(c) Pester Lloyd / 12 - 2011
POLITIK 21.03.2011
KOMMENTARE
Orbáns Bullterrier
Lázár-Leaks: Fraktionschef der Regierungspartei in Ungarn äußert sich abfällig über Arme
Der Chef der Parlamentsfraktion der ungarischen Regierungspartei Fidesz, János Lázár, der auch Bürgermeister der südungarischen Stadt Hódmezővásárhely ist, sah
sich am Sonntag zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen, nach dem ein Mitschnitt an die Öffentlichkeit gelangte, auf dem er sich bei einer Stadtratssitzung
2008 abfällig über arme Menschen geäußert hatte. Dankbarer Stoff für die oppositionellen Sozialisten, doch die Regierungspartei rüstet schon zum Gegenangriff.
János Lázár, Mitte, rechts Premier Orbán, links Vizepremier Navracsics im Parlament
Lázár teilte auf seiner Internetseite und vor Pressevertretern mit, dass er die
"unangemessenen Äußerungen" bedaure und sich bei alle jenen "entschuldige, die sich durch
diese Äußerung verletzt fühlen." Auf dem Band ist zu hören, dass er sagte, dass "...die Menschen, die aus ihrem Leben nichts machen, auch nichts wert" sind. Für weitere
Verstimmung in Medien und vor allem bei der Opposition, die diesen Fall dankbar aufnahm, sorgte zudem, dass er bei einer Pressekonferenz am Sonntag von einem "Missverständnis"
sprach und somit seine Entschuldigung gleich wieder relativierte.
Er habe gar nicht die armen Menschen gemeint, sondern diejenigen, die, anstatt sich um
eine berufliche Karriere zu kümmern, versuchten durch eine politische Karriere finanziellen Gewinn zu erzielen. Man habe diese Ausschnitte aus einer längeren Rede gerissen, um ihm
zu schaden, so der Politiker, der erst kürzlich für Schlagzeilen sorgte, weil er - trotz einer bescheidenen Vermögenserklärung - regelmäßig mit einem sündteuren getunten
Sportdienstwagen vor dem Parlament aufkreuzte.
Die Reaktionen auf das Lázár-Leaks waren so heftig, wie sie immer bei derartigen
Trivialgeschichten sind: Am Sonntag fanden sich rund 200 meist junge Menschen vor der Fidesz-Parteizentrale in Budapest ein um gegen Lázár zu protestieren. Die Sozialisten
fühlten sich an die "Lügenrede" ihres Ex-Premiers Gyurcsány 2006 erinnert, als ein Tonband an die Öffentlichkeit gelangte, wo dieser zugab, das Volk systematisch belogen zu haben,
um die Wahlen zu gewinnen. Das MSZP-Vorstandsmitglied Tibor Szányi sagte zum jetzigen Skandal, dass die Äußerungen Lázárs endlich die "wirkliche Meinung der Regierung über die
armen Menschen im Land" aufzeigten, die man in der unsozialen Politik der Flat Tax und der Streichung sozialer Maßnahmen schon erkennen konnte und welche die
Lebensbedingungen von Millionen von Menschen beeinträchtigten.
Die grün-liberale Partei LMP sieht in den Worten Lázárs "eine Demonstration davon, was
Fidesz von der ungarischen Gesellschaft hält" und die rechtsextreme Jobbik ließ ausrichten, dass man empört sei über solche "elitären, arroganten Bemerkungen, die arme Menschen,
die versuchen ehrlich ihr Leben zu bestreiten, erniedrigen" müssten.
Der Vizechef des Fidesz Lajos Kosa ging derweil in den Gegenangriff über und bezichtigte
die Sozialisten der "Manipulation und Desinformation", eine Methode, die sie schon seit geraumer Zeit anwenden. Wer Lázárs Tätigkeit in Hódmezővásárhely kenne, der müsse
doch sehen, was er alles für die Armen und Bedürftigen der Stadt getan habe. Desweiteren kündigte er an, sowohl gegen diejenigen, die das Band an die Öffentlichkeit gebracht
haben, als auch gegen jene, die daraus "verleumderische Schlüsse" gezogen haben, juristisch vorgehen zu wollen.
Der 36jährige, eloquente János Lázár, der einen juristischen Abschluss hat, kann als
typischer Karrierepolitiker gelten, der stets durch eine gewisse Arroganz auffiel und mit seiner Ergebenheit zu Viktor Orbán eine Blitzkarriere hinlegte. Er wurde bereits im Alter
von 27 Jahren Bürgermeister der 50.000-Einwohner-Stadt Hódmezővásárhely. Im Regierungslager spielt er den Provokateur, eine Art Wadenbeißer der Opposition, Orbáns
Terrier sozusagen. Viele umstrittene, von Orbán kommende Gesetzesinitiativen im Parlament werden von ihm initiiert.
Zuletzt fiel er auf, als er nach einer für das Fidesz ungünstigen Entscheidung des
Verfassungsgerichtes, selbiges in Frage stellte und dessen Entmachtung in Budgetfragen durchsetzte, wobei er die "Gerechtigkeit" und den "Volkswillen" über "das Recht" stellte.
Auch den ehemaligen Präsidenten des Landes, László Sólyom griff er heftig an, in einem Interview unterstellte er dem konservativen Verfassungsjuristen, tatenlos dabei zugeschaut
zu haben, wie das Land und seine Menschen verarmte.
Die Affäre ist - freilich genüsslich ausgeschlachtet - vielen
Ungarn durchaus ein weiterer Beleg für die Ignoranz der politischen Klasse gegenüber den Sorgen des "kleinen Mannes" und gerade für das Fidesz,
das sich besonders betont und volksnah von den "Self-made-Milliardären" und "Räubern" auf
sozialistischer Seite abheben wollte, eine ziemliche Blamage, die für weitere politische Verdrossenheit der Mehrheit und Zulauf zu radikalen Elementen sorgen kann und wird.
red.
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