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(c) Pester Lloyd / 26 - 2012     POLITIK 27.06.2012

 

Tod dem Hühnerdieb...

Das neue Strafrecht in Ungarn als Instrument der Politik

Ungarn bekommt ab kommendem Jahr ein neues Strafrecht. Es folgt, wie alle Gesetze dieser Regierung, der politischen Mission ihrer Protagonisten. Dem Volk wird etwas fürs "Gerechtigkeitsempfinden", eine Law-and-Order-Show geboten, dabei schielt man auf die Wähler der extremen Rechten. Strafen werden daher verschärft, "Hühnerdiebe" dürfen künftig erschossen werden, "Selbstverteidigung" wird "genauer" geregelt, Kinder gehen ins Gefängnis, das Verfassungsgericht wird ein weiteres Mal entmannt. Und: die Stephanskrone ist nun auch justiziabel.

Die Aufenthaltsdauer wird sich zukünftig verlängern.

Höhere Strafen erfreuen das Volk

Anfang der Woche verabschiedete das ungarische Parlament das neue Strafgesetzbuch, das seinen rund 30 Jahre alten Vorgänger ab 1. Juli 2013 ersetzen wird, ohne dass es dafür dringenden Bedarf gegeben hätte. Im Parlament stimmte die Regierungsmehrheit mit 243 Stimmen dafür, 45 Abgeordnete von Sozialisten und Grünen votierten mit Nein, 43 Abgeordnete der neofaschistischen Jobbik glänzten durch Abwesenheit. Rechtsexperten halten die Änderungen für populistische Law-and-Order-Politik und aus generalpräventiver Sicht für eine weigehend unnötige Aktion. Doch die Regierung Orbán hatte - vor allem mit Blick auf die Jobbik-Wähler - bereits im Wahlkampf vor über zwei Jahren angekündigt, "Straftäter härter zu bestrafen" und "Ungarn sicherer zu machen." Zumindest ersteres setzt sie nun um.

Justizstaatssekretär Róbert Répássy lobte denn auch in diesem Sinne die "Reform" und nannte das neue Strafrecht "endlich gerecht", nun wären "die Strafen den Vergehen angemessen". "Das neue Strafrecht bestraft in erster Linie die Tat und berücksichtigt erst in zweiter Linie die persönlichen Umstände des Täters." so der Staatssekretär stolz, dessen Rede ziemlich eindeutig auf jene Hausmeister- und Dorfvorstehergemüter zugeschnitten war, die Strafe für das Mittel der Sozialpolitik halten.

Sterben demnächst in Ungarn Menschen, weil sie Holz oder Äpfel klauen?

Was ändert sich? Die Strafbemessungsgrenzen werden ausgeweitet, dass durchschnittliche Strafmaß wird angehoben, vor allem für schwerwiegende Verbrechen, einschließlich Korruption und Amtsmissbrauch, aber auch für Wiederholungstäter bei kleineren Vergehen. Besonders streitbar ist ein Passus zum Recht auf Selbstverteidigung, die wörtlich "als gerechtfertigt gilt, bei nächtlichen Angriffen (tagsüber also nicht? Anm.) durch bewaffnete Personen oder Gruppen oder zur Abwehr bei bewaffnetem Überfall, gemeinschaftlichem Einbruch und Hausfriedensbruch, einschließlich Gärten." Übersetzt: Der tödliche Schuss auf einen "Hühnerdieb" (in Ungarn Synonym für "Zigeuner") dürfte zukünftig straffrei bleiben, Missverständnisse eingesch(l)ossen.

Möglicherweise sterben demnächst in Ungarn also Menschen, weil sie Holz oder ein paar Äpfel klauen. Strafrechtsexperten haben diesen Passus - belegt mit Beispielen aus anderen Ländern - bereits als für die Prävention sinnlos bewertet, mithin ist er ein rein politisches, ja wahltaktisches Zugeständnis an die durch Neonazi-Garden aufgepeitschte Angst vor "Zigeunerkriminalität". Juristen bemängeln zudem die missverständlichen Formulierungen, die gewaltbereite Personen geradezu zum Missbrauch einladen könnten.

Bürgerrechtler und Romahilfsorganisationen sind entsetzt

Besonders kritisch wird auch die Absenkung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 bewertet, ein Schritt, der von zehn Bürgerrechtsgruppen in einer Erklärung scharf kritisiert wurde und als "gezielt" auf die Romaminderheit zugeschneidert betrachtet wird, womit Jobbik die Regierungspartei ein weiteres Mal "vor sich hertreibt". Während auf der einen Seite durch Segregation im Schulbereich, generelle Ausgrenzung aus der Gesellschaft, mangelnde Berufsperspektiven wegen fehlender Angebote und diskriminatorischen Umgang mit diesen Jugendlichen durch die Behörden nichts dafür getan werde, das Abgleiten in Clanstrukturen zu durchbrechen und den Weg in die Kriminalität zu verhindern, wird "zynischerweise" die Bestrafung "auf Kinder ausgedehnt".

Nach dem neuen Strafrecht können auch schon 12jährige hinter Gitter wandern.

Dies gefährde die Zukunft einer ohnehin stigmatisierten Gruppe, der Staat entledigt sich seiner Fürsorge- und Aufsichtspflicht durch Wegsperren. Die Bürgerrechtler wiesen in ihrer Kritik auch daraufhin, dass es schwerwiegende Probleme bei der Integration vieler Roma in die gesellschaftlichen Rechte und Pflichten gibt, dieses Vorgehen aber kontraproduktiv ist und nur den Rassisten und Populisten in die Hände spiele und die ethnischen Friktionen zwischen Mehr- und Minderheit vertiefe. Das Strafrecht in Ungarn betreibt Politik, dazu ist es - in einem Rechtsstaat - nicht gedacht. Ein aktueller Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte belegt solcherart diskrimantorischer Vorgehensweisen.

Ruhigstellen bestimmter Personengruppen

Ähnlich sieht die Lage auch an der Front für weiche Drogen aus: während z.B. das "ungarische Kulturgut", der Massenmörder Pálinka in seiner privaten Herstellung steuerbefreit wird, ist der Besitz und Konsum von weit harmloserem "Gras", der anderswo nur als ein formal durchgeführtes Bagatelldelikt abgehandelt wird, hinfort eine Straftat, bei deren Wiederholung sich die Gefängnisstrafen schnell zu einem halben Dutzend summieren könnten. Will mann bestimmte Personenkreise "ruhigstellen", ergibt das neue Verfahrensrecht auch die Möglichkeit einer Zuweisung an besonders harte Richter irgendwo in der jobbikverseuchten Provinz - ein Beispiel dafür, wie das Strafrecht künftig auch politisch eingesetzt werden kann und wird.
Mehr zum Thema in diesem Beitrag.

Lebenslange Sicherhungsverwahrung ohne Einspruchsrecht höherer Gerichte?

Eine weitere Verschärfung sieht das Strafrecht auch für zu lebenslangen Strafen Verurteilte vor. Lebenslang bedeutet in Ungarn demnach nun wenigstens 25 Jahre Haft, zuvor waren es 20. Auch hier geht es rein um die Psychologie der Zahl, präventivtaktische Belege, dass die nominalen fünf Jahre mehr abschreckend wirken würden, gibt es keine. Das Gericht bekommt bei "besonders schwerer Schuld" und der Befürchtung auf Wiederholung das Recht, eine "Freilassung erst nach 40 Jahren" auszusprechen, übrigens ohne eine Pflicht zur Erstellung von psychologischen Gutachten oder späteren Nachprüfungen.

Dieser Passus enthält den rechtsstaatlich vollkommen unmöglichen Zusatz, dass die 40jährige Verwahrfrist auch ausgesprochen werden kann, "...sogar wenn das Verfassungsgericht oder internationale Gerichte die lebenslange Verwahrung untersagen." Kürzlich hatte ein EU-Gericht die "lebenslange Sicherherungsverwahrung" in Deutschland in grundästzlichen Teilen für unrechtmäßig erklärt. Mit dieser - ebenso unrechtmäßigen - Formulierung wollten die Ungarn ähnlichen Urteilen vorbeugen, der Präsident hätte nun die Pflicht auf diesen rechtsstaatlichen Lapsus hinzuweisen, andernfalls müsste es das Verfassungsgericht tun. Außerdem hat Ungarn mit dieser Formulierung so mirnichtsdirnichts eine Reihe internationaler Abkommen außer Kraft gesetzt.

Umfassende Justizreform

 

Das neue Strafgesetzbuch ist nur ein Teil einer umfassenden Justizreform, zu der die von der EU nun gerichtlich angefochtene Neubesetzung hunderter Richterstellen durch eine "Rentenreform" ebenso zählt, wie die Schaffung einer Kurie als oberstes richterliches Beratungsorgan. Auch wurde eine neue Oberste Richterkammer geschaffen, deren Chefin, eine der Regierungspartei sehr nahestehende Person, nicht nur die Richter selbst be- und versetzen kann und "Richtlinienkompetenz" bei verfahrenstechnischen aber auch juristischen Bewertungen inne hat, sondern auch Fälle "von besonderer Wichtigkeit" nach eigenem Ermessen bestimmten Gerichten zuweisen darf, ein Recht, das sie sich mit dem Generalstaatsnwalt teilt. Weiterhin wurden die Rechte von Verdächtigen beschnitten, ihnen kann bei bestimmten Straftaten nun für bis zu 2 Tagen rechtlicher Beistand verwehrt werden, mit der Begründung, so bessere Beweissicherung betreiben zu können. Eine Regelung, die auch international beeinsprucht wird, da sie einen Grundrechtsverstoß darstellt.

Mehr zur Kritik an der Justizreform u.a. vom Ex-Präsidenten Sólyom
Weitere Beiträge im
“Sündenregister”, Abschnitt Judikaitve

Die Heilige Krone kann heute Ungarn nicht mehr geographisch bezeichnen, aber sie bezeichnet das Volk der Krone, die Bürger dieser Krone... Orbán im Mai 2011


Die "Heilige Krone" wird unantastbar

Neben vielen kleineren Anpassungen und einigen Straffungen schuf der Gesetzgeber noch ein Kuriosum. In Zukunft ist neben der Herabwürdigung der Staatssymbole, des Staates selbst wie seiner Bewohner, auch die "Beleidigung der Heiligen Krone" ein Straftatsbestand. Gemeint ist die Stephanskrone, Symbol und Erinnerung an die Zeit des untergegangenen Königreichs Ungarn, die - aufgebahrt im Parlament, dem Symbol der Republik - durch die neue Verfassung wieder zur "Reichsinsignie" geworden ist, um die sich das Magyarentum in spiritueller Eintracht versammeln möge. Damit ist Ungarn die erste Republik, in der ein monarchistisches Museumsstück zum Nationalsymbol erhoben wird. Wer es ab 1. Juli 2013 wagen sollte, über die famose Árpádenhaube Witzchen zu reißen, kann bis zu ein Jahr ins Gefängnis wandern. (Hier könnten sich die Leser jetzt nochmal austoben...) Der Antrag dazu kam übrigens von Jobbik, Fidesz stimmte eifrig zu. Bei der ebenfalls von Jobbik lautstark geforderten "Wiedereinführung der Todesstrafe" versagten die Orbán-Leute diese Zustimmung. Noch.

red.

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