengleichheit, der Nichtdiskriminierung und einer freiheitlichen Grundkomponente zu versehen sowie demokratische Kontrollmechanismen und Transparenz zuzulassen, weil die Historie, auch die ungarische uns lehrreich über das zerstörerische Potential informiert, das aus latenter Ungerechtigkeit erwächst.

ms.

 

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