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(c) Pester Lloyd / 03 - 2012      POLITIK 15.01.2012

 

Orwellsches Versuchslabor

Reaktionen auf Plagiatsvorwürfe gegen Präsidenten von Ungarn

Der beschuldigte Präsident, die beteiligten Professoren, erst recht die Regierungspartei ignorieren hartnäckig die vorliegenden Tatsachen und lehnen jedwede Verantwortung oder gar korrigierende Konsequenzen schlicht ab. Juristisch kann man dem Präsidenten nichts anhaben und politisch hat heute niemand die Macht oder den Willen, ihn abzusetzen. Nur das IOC könnte auf das Urheberrecht pochen, wird es aber nicht.

Das ungarische Präsidialamt hat die Vorwürfe, des Präsdienten Doktorarbeit "Analyse der Programme der Olympischen Spiele der Neuzeit" sei überwiegend ein Plagiat, mit der erstaunlichen Begründung zurückgewiesen, dass das damalige Professorenkollegium der Budapester Sportuniversität (heute Teil der Semmelweiß-Universität) die Arbeit geprüft und mit der Note "summa cum laude" ausgezeichnet habe, "was für sich spricht". Auch wurde Schmitt dann selbst dort Professor, fügt das Präsidialamt hinzu. Auch der Dekan der Sportabteilung der Semmelweiß-Universität, Miklós Tóth meint, "es gibt keinen Grund, an der Beurteilung der Arbeit 1992 zu zweifeln", ohne auf die vorliegenden Fakten einzugehen. Auch eine Neuprüfung der Arbeit lehnte der Dekan ab.

Wie praktisch. Die ungarischen Internet-User können einfach
aus dem reichhaltigen deutschen Fundus schöpfen.

Schmitt und der bulgarische Sportwissenschaftler Nikolao Georgiev (jener Autor, von dem Schmitt abgeschrieben hat), seien gut bekannt gewesen und haben "während ihrer Forschungsarbeiten an verschiedenen Themen zusammengearbeitet.", so heißt es weiter im Dementi des Präsidialamtes. Die Hauptquelle der Arbeiten beider seien demnach Mitschnitte von IOC-Treffen, IOC-Vorstandstreffen und Abschlussberichten zu Olympischen Spielen gewesen, was die "Ähnlichkeit" mancher Abschnitte erklären soll. Die Zeitschrift HVG hat auf 180 von 215 Seiten keine Ähnlichkeiten, sondern die fast einhundertprozentige Übereinstimmung beider Texte dokumentiert und nachgewiesen. http://hvg.hu/itthon/20120111_Schmitt_doktori_disszertacio_plagium Mittlerweile haben sich auch andere Journalisten von Original und Plagiat ein Bild machen können, wobei die Budapester Bibliothek, in der Schmitts Dissertation verwahrt wird, Achtung: Kopien untersagte, wegen des Urheberrechts. Eine Regelung, die zu Schmitts Zeiten offenbar noch nicht gegolten hatte.

Die beste Krisenperformance legte jedoch die Regierung hin, sie ließ über Orbán-Sprecher Péter Szijjártó ausrichten, dass man sich mit einer derart "schäbigen Zeitungsente nicht weiter befassen werde...", was die übliche Reaktion auf Vorwürfe von Verfehlungen von der Regierung nahestehenden Personen oder Organisationen ist, sind die Fakten auch noch so deutlich. Doch fraglos ist die Enthüllung eine ziemliche (weitere) Peinlichkeit für Orbán und sein Team, die, wenn schon fachlich angreifbar, so wenigstens - zumindest in ihren Kategorien - moralisch einwandfrei dastehen wollten. Wie aus der Vergangenheit zu lernen war, wird sich der Premier beizeiten auf seine Weise für diese Demütigung erkenntlich zeigen. Die Redaktion des "ungarischen Spiegel", HVG, kann sich schonmal warm anziehen. Von der Art der Aufarbeitung könnten sogar deutsche Plagiatoren und Präsidenten noch etwas "lernen". Fehlleistungen sind einfach Zeitungsenten politischer Gegner, mit denen man sich nicht beschäftigt und fertig.

Manipulationen, Lug und Trug in Kommunikation und öffentlicher Darstellung sind unter dieser Regierung zu neuen Tiefen hinabgestiegen. Kaum einer wird den Vorgängern Ehrlichkeit unterstellen wollen, aber die Plumpheit der Fälschungen macht aus dem heutigen Ungarn geradezu ein Orwellsches Versuchslabor, wie die Beispiele beim öffentlichen Rundfunk belegt haben, als man zehntausende Demonstranten einfach verschwinden ließ, weil das "Kamerateam im Stau steckte" oder wie man eine missliebige Person aus einem Beitrag wegen "eines fachlichen Fehlers" herauspixelte. Ganz aktuell hat man eine Parlamentsstatistik entfernen bzw. beschneiden lassen, welche die kritiklose Amtsführung Schmitts (von 319 Gesetzen 319 ohne weitere Prüfung unterschrieben) mit der seiner Amtsvorgänger verglich, was offenbar kein schönes Bild ergibt. Hier dokumentiert: http://index.hu/belfold/2012/01/07/schmitt_pal_allja_a_szavat/

Ich ein Plagiator? Wo ich doch nicht einmal schreiben kann...

Die grün-liberale Partei LMP ließ die rhetorische Floskel ausrichten, dass "wir darauf vertrauen, dass die Vorwürfe grundlos sind, sollte sich das Gegenteil herausstellen, muss der Präsident zurücktreten." Die MSZP forderte Schmitt auf, vor die Öffentlichkeit zu treten und die Vorwürfe selbst zu entkräften, andernfalls ist sein Verbleib im Amt nicht vorstellbar. Man erwarte zudem einen Kommentar von Premier Orbán, der Schmitt ja als "seinen" Präsidenten nominiert hatte. Ex-Premier Gyurcsány, Chef der MSZP-Abspaltung Demokratische Koalition (DK) meinte, Schmitt solle zurücktreten, "um seine persönliche Integrität und sein Ansehen wiederherzustellen", was allerdings schon im Falle Gyurcsánys nicht viel bis gar nichts gebracht hatte, wie wir wissen.

Nach der neuen Verfassung kann der Präsident zwar theoretisch durch ein Amtsenthebungsverfahren entfernt werden, die Verfehlungen dafür müssen jedoch sehr schwerwiegend und staatsgefährdend sein. Eine neue Regelung besagt zudem, dass, Berlusconi lässt grüßen, gegen den Präsidenten keine Verfahren wegen Verfehlungen eingeleitet werden können, die vor seiner Amtszeit liegen, zumal "Betrug" ohnehin längst verjährt wäre. Damit will man verhindern, dass die "Würde des Amtes" durch Denunzianten und konstruierte Vorwürfe "beschädigt wird". Was, wenn der Präsident die Würde des Amtes durch sein eigenes Handeln beschädigt, dafür gibt es in kaum einem Land der Welt einen brauchbaren Mechanismus, außer die Leute notfalls mit einem nassen Fetzen zum Teufel zu jagen, was allerdings stets die Gefahr erheblicher Kolletaralschäden in sich trägt.

Eine Aberkennung der akademischen Weihen wäre denkbar und machbar, doch dazu müsste sich ein Dekan oder Rektor einmal aus der Deckung wagen und eine Neuprüfung der Arbeit anordnen, da friert eher die Hölle zu. Auch die Tochter des bulgarischen Sportwissenschaftlers hat rechtliche Schritte ausgeschlossen, zumal die Urheberrechte an der Arbeit ihres Vaters beim IOC liegen, wie sie in einem Gespräch mit der Zeitung Népszava anmerkt. Ihr sei es lediglich wichtig, dass der Ruf Ihres Vaters nicht beschädigt werde und der habe nie in so einer engen Beziehung zu Schmitt gestanden, wie das nun behauptet wird. Dass das Soziotop IOC jedoch gegen eines seiner früheren Vorstandsmitglieder wegen solcher Lapalien vorgeht, kann ausgeschlossen werden, nichtmal Korruption ist dort ein Ermittlungsgrund.

 

Dem mit ihrem Präsidenten doppelt bestraften Volk bleibt nurmehr Galgenhumor, im Internet blühen Parodien und satirische Aufarbeitungen, wobei sich die ungarischen Aktivisten aus einem reichhaltigen Fundus ihrer deutschen Freunde bedienen können, sowohl was Plagiatoren als auch medial abgehobene Präsidenten betrifft. Für die nächsten Tage und Wochen sind einige Spontanaktionen geplant, Flash-Mobs bei öffentlichen Auftritten Schmitts, Petitionen und das übliche Repertoire des bürgerlichen, letztlich aber nutzlosen Widerstands. Ein politischer Analyst meinte nur resigniert in einem Zeitungsinterview: die Leute werden die Sache bald vergessen haben. Die Ungarn müssen ihren Präsidenten, Schmitt-Wulffenberg wohl ertragen, was noch ihre geringste Last in den kommenden Tagen und Jahren sein wird.

Mehr zu Präsident Schmitt, der Plagiatsaffäre, seiner Amtsführung und sonstige Schwänke:

Gunst und Gnade - 12. Januar
Der Präsident von Ungarn und seine "Plagiatsaffäre"

red.

 

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