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(c) Pester Lloyd / 17 - 2012     POLITIK 26.04.2012

 

Mogelpackung

Verzerrungen und Wähler 2. Klasse im neuen Wahlrecht für Ungarn

Das Budapester Büro der Friedrich-Ebert Stiftung und das Political Capital Institut haben eine Studie über das zukünftige Wahlrecht in Ungarn herausgegeben. Darin werden eine ganze Reihe fragwürdiger Regelungen und undemokratischer Tendenzen aufgedeckt. Doch besonders das Wahlrecht für Auslandsungarn birgt hohe politische Risiken. Wird es in Ungarn zukünftig noch faire Wahlen geben?

Detailregelungen zum neuen Wahlrecht finden Sie in diesem Beitrag
Mehr zum "Außenpolitischen Minenfeld" des Wahlrechts für Auslandsungarn hier
 

Die Neuordnung der Wahlkreise – Gerrymandering im 21. Jahrhundert

Der ehemalige Gouverneur von Massachusetts, Elbridge Gerry, wollte schon Ende des 18. Jahrhunderts besonders clever sein und zerschnitt die Wahlbezirke derart, dass es quasi nur Mehrheiten für seine Partei geben konnte. Er schaffte dies, indem er Ballungen von Gebieten in denen die Opposition die klare Mehrheit gehabt hätte, mäanderartig aufteilte, sodass sich merkwürdig geformte, aber mit der passenden Mehrheit ausgestattete Wahlkreise bildeten.

Die ungarische Regierungspartei Fidesz benutzt nun diese als "Gerrymandering" bekannt gewordene Taktik im großen Stil bei der Wahlrechtsreform. Da schließlich die Abgeordnetenzahl radikal reduziert wird, muss auch die Anzahl der Bezirke reduziert werden – und folglich neu zugeschnitten. Der Clou ist, im Gesetz wird festgelegt, dass eine zukünftige Neuordnung nur per 2/3-Mehrheit im Parlament möglich ist. Somit ist die zukünftige Ordnung für voraussichtlich lange Zeit festgeschrieben, da die Opposition in den nächsten Jahren wohl keine entsprechende Mehrheit erreichen wird.

Außerdem gab es bei der Neuordnung der Bezirke keinerlei Transparenz oder Hinzuziehung von Experten. Zukünftig werden Wahlbezirke mit tendenziell eher „linkem“ Wählerpotenzial durchschnittlich erheblich größer sein als solche mit „rechtem“ Wählerpotenzial. Demnach wird in den linken Wahlkreisen eine höhere Mobilisierung benötigt und die Stimmen haben im Endeffekt nicht denselben Wert (da man in den rechten Bezirken weniger Wähler benötigt um einen Abgeordneten direkt zu wählen). Dies führt dazu, dass bei gleicher absoluter Stimmenanzahl Fidesz zehn Abgeordnete mehr als die MSZP erhalten würde, sollte jeder seine "Hochburgen" sichern können.

Auslandsungarn – Wahlbürger der zweiten Klasse

Fidesz hatte seinen Schwesterparteien in den ungarischen Nachbarländern versprochen, dass die Auslandsungarn auch für Ungarn zukünftig wählen dürften.
Wie hier bereits angedeutet, hat dieses Wahlrecht für Auslandsungarn potenziell starke Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen in der Region, schließlich handelt es sich im Zusammenspiel mit der Erteilung der Staatsbürgerschaft für Auslandsungarn um einen Eingriff in nationale Hoheitsrechte bzw. eine Attacke auf die staatsbürgerliche Loyalität, sagen die betroffenen Regierungen und so schätzen auch viele Völkerrechtler ein. Abgesehen davon hat das geplante Wahlrecht keine Vorteile für die Auslandsungarn, denn wen immer sie in Ungarn wählen, an ihrem Wohnort kann er nichts ausrichten. Im Endeffekt sind sie nämlich Wahlbürger zweiter Klasse.

Die „normalen“ Ungarn haben zwei Stimmen, eine Listen- und eine Kandidatenstimme. Die Auslandsungarn nur die Listenstimme. Da außerdem 106 Abgeordnete per Direktwahl und nur maximal 93 per Listenwahl gewählt werden, ist die Stimme der Auslandsungarn viel weniger wert. Laut Prognosen würde die Zahl der von Auslandsungarn abgegebenen Stimmen maximal (nach optimistischen Schätzungen) 10% der Gesamtzahl der Listenstimmen betragen. Für die Gesamtzahl der Mandate würde sich somit nur eine Auswirkung von 3% ergeben. Denn auch ein passives Wahlrecht werden sie nicht haben. Die Tatsache den Auslandsungarn nur das aktive Wahlrecht zu erteilen, ist wegen der dadurch provozierten staatsbürgerlichen Loyalitätsspaltung zumindest fragwürdig, diese Umsetzung jedoch insgesamt undemokratisch und selbst im nationalistischen Sinne des Fidesz ungerecht.

Neues Registrierungsmodell

 

Fidesz plant weiter, dass sich zukünftig Wähler vor den Wahlen aktiv registrieren lassen – eine in Ungarn bislang unbekannte Praxis. Außerdem soll diese Registrierung laut Medienangaben eventuell sogar nur bis drei Monate vor den Wahlen möglich sein. Politikverdrossenheit kann so nicht bekämpft werden und unentschlossene und Frustrierte werden so nicht motiviert. Parteien mit einem großen Apparat hätten jedoch den Vorteil, dass sie ihre Wähler besser dazu motivieren und zur Registrierung auffordern könnten. Eine solche Registrierung bis drei Monate vor den Wahlen wäre eine weltweit ziemlich einmalige Sache.

Offensichtlich versucht Fidesz mit dem neuen Wahlrecht – wie auch schon mit
der neuen Verfassung ()- seine Mehrheit auch zukünftig zu sichern bzw. sämtliche grenzwertig demokratischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Wählerwillen in Zukunft möglichst wenig ausgeliefert zu sein. Es gibt Projektionen, wonach die Zweidrittelmehrheit des Fidesz aus dem Jahre 2010, bei gleicher Stimmenanzahl unter dem neuen Wahlrecht eine 3/4-Mehrheit geworden wäre. Damit dürfte die Motivfrage geklärt sein. Die Demokratie wird dem Machthunger untergeordnet, wieder einmal. Leider erklärt sich die EU für die Regelung dieser Fragen wieder einmal nicht zuständig, die nationalen Regierungen wünschen hier keine “EU-Kompetenz”, man kann sich denken, warum...

Philipp Karl

 

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