(c) Pester Lloyd / 2006
SZENE _______________________________________________________
Jazzmusik und Neonreklame
Das Akku ist ein Schmelztiegel der alternativen Künste und Technologien
In den 1893 erbauten, teilweise denkmalgeschützten Gebäuden des
Elektrotechnischen Museums, in denen früher die Budapester Stromversorgungsbetriebe untergebracht waren, soll eine Symbiose aus Kunst
und Technik entstehen, wie es sie in Ungarn bisher noch nicht gegeben hat. Vorbild ist das Deutsche Museum in München, eines der weltweit größten
technischen Museen, in dem die Themen der ständigen Ausstellungen von Agrar- und Lebensmitteltechnologien über Luftfahrt bis hin zu Zentrum für
Neue Technologien reichen, in dem aber auch wechselnde Ausstellungen, Konzerte und Vorträge stattfinden.
Ungarns Elektroversorger ELMÜ, der unter
anderen als Sponsor der innovativen Unternehmung fungiert, hat sich in dieser Angelegenheit mit AKKU zusammengetan, der Union Alternativer Kultureller Gemeinschaften,
die Ideen für das Projekt entwickelt. Neben der ständigen technischen Ausstellung sollen junge Künstler eingeladen werden, vorwiegend aus dem Bereich der Bildenden Künste, die
ihre Werke in den weitläufigen Räumen ausstellen können. Für Dr. Norbert Boross, Kommunikationsdirektor der ELMÛ, ist es ein einmaliges Zusammentreffen von Privatinteressen und Firmenhintergrund,
innovative Forschung, künstlerische Kreativität und die Geschichte der Technik lebendig miteinander zu verbinden.
Kultur diskutieren
Das Programm während des Herbstfestivals setzt stark auf die Begegnung
zwischen Menschen, auf fruchtbare Gespräche in einer offenen, ungezwungenen Atmosphäre. Das tägliche Mittagessen um 13 Uhr wird von
Studenten der Budapester Musikakademie mit klassischer Musik begleitet, der man andächtig lauschen kann, während der man sich aber auch angeregt mit
seinen Tischnachbarn unterhalten kann und soll – der Kommunikation wird in dieser neuen Kulturwerkstatt ein hoher Stellenwert beigemessen.
Aus ganz Ungarn wurden Museen eingeladen und jeden Tag stellt eines von
ihnen das „Objekt des Tages“ zur Verfügung, welches ausgestellt und diskutiert werden soll. Ebenfalls täglich wechselnd soll ein bestimmtes Thema
im Mittelpunkt stehen, das dann immer um 16 Uhr von Studenten verschiedenster Fakultäten besprochen wird. Diese nachmittäglichen Treffen
hat AKKU „Starke Welle“ genannt und jeder ist herzlich eingeladen, daran teilzunehmen, sei es aktiv sprechend oder als interessierter Zuhörer. Auch für
das Abendprogramm ist gesorgt: Jeweils um 20 Uhr findet ein Klassikkonzert statt, anschließend geht es dann um 22 Uhr zum Jazz, dem man sich an
Tischen und Stühlen oder auf einem der großen Sofas hingeben kann.
Ganz besondere Ausstellungsobjekte sind die Neonreklameschilder, die draußen
im Hof und teilweise auch drinnen an den Wänden hängen. Sie stammen von der abgerissenen Ladenzeile am Deák Ferenc tér, gegenüber des Madách tér,
und sind liebevoll restauriert und wieder in Stand gesetzt worden. Auch sie seien ein Teil der Geschichte der Hauptstadt, meint Gyula Fekete,
Theaterdirektor und künstlerischer Leiter der AKKU. Über 30 Jahre hätten sie das Erscheinungsbild eines der wichtigsten Plätze geprägt, jeder Budapester
kenne sie, bewusst oder unbewusst, und so seien sie es einfach wert, erhalten zu werden und einen würdigen Platz zu bekommen. Neben jeder Neonreklame
hängt ein kleines Schild, auf dem ihre Geschichte und ehemalige Funktion dargestellt ist – Puzzleteile jüngster Vergangenheit.
Eine Sache des guten Willens
Auch die Tische, an denen früher die
Techniker der E-Werke in den Fabrikhallen gearbeitet haben, stehen nun in den Ausstellungsräumen und können von den Besuchern beispielsweise beim Essen genutzt werden. In einer anderen Ecke
des großen Raumes soll ein Antiquariat entstehen, in dem Bücher verkauft werden; es gibt einen „Projektionsraum“, in dem Filme gezeigt werden sollen,
Dokumentar- und Abschlussfilme von Kunststudenten sowie fremdsprachige Produktionen, der aber auch gleichzeitig eine Cafeteria ist, in der man sich bei
einem Milchkaffee entspannen und unterhalten kann. Ein besonderes Anliegen des AKKU-Projektes sei die Chancengleichheit, so Fekete. Aus diesem Grund
gebe es einen PC-Raum für alle, in dem jeder kabellos das Internet nutzen kann. Auch an Rollstuhlfahrer wurde gedacht: Alle Räume sind schwellenlos
zugänglich und sogar eine behindertenfreundliche Toilette ist hier zu finden. Dies sei alles keine Geldfrage, so Fekete, sondern einzig eine Sache des guten
Willens. Hier soll ein Ort der Begegnung geschaffen werden, „und dazu müssen alle Zutritt haben“.
Der Fabrikstil der Gebäude soll erhalten werden, in dieser neuen
Kulturwerkstatt hat die Funktionalität in jeder Beziehung Vorrang vor der Repräsentativität. Die großen Räume haben Hallencharakter und so entsteht
ein Ort der Offenheit, der aber keineswegs kalt oder leer wirkt. Im Gegenteil, es ist ein Ort der Entstehung. Kreativität braucht Raum zur Entfaltung. Sollte
das Projekt während des Herbstfestivals beim Publikum Anklang finden, sei dies der Startschuss für ein neues kulturelles Zentrum im Herzen der
Hauptstadt, so Dr. Norbert Boross. Dies ist nicht nur dem engagierten Team und der guten Idee zu wünschen, sondern auch der Stadt und ihren Menschen.
Katinka Horváth
(c) Pester Lloyd
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