(c) Pester Lloyd / 06 - 2012 BOULEVARD 10.02.2012
Mit der Liebe des Volkes
Putsch gegen Ungarn: Wie Orbán sich und sein Land rettete
Geheimdienstler, eine CNN-Kampagne, "globale" Intellektuelle und Altdiplomaten sollen versucht haben einen Putsch anzuzetteln, um Orbán von der Macht zu
entfernen. Das behauptete der ungarische Premier allen Ernstes auf einer Klausurtagung seiner Fraktion. Verhaftungen gab es bisher keine, aber Treuschwüre
der Hofnarren und sehr plausible Erklärungen.
Orbáns Legionen. Immer auf Zack, immer wachsam, seit kurzem auch mehrsprachig.
In Eger fand in dieser Woche eine dreitägige Klausursitzung der Fidesz-Fraktion statt. In
einer längeren Rede an seine Parteifreunde, die eigentlich in den vier Wänden bleiben sollte, räumte Ministerpräsident und Fidesz-Vorsitzender Orbán ein, dass man mit der
Geschwindigkeit der Gesetzgebung in den letzten eineinhalb Jahren hart am Limit und manchmal auch darüber gefahren sei (365 neue Gesetze in 500 Tagen). Daher sei es auch
zu Fehlern gekommen, die nun korrigiert werden müssten, auch um 15% Wähler, die sich vom Fidesz verabschiedet haben, zurückzugewinnen. Die Fehlerkorrektur kündigte vor
wenigen Tagen auch sein Fraktionschef Lázár, fast wortgleich, an..
Bei der Klausur in Eger wurde u.a. über die nächsten wichtigen Gesetzesvorhaben der
Frühjahrssitzungsperidoe gesprochen und eruiert, wo noch offene Stellen in der Legislative übrig geblieben sind. Auch über die Lösung des Schuldenproblems der Kommunen und -
sehr wichtig - die Einteilung der neuen Wahlbezirke wurde verhandelt. Dabei soll sich Orbán ziemlich unzufrieden mit der Performance des einen oder anderen Bürgermeisters
gezeigt haben... Der Presse übermittelte man, dass Orbán eine optimistische, geradezu fröhliche Ansprache gehalten hatte. Dabei zogen vor nicht allzu langer Zeit sehr dunkle
Wolken über Pannonien...
Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit standen so auch Orbáns “geleakte”
umfangreiche Ausführungen darüber, dass er knapp einem "Putsch" entkam, "um mich von meinem Posten" zu entfernen. Heute morgen waren sämtliche Zeitungen damit voll. Orbán
seien entsprechend konzertierte Pläne bekannt geworden und er benannte tatsächlich auch drei Gruppen, die an der Verschwörung gegen seine Person beteiligt gewesen sein sollen:
"Angehörige des nationalen Sicherheitsapparates", die "von CNN geführte internationale
Medienkampagne" und "ungarische und ausländische Diplomaten", vor allem ehemalige. Groß war die Erleichterung in der Fraktion als Orbán gleichzeitig verkünden konnte, dass
"man den Putsch niederschlagen konnte." Ein Grüppchen Sympathisanten versammelte sich übrigens am Tagungsort, um dem Premier den Rücken zu stärken. Vorgefertigte
Einheits(z)transparente standen in mehreren Sprachen zur Auswahl.
Die ungarischen Medien, erst recht Facebook & Co. nahmen die Faschings-Vorlage gerne
auf und sind nun voll von allerlei Interpretationen der Putschtheorie. Während die oppositionellen und unabhängigen Medien die Sache eher ins karnevaleske überhöhen, muss
die Haus- und Hofpresse die Sache ernst nehmen.
So hat der Chefredakteur des Wochenmagazins Heti Válasz schon vor einigen Tagen
genauer ausgeführt, dass es sich bei dem geplanten Staatsstreich um ein Machwerk der "globalen, intellektuellen Gemeinschaft" handelt, unter "aktiver Mitwirkung derjenigen
ungarischen Intellektuellen, die sich in dieser globalen Welt zu Hause fühlen." Wer den ungarischen Neusprech noch nicht kennt: gemeint sind Juden und von Subventionen
vollgestopfte "Linksliberale".
Allein Orbáns "fantastische Performance" in Straßburg und die Unterstützung der Hunderttausenden in Budapest vor ein paar Tagen habe schlimmeres verhindert, so der
Chefredakteur, der früher sogar einmal ernstzunehmende Beiträge verfasst hatte. Nur mit der Kraft des Wortes und der Liebe des Volkes hat Orbán also sein Land und sich
verteidigt. Nächste Woche wird er über Wasser gehen!
Alles im Griff? Vor dem Tagungshotel der Fidesz-Fraktionsklausur in Eger
Was steckt hinter dieser absurden Theorie? Warum gibt es bei den Sicherheitsorganen
keine Verhaftungswelle, keine Ausweisung von Diplomaten, keine Anzeigen, wenn ein "Putsch" so offensichtlich ist, Landesverrat ist schließlich eine ernste Straftat? Die Sache ist
relativ leicht erklärt und einmal mehr ein Hinweis darauf, dass der Einfluss von Orbáns Persönlichkeit, im Unterschied zu dem seiner Weltanschauung weit unterschätzt ist, was
wir als groben Fehler ansehen.
Seit einiger Zeit gab es Gerüchte, im Fidesz seien Debatten entstanden, ob es für das
Standing Ungarns in der Welt nicht auf längere Sicht nicht doch besser sei, ein anderer, moderaterer Premier würde Orbán beerben. Vor allem, als der Forint jenseits der 320
stand, Anleihen wieder unverkäuflich wurden, habe es solche Debatten gegeben, man fürchtete in diversen Kreisen schlicht den kompletten Zusammenbruch, wohl auch des eigenen Portfeuilles.
Darauf folgten einige Nein-Stimmen (in Worten: vier) aus den eigenen Reihen im
Parlament, als es um die Besetzung von Posten mit Freunden und Verwandten ging (Stichwort Richterkammer). Eine unschöne Optik, so etwas sollte möglichst nie wieder
vorkommen. Also die Nein-Stimmen. Orbán hat mit der Putschgeschichte klar gemacht, dass er Ungehorsam als Angriff auf seine Person sieht und Verrat nur als Tat äußerer
Feinde gelten lässt. Freilich machen sich die linksliberalen Medien auch einen Spass daraus, ständig irgendwelche Gerüchte über Abweichler in den eigenen Reihen zu streuen. Viel
mehr Vergnügen bleibt ihnen heutzutage schließlich nicht mehr.
Offenbar ist ihnen Orbán in seiner eitlen Überspanntheit auf den Leim gegangen und
versucht die Sache nun zu seinen Gunsten zu nutzen, in dem er selbst diese Faschingsente in die Welt posaunt. Dass er sich bei einem immer größer werdenden Teil seiner
Landsleute damit vollends der Lächerlichkeit preisgibt, ist ihm egal, wenn nur der andere Teil umso fester zu ihm hält. Und die Anhängerschaft unseres selbsternannten "rechten Plebejers", des Lincoln des 21. Jahrunderts, des Vollenders von 1848+1956, tut ihm diesen
Gefallen - ob als Legionen in Ungarn oder Schwadronen von Exilungarn in München, New York und Paris - mit geradezu hysterischer Gründlichkeit und nervigster Hingabe.
red.
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