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Simpel gegen den Verfall

Das “Szimpla kert” in Budapest

Alternative Lokale wie der „Szimpla kert“ blasen frischen Wind in die alten Gemäuer des jüdischen Viertels, dass durch skrupellose Bezirkspolitiker zum spekulativen Abrissviertel verkommen ist.

Das historische jüdische Viertel in Budapests VII. Bezirk hatte seit der Wende einiges zu leiden und nicht wenig seiner Substanz eingebüßt. Doch es geht auch anders. Alternative Lokale wie der bereits international bekannte „Szimpla kert“ blasen frischen Wind in die alten Gemäuer des Viertels und zeigen, dass auch in abbruchreifen Häusern unheimlich viel Potential stecken kann. Jedem zum Gefallen ist es trotzdem nicht. Halb am Leben, halb etwas anderes.

Nicht nur trifft dies auf jene Leute zu, die am Abend zuvor in den alternativen Szene- Lokalen etwas über die Stränge geschlagen haben, sondern auch auf Budapests jüdisches Viertel allgemein. In kommunistischen Zeiten weitestgehend ignoriert kamen mit der Wende die Investoren, denen am schnellen Geld mehr gelegen war als an einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Für junges Leben schien kein Platz mehr zu sein, gäbe es da nicht den „Szimpla kert“ (auf Deutsch: Simpler Garten), der 2001 als Vorreiter mit bescheidensten Mitteln anfing und dessen Ruf als In-Location mittlerweile bereits weit über Budapests und Ungarns Grenzen hinaus reicht.

Um die 800 Gäste täglich strömen in diese ehemalige Stahlfabrik in der Kazinczy utca, um die Atmosphäre zu genießen, die zwischen unverputzten Wänden, Sperrmüllmöbeln und Theken die Luft schwängert. Ruinen-Café wäre eine passende Beschreibung, doch die mögen die Verantwortlichen gar nicht, denn schließlich ist der „Szimpla kert“ kein Abrissprojekt.

Als vier ehemalige Studienkollegen 2001 den „Szimpla kert“ gründeten, stellte sich von vornherein die Frage, ob es möglich sei, eine alternative Kultureinrichtung zu finanzieren, abbruchreife Gebäude weiterhin zu nutzen, eine anspruchsvolle Cuisine zu bieten sowie vielschichtige kulturelle Veranstaltungen zu organisieren. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet ist die Antwort eindeutig: Ja, es ist möglich!

Eine Hand wäscht die andere

Dass der „Szimpla kert“ heutzutage aber fast Alleinstellungsmerkmal genießt, ist nicht im geringen Maße der Verwaltung des VII. Budapester Bezirks zu verdanken. Um Grundstücke für gutes Geld an den Mann zu bringen, werden Kleinunternehmern und Gewerbetreibenden gerne Knüppel zwischen die Beine geworfen. Viele haben das Viertel schon längst verlassen beziehungsweise wurden gegangen. Oft kann auch die Denkmalschutzbehörde nur machtlos zusehen, wie das architektonische Erbe des jüdischen Viertels verschachert wird. „Machtlos, zahnlos, inkompetent und geldlos“, bringt Martin Fejer von der Bürgerinitiative „Óvás!“ deren Funktion unmissverständlich auf den Punkt.

Die Fäden werden von der sozialistischen Bezirksverwaltung gezogen, auch mit Unterstützung der rechtskonservativen Opposition. In der Stadtverwaltung haben die 23 Bezirke das Sagen. Konkret heißt das, dass sich bei umstrittenen Bauprojekten gegenseitig die nötigen Stimmen zugeschoben werden. Eine Hand wäscht die andere. „Der Oberbürgermeister kann bei solchen dubiosen Projekten nur hilflos zusehen, während die Bezirksverwaltungen einen wahren Kuhhandel treiben“, findet Martin Fejer.

„Óvás!“, zu Deutsch „Einspruch“ heißt die Bürgerinitiative, die gegen den Abriss und die rücksichtslose Sanierung der Erzsébetváros mobil macht. Mit Protest-Demonstrationen, Stadtrundgängen, Podiumsdiskussionen und Ausstellungen versuchen die „Ovas!“-Leute die historische Bedeutung der Elisabethstadt in das öffentliche Bewusstsein zu bringen und zu retten, was noch zu retten ist. Mit wenig Geld und viel Engagement leistet man zivilen Widerstand gegen die derzeitige Baupolitik. „Fahrradparkplätze muss man ihnen zuschreiben, ansonsten scheint die Bezirkspolitik aber keine kulturellen oder langfristigen wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen“, kritisiert Martin Fejer.

„An einem Szene-Bezirk besteht offensichtlich kein Interesse.“ Das Ziel von „Óvás!“ jedenfalls ist kompromisslos: Ein totaler Abrissstopp in der Erzsébetváros, wo der Geist des alten Budapest sonst langsam vor die Hunde geht. 1786 ermöglichte das Toleranzedikt des österreichischen Kaisers Josef II. die Ansiedlung von Juden knapp außerhalb der Budapester Stadtmauer. Und so konnte sich in der heutigen Erzsébetváros ein eigenständiges jüdisches Stadtviertel entwickeln, mit allem, was dazugehört: Handwerksbetrieben, koscheren Lebensmittelgeschäften, Cafés, Restaurants und Synagogen. Dem pulsierenden Leben wurde jedoch im Zweiten Weltkrieg ein jähes Ende gesetzt.

60.000 Menschen waren damals im jüdischen Ghetto monatelang zusammengepfercht. Viele von ihnen sind dem Holocaust zum Opfer gefallen, aber mehr als die Hälfte konnte überleben. Viele der Überlebenden emigrierten erst nach dem Krieg, weil sie im Kommunismus keine Zukunft mehr für sich sahen. Aber einige blieben auch in der Erzsébetváros. Das Durchschnittsalter des Viertels in der Innenstadt ist heute das höchste von ganz Budapest.

Kein Geld, dafür umso mehr Ideen

Doch auch junges, lebendiges Leben gibt es wieder in den alten Gemäuern des jüdischen Viertels. Neben ein paar neu eröffneten kleinen Restaurants und einem jiddischen Cabarét ist es vor allem der „Szimpla Kert“, in dem das junge und jung gebliebene Publikum verkehrt, darunter auch viele ausländische Gäste. Zu ihnen gehört die attraktive Zeitungspraktikantin Lene. „Du siehst aus wie ein russischer Panzerfahrer“, sagte ihr dort neulich ein Ungar zu fortgeschrittener Stunde. Keine Beleidigung, sondern ein Flirtversuch der anderen Art. Für die erwähnte Zeitungspraktikantin und ihre Kollegen ist der „Szimpla kert“ trotzdem schnell eine Art zweite Redaktion geworden.

In den dämmrigen Nischen des Gebäudes mit den Bars, alten Couchgarnituren, Wiener Caféhaus-Tischen, ausrangierten Telefonkabinen und Postkästen lässt sich in der Tat kreativ sein. Mit fortgeschrittener Stunde erhöht sich aber zwangsläufig auch der Geräuschpegel und dies nicht jedem zum Gefallen. Deswegen „gab und gibt es“ auch Probleme mit der Bezirksverwaltung, sagt der Geschäftsführer Attila Busák.

Zeitweise war das Lokal gezwungen, jeden Tag pünktlich um Mitternacht zu schließen. Das Gebäude selbst ist für die Verwaltung jedoch nicht angreifbar, da es nicht nur denkmal-, sondern auch UNESCO-geschützt ist. Die Szimpla-Welt jedenfalls floriert. Einige Straßen weiter gibt es das „Szimpla Café“ sowie das „Dupla Restaurant“, die über einen Keller miteinander verbunden sind. Darüber hinaus existiert auch ein Ableger in Berlin.

Kein Wunder also, dass sich der Ort, beziehungsweise die Marke „Szimpla“, in Europa einen Namen gemacht hat und zu einem beliebten Treffpunkt für junge Leute vom ganzen Kontinent geworden ist, die mit den Billigfliegern schon Mal für einen Kneipenabend in die ungarische Hauptstadt jetten. Umgekehrt hat Attila Busák auch bereits in Amsterdamer Coffee-Shops den Namen „Szimpla“ auf Tische gekritzelt gesehen.

„Es war zur Jahrtausendwende, als die Idee entstand, die alten Häuser des Bezirks trotz ihres schlechten Zustandes eine Zeitlang zu verwenden“, sagt er. Geld war keines vorhanden, umso mehr aber Ideen. Es gelang den Gründern, eine billige Miete auszuhandeln, und befreundete Architekten halfen ihnen, dass die einsturzgefährdeten Gemäuer fachgerecht gesichert wurden. Möbel und Einrichtung besorgten sie sich auf dem Flohmarkt oder von Freunden und Bekannten. „Wir konnten nie für eine lange Zeit denken, wir haben also einfach aufgebaut, so billig wie es möglich ist. Trotz der Billigkeit wollten wir auch, dass es gut aussieht.“

Dass der „Szimpla kert“ heute quasi Alleinstellungsmerkmal besitzt, hat auch mit dem Mangel an Alternativen zu tun. Zwar gab es in der Erzsébetváros vor einigen Jahren einen Boom für alternative Szenekneipen, doch der ist inzwischen wieder vorbei. Zu Hochzeiten gab es sechs, sieben Open-Air-Bars in der Umgebung. Doch dann hat hauptsächlich die Bezirksverwaltung ihre Meinung geändert und wollte diese Entwicklung ein bisschen eindämmen. Der Bezirk kündigte den Läden, die in seinen Immobilien aufgemacht hatten, kurzerhand die Verträge. Die Häuser stehen jetzt wieder leer und warten auf den Abriss.

Hoffnungslos ist die Lage aber keineswegs, befinden sich in der näheren Umgebung mit dem „Mumus“, dem „Szóda“ oder dem „Tûzraktér“ weitere Lokalitäten ähnlichen Charakters. Ob es Budapests jüdisches Viertel trotz allem schafft, ein Szene-Viertel zu werden, sei dahingestellt. Auch Attila Busák ist auf die Zukunft gespannt. Der „Szimpla kert“ wird jedenfalls weiterhin seinen Mann stehen – bis Mitternacht und darüber hinaus.

Sebastian Garthoff

Fotos: Szimpla kert
www.szimpla.hu

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