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(c) Pester Lloyd / 13 - 2012     POLITIK   27.03.2012

 

Legibus solutus

Freispruch trotz erdrückender Beweise für Präsidenten von Ungarn - UPDATE 29.3.

Mittlerweile überholt, die aktuellen Entwicklungen hier, ein Kommentar dazu hier

Schon einen Tag bevor eine universitäre Untersuchungskommission ihr Ergebnis der Prüfung der Doktorarbeit von Staatspräsident Pál Schmitt vorlegte, wusste die regierungstreue Presse schon das Ergebnis. Die Tageszeitung "Magyar Nemzet" will erfahren haben, dass die Kommission in ihrem Urteil zu einem "nicht schuldig" hinsichtlich der massiven Plagiatsvorwürfe gekommen ist.

Und so war es dann auch. Der Bericht ist zu dem Schluss gekommen, dass die 1992 abgelieferte Doktorarbeit "nach den damaligen Anforderungen rechtmäßig" erstellt worden sei und den Statuten der Uni entsprach. Daher könne es keinen Entzug des Doktortitels geben.

UPDATE, 27.3., 17 Uhr: Mittlerweile hat die fünfköpfige Kommission eine Zusammenfassung des hunderte Seiten umfassenden Gutachtens veröffentlicht. Darin wird bestätigt, dass die Doktorarbeit des Präsidenten fast vollständig ein Plagiat ist, man spricht von “auffallend häufigen Wortübereinstimmungen”. Das veranlasst die Kommission jedoch nicht zum Entzug des Doktortitels von Schmitt, vielmehr wird der Hoschschule und den damals Verantwortlichen der Vorwurf der Schlamperei gemacht und das “damalige System” als Schuldiger benannt. Während alle Oppositionsparteien den sofortigen Rücktritt Schmitts verlangen, hat die Regierungspartei lediglich einige gesetzliche Änderungen angekündigt, die genauer definieren sollen, wie, wann und durch wen ein Präsident zurücktreten kann, soll oder muss. ---

UPDATE, 27.3., 22 Uhr, 28.3. 8.30 Uhr: Auch die Namen der fünf Kommissionsmitglieder sind mittlerweile bekannt geworden. Dabei kam heraus, dass der Jury-Vorsitzende, Dr. Miklós Tóth, während des Prüfungsverfahrens in den Vorstand des Nationalen Olympischen Komitees berufen wurde und diese Berufung auch angenommen hat. (Details dazu bei Pusztaranger) Staatspräsident Schmitt war bis 2010 NOK-Präsident und ist heute sein Ehrenvorsitzender. Für Fidesz-Parteisprecherin Selmeczi ist die Angelegenheit nun amtlich erledigt, Konsequenzen für den Überführten gibt es keine, der “Richter” wird für seine Milde vom Beschuldigten belohnt, Ungarn erringt damit offiziell den Titel Bananenrepublik, auch die internationalen Reaktionen sind verheerend. ---

UPDATE, 29.3, Professorenkollegium entzieht Präsident von Ungarn den Doktortitel

Doch noch ein Paukenschlag am Tag danach. Auf seiner Sitzung am Donnerstagmorgen hat das oberste akademische Gremium der Semmelweiß-Universität sich mehrheitlich für den Entzug des Doktortitels von Pál Schmitt ausgesprochen, 18 der 22 Mitglieder waren bei der Sitzung anwesend, eine "deutliche Mehrheit", 16:2 Stimmen, habe sich für den Titelentzug ausgesprochen und sich dabei auf den Bericht der fünfköpfigen universitären Untersuchungskommission berufen.

Schmitt hatte - aus Südkorea - auf das Urteil der Kommission reagiert und fühlte sich "entlastet", an einen Rücktritt hatte er ohnhein "nie gedacht". Welche politischen Konsequenzen der Entzug des Doktortitels - für die Professoren, nicht den Präsidenten - haben kann, bleibt abzuwarten, ein mutiger Schritt ist die Entscheidung im heutigen Ungarn allemal.

Die Kommission an der Semmelweiß Universität, in die die damalige Sporthochschule zwischenzeitlich eingegliedert wurde, hatte sich erst auf massiven Druck der Öffentlichkeit, vor allem der noch unabhängigen Medien, formiert. Die Uni verweigerte jedoch bis heute die Namen der Kommissions-Mitglieder mit der Begründung, so seien sie nicht beeinflussbar. Freilich sind sie so auch nicht zur Rechenschaft zu ziehen, egal wie das Urteil ausfällt oder zu Stande gekommen ist. Bewahrheitet sich der Freispruch, kann man von einem "Legibus solutus" ausgehen, einer Entbindung von Gesetzen für Herrscher, wie sie im alten Rom von den Kaisern beansprucht wurden, hier gilt sie für einen Schützling desselben.

Journalisten des Wochenmagazin HVG hatten Anfang des Jahres bereits schwarz auf weiß nachgewiesen, dass der heutige Präsident damals rund 180 von 215 Seiten praktisch wörtlich aus der Arbeit eines Kollegen beim IOC, dem mittlerweile verstorbenen bulgarischen Sportwissenschaftler Nikolai Gergiev, übernommen hatte, weitere 17 Seiten sollen vom deutschen Sportzoziologen Klaus Heinemann, ebenfalls Wort für Wort, kopiert worden sein, am Ende blieben nur ein gutes Dutzend Seiten übrig, bei denen man bisher keine fremde Autorenschaft fand. Die Bibliothek nahm das Beweismittel danach unter Verschluss und unterband weitere Untersuchungen. Dennoch liegt der Wortlaut, sowohl der Arbeit selbst wie auch des Originals vor. Eine Gegenüberstellung der HVG finden Sie als Beispiel hier.

In ersten Stellungnahmen ließ Schmitt Anfang des Jahres über das Präsidialamt dementieren, seine Fidesz-Partei sprach reflexartig von einer bösartigen Kampagne, auf die man nicht weiter eingehen werde. Später versuchte sich Schmitt damit zu rechtfertigen, dass so eine großartige akademische Körperschaft wohl schwerlich eine gefälschte Doktorarbeit mit "summa cum laude" prämieren werde und sich die Arbeitsgebiete von Gergiev und ihm eben "überschnitten" hätten.

 

Der ehemalige Olympia-Sportler und Sportfunktionär Schmitt wurde auf persönlichen Wunsch von Premier Orbán als Präsident installiert, weil er - im Gegensatz zu seinem konservativen, verfassungsrechtlich gebildeten Vorgänger Sólyom, als kritikloser Karrierist bereit war, alles zu unterschreiben was Orbán ihm vorlegt, u.a. die Verfassung und alle 360 bisher verabschiedeten Gesetze, wovon nicht eines abgewiesen oder wenigstens kommentiert oder zur Prüfung an Parlament oder Verfassungsgericht gesendet wurde.

Die Plagiatsaffäre hat die Rest-Reputation des Präsidenten, der sich auch sonst bei seinen öffentlichen Äußerungen oft intellektuell entblößte, schwer beschädigt, eine Mehrheit der Ungarn sähe ihn lieber aus dem Amt entfernt. Umfragen unter Parlamentariern aller Parteien sehen jedoch nicht, dass Orbán Schmitt sobald austauschen wird, am häufigsten war die lapidare Antwort zu hören, dass das Präsidentenamt ohnehin nur noch formal existiert und es letztlich gleichgültig sei, ob ein Orbantreuer mit oder ohne Doktorarbeit das Stempelkissen bedient.

red.

CHRONIK  DER PLAGIATSAFFÄRE

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