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(c) Pester Lloyd / 25 - 2012     POLITIK 21.06.2012

 

Die braune Linie überschritten

Wenig Protest gegen wachsende Präsenz von Neonazis in Ungarn

Am vergangenen Sonntag demonstrierten in Budapest nur einige Hundert Menschen gegen Rassismus, den Horthy-Kult, die wachsende Präsenz und Duldung von Neonazis in Ungarn. International wachsen “Sorge und Empörung”, doch der große Schulterschluss der Demokraten in Ungarn und Europa blieb bisher aus. Die Regierung entzieht sich ihrer Verantwortung gegen den erstarkenden Faschismus im Lande, bereitet ihm durch ihre Politik sogar den Boden. Der Parlamentspräsident setzt sich sogar an die Spitze der Bewegung.

Engagement von Einzelpersonen

Die Demonstration am Sonntag war von drei parteiunabhängigen Frauen organisiert worden, die Parteien MSZP, DK und auch die Gewerkschaftsbewegung Szolidaritás hatten ihre Unterstützung zugesagt und stellten auch Redner, warfen ihre Mobilisierungsmaschinen jedoch nicht an. Der Impuls für die Demonstration kam mitten aus der Gesellschaft, nicht von gut strukturierten Parteiorganisationen, die ihre Anhänger aus ganz Ungarn ankarren können.

Die grün-liberale Parlamentspartei LMP, ebenso die Bewegungen 4K! und Milla nahmen - aus welchen Gründen immer - nicht an der Demonstration teil. Ein Trauerspiel, dass sich die demokratisch-liberale Opposition in Ungarn heute nicht einmal beim Thema Faschismus auf eine gemeinsame Aktion einigen kann. Neben Aktivisten und Bürgern kamen auch einige bekanntere Intellektuelle – übrigens auch aus dem konservativen Spektrum, darunter Dramaturgen, Regisseure und Philosophen. Abschreckend auf einige Bürger dürfte auch die Ankündigung einer faschistischen Gegendemonstration gewirkt haben, auch wenn am Ende nur ein paar Dutzend Horthys "Ehre" verteidigen mochten, ein großes Polizeiaufgebot samt Hundestaffel und Absperrungen musste für einen weitgehend friedlichen Verlauf sorgen.

Wie bereits berichtet, protestieren die Demonstranten gegen die sich häufenden Auftritte von Neonazis im öffentlichen Raum, ein Phänomen, das es so in praktisch jedem Land in Europa gibt, mal mehr, mal weniger. Was die Demonstranten jedoch wirklich umtreibt, ist die "Verbürgerlichung" der faschistischen Ideologie, durch die Verquickung von - auch regierungsamtlichem - Geschichtsrevisionismus, der revisionistisch-nationalistischen Nachbarschaftspolitik der Orbán-Regierung mit den politischen Zielen der neofaschistischen Partei Jobbik, die schlicht über das Drohbild der Wählerabwanderung ihre Politik immer stärker umsetzen kann, in dem sie der Regierung ihre Themen und sogar ihren Stil aufdrängt.

Mehr zum neuen Horthy-Kult in Ungarn + Regierungspartei organisiert Lesung für Nazipolitiker + Attacke auf ehemaligen Oberrabiner + Wallenberg-Denkmal geschändet + Pogromstimmung: Nazis stürzen sich auf “Liberale” + Parlamentspräsident bei Ehrung eines Antisemiten in Rumänien + Antisemitische Blut-und-Boden-Schrifsteller im nationalen Lehrplan + Amtlicher Geschichtsrevisionismus in Ungarn

Weiterhin empfehlen wir für Hintergrundinfos das Stichwort "Jobbik", für die Ursachensuche "Armut" und für die Auswirkungen "Roma" in unsere Volltextsuche einzugeben

Internationale Reaktionen

 

Die Ereignisse der letzten Wochen, vor allem die offizielle Reinwaschung des Nazi-Politiker und Blut-und-Boden-Schriftsteller, die Duldung des neuen Horthy-Kultes bis hin zur offenen Geschichtsrelativierung seitens des Premiers auch in Interviews mit westlichen Zeitungen, befördert auch von internationaler Seite vermehrt Kritik. Das United States Holocaust Memorial Museum hatte am Freitag tiefe Sorge über die „Rehabilitierung der faschistischen Ideologen und Führer aus dem Zweiten Weltkrieg" in einer Erklärung auf der Homepage des Museums geäußert. In der Erklärung rief Museumsdirektorin Sara J. Bloomfield die Regierung dazu auf „eindeutig auf alle Formen von Antisemitismus und Rassismus zu verzichten und alles zu tun und jede Form der Ehrung für die Verantwortlichen für den Völkermord an den europäischen Juden abzulehnen." Die Rehabilitierung von Staats-und Regierungschefs oder Ideologen der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen des Szálasi und Horthy-Regimes „ist sowohl eine schwere Beleidigung der Erinnerung an diejenigen, die unter diesen Regimen umgekommen sind und eine zutiefst beunruhigendes Zeichen für Juden und andere Minderheiten in Ungarn.“

Nobelpreisträger meldet sich zu Wort

Der in Ungarn geborene Nobelpreisträger Elie Wiesel hat am Montag in einem Brief an Parlamentssprecher László Kövér angekündigt, den Verdienstordens der Republik Ungarn, den er 2004 bekommen hatte, zurückzugeben. Damit kritisierte er die Unterstützung der ungarischen Regierung für das Wiederbegräbnis József Nyírős. „Mit tiefer Bestürzung und Empörung, habe ich von Ihrer Teilnahme am Festakt in Rumänien zu Ehren József Nyírős, eines Mitgliedes des Nationalsozialistischen Pfeilkreuzler-Parlaments Kenntnis genommen, wo sie mit dem ungarischen Staatssekretär für Kultur Geza Szöcs und dem Parteichef der rechtsextremen Jobbik Gábor Vona teilnahmen, ", sagte Wiesel in dem Brief. Er gab weiter an, er sei auch beunruhigt durch die Nachricht, dass öffentliche Plätze nach Horthy benannt würden, und dass Albert Wass und andere Figuren, die stark mit dem faschistischen Regime kollaboriert haben, rehabilitiert wurden und dass Autoren mit rechtsextremen Ideen in den ungarischen Lehrplan aufgenommen wurden.

Großungarn in den Köpfen und in der Öffentlichkeit

Unterdessen geht die Welle des Geschichtsrevisionismus`in Ungarn immer weiter. Es wurde wieder eine Horthy-Statue in Csókakő im Beisein der Ungarische Garden (Magyár Nemzeti Gárda), rechtsextremer Gruppen wie HVIM (Hatvannegy Vármegye Ifjúsági Mozgalom – Bewegung der 64 Burgkomitate, dies ist die Zahl der Burgkomitate im ehemaligen Großungarn), diverserer weiterer Gruppen und Gruppierungen und dem Fidesz-Bürgermeister György Fűrész eingeweiht. Auch Kirchenvertreter wie der Antisemit Lóránt Hegedűs, von der reformierten Kirche waren anwesend. Der Platz, auf dem die Statue stehen wird, wurde „Großungarn-Platz“ genannt. Fűrész sagte in seiner Ansprache „Die Mädchen sollen gebären, denn das Karpatenbecken gehört denen, die es bevölkern, also tun wir es!“. Außerdem kamen auch Vertreter der Garden und von HVIM zu Wort. Hier ein
Video des Senders noltv. Das ganze Spektakel hatte einen Event- und Volksfest-Charakter. Als besonderes „Schmankerl“ gab es zwischendurch eine Live-Schaltung zum, sich unter Hausarrest befindlichen, rechtsradikalen Terroristen György Budaházy, zur musikalischen Hetze waren noch Rechtsrockbands wie die Romatikus Eröszak u. a, dabei.

Orbán als Wegbereiter für radikale Kräfte

Fassungslos und wieder viel zu spät schaut das Ausland auf Ungarn, dessen Premier meint, dass die Aufstellung von Horthy-Statuen eine Sache der Kommunen ist, die ihn nichts anzugehen habe. Auch sei Horthy und dessen Zeit vielschichtig, als Diktator könne man ihn jedenfalls nicht bezeichnen. Faschismus? Eine deutsche Angelegenheit. Zweiter Weltkrieg? Ein Bürgerkrieg unter christlichen Nationen, in den das unglückliche Ungarn hineingezogen wurde. Die jüdischen Organisationen bekommen Geld vom Staat und einen feuchten Händedruck, wenn ein ehemaliger Oberrabbiner auf offener Straße beleidigt wurde. Neonazis sind ansonsten ein “Randphänomen”, natürlich von böswilligen Medien aufgebauscht. “Diskriminierung von Roma gibt es in Ungarn nicht.” sagte das für Roma zuständige Regierungsmitglied.

Die Verteidiger Orbáns finden das normal und ausreichend. Seine europäischen Parteifreunde schweigen oder plappern etwas von "Kampagne der Linken". Mehr als "Empörung" haben auch die europäischen Linken und Grünen nicht zu bieten. Dabei sind die geschilderten Phänomene seit Jahren ein Fakt, der Boden dazu wurde schon vor Orbán bereitet. Das Desinteresse des Westens wie der merkantil dominierten EU, von gelegentlichen Aufschreien unterbrochen, arbeitete den negativen Entwicklungen in Ungarn auf allen Ebenen in die Hände.

Dass Orbáns gescheiterte Wirtschaftspolitik, sein unsoziales, ständisches Gesellschaftsbild, seine spalterische, ausgrenzende Polemik und sein größenwahnsinniger Charakter sowie seine gewissenlose Umgebung den Boden für all das bereitet, will kaum jemand seiner "Parteifreunde" im In- wie Ausland erkennen. Es wird von Übertreibungen gesprochen, - vor allem aber wird sehr viel gelogen. Orbán hat sich mit seiner Taktiererei vollkommen verrannt, ist aber unfähig zur Umkehr, sein Sendungsbewußtsein steht ihm im Wege. Aufhalten müssen ihn also jetzt andere, am besten das eigene Volk... Ungarn ist nicht auf dem Weg in den Faschismus, aber die Faschisten sind in Ungarn auf dem Weg...

Die rote Linie ist überschritten

Die Neonazis in Ungarn feiern "Volksfeste", marschieren (spazieren) durch Roma-Siedlungen wie eh und je, halten "Schulungen" ab, hetzen tagtäglich, rufen ungestraft zu Straftaten auf, begehen sie selbst, sitzen im Parlament und arbeiten an Gesetzen mit. Am 14. Mai diesen Jahres marschierten tausende Neofaschisten vollkommen ungestört durch die Innenstadt. Parlamenstpräsident Kövér übertrat spätestens durch seinen Auftritt in Rumänien endgültig die rote bzw. braune Linie, die - vermeintlich - bisher die Regierungspartei von den Neonazis trennte. Eigentlich setzte er sich mit seinem Satz, dass Leute wie Nyirö "in unseren Herzen leben" an die Spitze der Bewegung. Praktische Kooperationen auf lokaler Ebene, stillschweigendes Einvernehmen beim
amtlichen Rassismus gegen die Roma, kulturpolitische Geschenke an die Nazis, sind schon lange Fakten mit sehr praktischen Auswirkungen.

 

Wenn die ungarischen Bürger nicht verstehen, was auf dem Spiel steht, nämlich der noch verbliebene demokratische Rechtsstaat, der humanistische Konsens, ist der Weg zurück zur politischen wie menschlichen Barbarei nicht mehr weit. Parteien und Bewegungen, die Taktiererei, "Grundsätze", Eifersüchteleien über den Kampf gegen den erstarkenden Nazismus stellen, machen sich an selbigem mitschuldig, genauso wie ein Europa, das sich nicht rührt und genauso wie eine Regierung, die glaubt, Lippenbekenntnisse befreien von tätiger Verantwortung.

red. / PK / TA    

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