(c) Pester Lloyd / 12 - 2011 BULGARIEN
24.03.2011
KOMMENTARE
Eurowunsch als Zwangsjacke
Bulgarien zwischen Sparzwang und Armutsbekämpfung
Das ärmste EU-Land, Bulgarien, sucht sein Heil in einer rettenden Flucht nach vorn, in den Euro. Ob das so eine gute Idee ist? Finanzminister Simeon Djankow hat dabei
im Moment nicht viel zu bieten, politisch gibt sein Land ein Bild des Jammers ab, ökonomisch herrscht Elend. Daher versucht er es mit einem Versprechen auf die
Zukunft. Doch das Volk wird bedrohlich ungeduldig. Sparen soll der Staat, wenn er sich das leisten kann. Es will Arbeit, Brot und anständige Politiker und zwar jetzt,
nicht erst durch das vage Wohlstandsversprechen des Euro.
Danke für die Blumen. Bulgarien will gern zum Euroclub gehören,
doch die sozialen Probleme machen das Sparen im Lande schwer. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der bulgarische Premierminister Bojko Borissow.
Ein "Stabilitätspakt" soll in die Verfassung geschrieben werden, der eine atemberaubend
niedrig angesetze Schuldengrenze für die Staatsfinanzen von maximal 37% des BIP vorschreibt sowie das eurokonforme maximale jährliche Defizit von 3% des BIP. Gleichzeitig
können, so der Minister, direkte Steuern in Zukunft nicht mehr mit einer einfachen Regierungsmehrheit erhöht werden, dazu soll es seiner Zweidrittelmehrheit bedürfen.
"Bulgarien zeigt Europa, dass auch die kommenden Regierungen eine strenge Finanzdisziplin" einhalten werden, man will sich damit von den unklaren Entwicklungen in
anderen Ländern sehr deutlich abheben. Um die Pläne umzusetzen, bedarf es einer Dreiviertelmehrheit im Parlament, die bisher nicht in Sicht ist.
Es mag ehrenwert und auch zeitgemäß sein, dass Bulgarien künftig nicht mehr ausgeben
will als es einnimmt. Ende 2009 lag die Schuldenquote bei eigentlich lächerlichen 15% des BIP, im letzten Jahr stieg sie um 3,7 Prozentpunkte, da lag Ungarn bereits bei 80%.
Generell sind die meisten östlichen Länder Europas noch nicht so hoch verschuldet aus dem banalen Grund, dass sie noch gar nicht so lange Zeit hatten sich zu verschulden und der
Kreditfluss aus der internationalen Finanzwelt in der Region ohnehin etwas schmaler ausfällt.
Die Schwächsten verloren zuerst ihre Jobs
Dabei hätte Bulgarien allen Grund, mehr Geld in die Hand zu nehmen, sogar Feudalherren
wussten, wann man die Getreidespeicher öffenen und Münzen unters Volk zu streuen hatte, um Schlimmeres abzuwenden. Die Arbeitslosen- und Einkommenssituation hält das
Land am Rande einer sozialen Katastrophe, die jederzeit explodieren kann, zumal in diesem Jahr noch kräfitge Preissteigerungen auf dem sozial so sensiblen Lebensmittelmarkt
erwartet werden. Man darf sich hier nicht von Statsitiken in die Irre führen lassen.
Das Statistische Amt in Sofia konnte binnen zwei Jahren einen Anstieg der
Durchschnittsgehälter von 27% auf rund 300 EUR vermelden, allerdings kommt dieses "Plus" niemandem zu Gute, sondern ist nur entstanden, weil während der Krise Billiglöhner, Hilfs-
und Zeitarbeiter als erstes auf die Straße gesetzt wurden. Die verbliebenen Fachkräfte sorgten durch ihre höheren Gehälter, auch ohne eine Leva Gehaltserhöung für einen
statistischen Anstieg des Durchschnittslohnes. Das BIP-Wachstum betrug 2010 zwar 2,3%, doch die (offiziell registrierte) Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung ist mit 4.500 EUR nur halb so
hoch wie in Ungarn, liegt noch ein Drittel hinter dem Vorletzten Rumänien und erreicht gerade 32% des EU-Schnitts. Die Beschäftigungsrate ist mit 56% auch im untersten Teil der
EU-Statistik, sinnlos, angesichts einer solchen Zahl die Arbeitslosenquote zu erwähnen.
Selbst Durchschnittsbürger "sparen" sich den Arztbesuch
Doch nicht nur die auch statistisch Armen, sondern auch die "Durchschnittsfamilien" mit
zumindest einem Erwerbstätigen kommen kaum noch über die Runden, die Inflation frisst gnadenlos an den "eingefrorenen" Gehältern, so dass sich mittlerweile zwei Drittel der
Bulgaren selbst als "arm" ansehen, sogar 28% der Befragten, die deutlich über dem Durchschnittseinkommen liegen.
Die Weltbank, das ist eine dieser Institutionen, die neben dem IWF die Schuldnerstaaten
am massivsten zu Einsparungen im sozialen Bereich drängen, kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass sich während der jetzigen Krise, zumindest für ein Fünftel der
Bevölkerung die Lebensbedingungen nochmals verschlechtert haben, 35% meldten, dass sie Veränderungen bei ihrem Beschäftigungsverhältnis hinnehmen musste, sei es eine
Kündigung, ein Jobwechsel, Gehaltseinbußen oder längere Arbeitszeiten.
18% der Befragten gaben an, beim Essen zu sparen und regelmäßig ganze Mahlzeiten
auslassen zu müssen. Lediglich 23% aller Haushalte und nur 7% im unteren Fünftel gaben an, Ersparnisse zur Überbrückung zu haben. Das untere Fünftel spart weiterhin an
Medikamenten und unterlässt sogar Arztbesuche trotz offensichtlicher Krankheit.
Angesichts einer solchen Situation, täglich bunt konterkariert durch wilde
Korruptionsskandale einiger oberen Tausend, macht es der sozialistischen Opposition leicht, das Vorhaben der Regierung zu strengster Sparsamkeit als grausamen Hohn darzustellen.
Der Staat lege jede Möglichkeit ab, in der Fiskalpolitik auf aktuelle Tendenzen angemessen zu reagieren, meinte Oppositionsführer Sergej Stanischew, früher selbst als
Ministerpräsident in der Verantwortung. und aus dieser von den frustrierten Wählern entlassen. Die Ideen der Regierung werden das Land weiter Spitzenreiter der Armut in der
EU bleiben lassen, so die Opposition.
Erste Hungerevolten und ein Bauernaufstand
Doch die Regierung will noch mehr sparen, in diesem Jahr sollen weitere 4% der
Bediensteten im öffentlichen Dienst eingespart werden, auch durch Entlassungen. Damit werde man weiter Geld sparen und "die Effizienz der öffentlichen Verwaltung" steigern,
wie es immer so schön heißt. Bereits in einer ersten Entlassungsrunde hatte man 12% der Angestellten im öffentlichen Dienst entfernt, was allerdings ersteinmal sehr teuer wurde,
die meisten hatten nämlich ein Anrecht auf Abfindungen von bis zu zwei Jahresgehältern. Das Kabinett von Bojko Borissov hat aber auch hier eine klare Kennziffer vor Augen, die
staatliche Verwaltung sollte in Zukunft nicht mehr als 20% der Staatseinnahmen verschlingen. Auch hier wäre man dann europaweit führend, genauso wie bei der Armut.
Dass die Situation in Bulgarien bald außer Kontrolle geraten könnte, ist nicht
ausgeschlossen, sie ist prekär genug, fast schon im Marxschen Sinne. Erste "Hungerrevolten" gibt es bereits, so marschierten einige tausend Menschen, um gegen
Preissteigerungen u.a. bei Strom und Gas zu protestieren, Autofahrer blockierten Tankstellen wegen exorbitanter Treibstoffpreise. Die Regierung zeigte sich machtlos, sie
könne weder die Treibstoffpreise beeinflussen, noch die Mehrwertsteuer absenken.
Am Montag blockierten Bauern mit schwerem Gerät in etlichen Bezirken die Straßen, die Nachrichtenagentur
Focus schätzte die Zahl der Teilnehmer auf über 4.000. Dabei könnte man denken, dass gerade das agrarisch dominierte Bulgarien von den derzeit hohen Weltmarktpreisen für Weizen und Kartoffeln
profitieren könnte, doch genau da sitzt das Dilemma des Landes: profitieren werden davon nur einige Wenige, denn der "ganze Agrarmarkt in Bulgarien wird
von der Mafia beherrscht", urteilte Tencho Tenev von der Produzentenvereinigung Haskovo kurz und bündig. Ob die Regierung bei der Lösung dieses Problems jedoch noch der richtige
Ansprechpartner ist, bleibt fraglich, früher gemachte Zusagen wurden gebrochen, nun soll es ein persönliches Gespräch der Protestierer mit Premier Borissov richten.
Das traurige Bild wiederholt sich
Rumänien scheint auf lange Frist gefangen im Korsett der Maßgaben des IWF und der
eigenen mafiösen Versumpfung der politischen Klasse. Ungarn sucht den verlockenden aber illusorischen Weg einer selbsttragenden, von ausländischer Abhängigkeit freien
"Nationalwirtschaft" und verschob den Euro mindestens bis 2020. Die Slowakei, als Euroland halbwegs durch die Krise getaucht, hofft als reine Werkbank des Westens auf die dortige
Konjunktur und Polen schlittert als eine Art Krisennachzügler immer tiefer in die Schuldenfalle und versucht jetzt panisch an verschiedenen Stellen zu sparen.
Was wir in Bulgarien erkennen, sehen wir in unterschiedlichen Ausprägungen überall auf
dem Balkan. In Rumänien, Kroatien, Albanien, in Bosnien gleichen sich die Bilder und sie werden nicht besser, auch wenn im Westen längst wieder der Wirtschaftsmotor
angesprungen zu sein scheint. Das soziale Ungleichgewicht in Europa, der Mangel an rechtlichen und ökonomischen Grundstandards und daraus resultierend die fortschreitende
bzw. anhaltende Verarmung, wird eines Tages für den Zusammenhalt der Gemeinschaft gefährlicher werden.
Die Bewältigung der Eurokrise, die nun auf dem Gipfel in
Brüssel endlich geschafft werden soll, ist nur ein kleiner Schritt in eine Richtung, die irgendwann die tagtäglichen Probleme der Menschen löst und
ihnen wenigstens die Möglichkeit gibt, sich mit eigenen Händen aus dem Elend zu kämpfen. Es gibt keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Mitgliedschaft im
Eurobündnis und einem wachsenden Wohlstand, bis die Grundbedingungen in Bulgarien nicht verbessert sind, fungiert die Hinwendung zum Euro eher als Zwangsjacke und auch
die Gemeinschaftswährung würde durch weitere schwache Mitglieder nur wiederum gefährdet.
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