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Stadtmagazin des Pester Lloyd für Budapest

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Das Auge fährt mit

Die drei wichtigsten Bahnhöfe der Hauptstadt in einem subjektiven Vergleich.

Von jungen Mädchen und häßlichen Entlein, königlichen Wartezimmern und schäbigen Ecken, Zeiten des Aufbruchs und des Verfalls.

Ágnes Csirmaz fährt nach Dresden. Zumindest hatte die 23-jährige Studentin das vor. Statt dessen steht sie seit zwei Stunden am Budapester Ostbahnhof. Planmäßige Abfahrtszeit 9.30 Uhr. Auf weitere Informationen wartete sie seitdem vergebens – wie viele andere, denen die Beine und das Herz schwer wurden. Nicht wegen des Kommenden oder wegen des Abschieds, sondern wegen des bald folgenden öden Beisammensitzens.

Etwas spannender muss es anno dazumal zugegangen sein. Konkret am 15. Juli 1846, denn an diesem Tag begann das Zeitalter der ungarischen Eisenbahn, als der erste dampfgetriebene Zug Ungarns in das etwa 35 Kilometer Donau aufwärts gelegene Vác fuhr. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs das Streckennetz schnell. Allein in den Jahren 1890 bis 1914 entstanden über 11.000 Kilometer Gleisanlagen.

Budapester Ostbahnhof um 1911

Viele Bahnhofsgebäude besaßen spezielle reservierte Wartesäle mit Marmorwänden und edlem Interieur für königliche Besuche. So ist auch im Gebäude des Budapester Westbahnhofs der Wartesaal für die königliche Familie erhalten, von außen erkennbar am über dem Eingang angebrachten Wahlspruch des Kaisers Franz Joseph: Viribus unitis – mit vereinten Kräften.

Junge Mädchen und hässliche Enten

Sein Namen erhielt der Bahnhofsbau dadurch, dass von hier aus die Züge in Richtung Westen, hauptsächlich Wien fuhren. Heutzutage hat sich das Angebot natürlich erweitert und seit kurzem verkehren auch Züge vom und zum internationalen Flughafen Ferihegy. - Nur, wer nach Wien will, der muß jetzt zum Ostbahnhof.

Erbaut wurde das heutige Bahnhofsgebäude zwischen 1874 und 1877 vom Architekturbüro Gustave Eiffel, als Ersatz für den ursprünglichen Bahnhofsbau, der den Erfordernissen des rasch wachsenden Schienenverkehrs nicht mehr entsprach. Als Ende der 1980er Jahre jedoch die Spuren des Alters an der Bausubstanz nagten, suchte die Stadt einen Investor für das ehemalige Bahnhofsrestaurant und fand ihn im Fast-Food-Konzern McDonalds.

Interessanterweise gelang es, die architektonisch attraktiven Räumlichkeiten des Bahnhofsrestaurants den Bedürfnissen eines modernen Schnellrestaurants anzupassen. Einen McDonalds in der Form eines typischen Budapester Kaffeehauses sucht man seitdem andernorts wohl vergebens.

Auffällig ist die große Glasfassade des Westbahnhofes mit den drei weit ausladenden Eingangstüren. Wer dort wartet, muss nicht zwangsläufig ein Reisender sein. Davon kann auch Thomas Keeney berichten. Der Architekturstudent weiß sehr wohl das Ambiente des Westbahnhofs zu schätzen, doch mangelt es ihm manchmal nicht nur an der Übersichtlichkeit und Sauberkeit.

Der Südbahnhof um 1990

„Wenn man von einem jungen Mädchen angesprochen wird, muss sie nicht zwangsläufig nach dem Weg fragen.“ Bis vor einigen Jahren galt der Westbahnhof als Ort der Kinderprostitution. Seitdem sich die Polizeikontrollen verstärkt haben, weichen die Mädchen nun auf die Seitenstraßen um den Nyugati aus.

Wie das hässliche Entlein unter den drei großen Bahnhöfen Budapests erscheint der Déli pályaudvar, der Südbahnhof. Dem Namen gemäß verkehren hier vornehmlich Züge Richtung Süden, nach Székesfehérvár oder Pécs. Der Bahnhof liegt unmittelbar unterhalb der Budaer Burg, getrennt durch eine großzügige Parkanlage. Das war es dann auch schon, ist man geneigt zu sagen.

Auch Thomas Keeney fällt wenig dazu ein. „1960er, 70er Jahre würde ich meinen. Das sagt ja alles.“ Falsch liegt er nicht. Zwar gab es hier bereits 1861 eine Bahnhaltestelle, doch erst 1960 begann die Rekonstruktion des Bahnhofs. Der gesamte Komplex wurde 1975 fertiggestellt. Man ist sich wohl bewusst, dass der Déli einige Schönheitskorrekturen nötig hätte. Mit Hilfe von Privatkapital wird zur Zeit der komplette Umbau des Bahnhofs geplant, an dem vor allem Inlandzüge verkehren. Werktags wimmelt es geradezu von Pendlern aus der näheren Umgebung der Hauptstadt.

Ort zum Entdecken

Ästhetisch in einer höheren Liga spielt der Ostbahnhof. Die Gegend um den Keleti, wie ihn Einheimische nennen, lädt wenig zum Flanieren ein. Der imposante Neorenaissancebau selbst ist aber ein wahrer Augenschmaus und putzt sich allmählich heraus. Nach drei Jahren Bauzeit wurde dieser wichtigste unter den drei großen Bahnhöfen Budapests 1884 in Betrieb genommen. Zur Eröffnung galt er als einer der modernsten Bahnhöfe Mitteleuropas, da er als einer der ersten über eine elektrische Beleuchtung und ein zentrales Stellwerk verfügte.

Als einziger der drei großen Bahnhöfe Budapests trägt der Keleti Pályaudvar seinen Namen aufgrund seiner Lage auch zurecht. Ursprünglich verkehrten hier hauptsächlich Züge nach Osten bzw. Süd-Osten, zum Beispiel Debrecen oder Békéscsaba. Mittlerweile halten hier aber die meisten internationalen Züge, insbesondere sämtliche nach Ungarn verkehrenden EuroCity der Deutschen Bahn.

An den Bahnsteigen wimmelt es von Rucksacktouristen, die von hier aus Mitteleuropa entdecken wollen. Geschäftsmänner hasten eilig zum Zug, die Pendler lassen es etwas gemütlicher angehen. Hier und da nehmen Paare Abschied voneinander, bevor der Zug im Nebel verschwindet.

Der Westbahnhof heute

Abgesehen vom praktischen Gesichtspunkt ist der Bahnhofsbau auch ein Ort zum Entdecken. An der schon von weitem sichtbaren Vorderseite des Keleti ehren zwei Statuen die Erfinder der Dampfmaschine und der Dampflok, James Watt und George Stephenson. Im Inneren wurde nach Renovierungsarbeiten gerade erst ein neuer Flügel eröffnet, der mit seinen Wandmalereien fast an ein Museum erinnert.

Auch das Bahnhofsrestaurant besticht durch eine prachtvolle Deko. Der Charme des Keleti muss es auch der Popsängerin Sarah Connor angetan haben, schließlich drehte sie hier das Musikvideo zu ihrer Single „From Sarah With Love“.

Der Keleti ist nicht nur Ort von Willkommen und Abschied, sondern zugleich Verkehrsknotenpunkt, denn dort befinden sich eine Station der Metrolinie 2 sowie der Baross tér. Namensgeber Gábor Baross hatte im Industriezeitalter enormen Anteil an der Entwicklung der ungarischen Staatsbahnen.

Auch die im Bau befindliche Metrolinie 4 wird nach ihrer Fertigstellung 2011 den Keleti kreuzen. Bis dahin muss sich der Reisende noch gedulden. Nicht länger warten muss Ágnes Csirmaz. Ihr Zug nach Dresden setzt sich mit zweieinhalbstündiger Verspätung in Bewegung. Sauer ist sie nicht. „Das Auge fährt schließlich mit“, sagt sie und steigt lächelnd in den Zug.

Sebastian Garthoff

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