THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   POLITIK   19.10.2013

 

Für eine Handvoll Forint (II)

Video zu Wahlbetrug in Ungarn eine Bestellung der Opposition?

Anschuldigungen und Spekulationen um den angeblichen Video-Beweis für einen Stimmenkauf durch die Regierungspartei Fidesz bei der Nachwahl in Baja (unser Erstbericht mit dem Video), schossen am Sonntagabend ins Kraut. Zunächst hatte der Staatsfunk M1 Andeutungen gemacht, dass die Polizei bei ihren Ermittlungen "Manipulationen" an der Aufnahme festgestellt habe, nun soll der Täter bestätigt haben, dass die MSZP das Video bestellt habe.

UPDATE, 23.10, 13.00 Uhr: Der Online-Chefredakteur des ungarischen Wochenmagazins HVG (hvg.hu) ist zurückgetreten. HVG.hu hatte am Freitag ein ungeprüftes Video als “klaren Beweis für den Wahlbetrug des Fidesz” bei der Zwischenwahl in Baja publiziert, ohne es näher zu prüfen. HVG ist von Machart, Anspruch und Einfluss in etwa mit dem “Spiegel” in Deutschland zu vergleichen und eine der wenigen bedeutsamen unabhängigen Medien des Landes. Sie ist zu 75% in Besitz der deutschen WAZ-Gruppe, ein Viertel gehört den Mitarbeitern

UPDATE, 22.10., 13.00 Uhr: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz haben MSZP und Gemeinsam 2014 am Dienstagvormittag jede Involvierung in die Erstellung des Videos oder dessen Beauftragung scharf zurückgewiesen. Parteichef Mesterházy sprach von einer “Provokation des Fidesz”. Die Rolle des Parteimitgliedes Király, der die Aufnahme entgegengenommen hatte, sei geklärt, er habe sich korrekt verhalten, die MSZP zur Aufklärung der Umstände beigetragen. Auch die Polizeiberichte stellten dies klar. Fidesz sei die einzige Kraft, die von den Umständen der Veröffentlichung und der Fälschung selbst profitieren konnte, unabhängig davon, ob es einen direkten Einfluss darauf gäbe oder nicht.

UPDATE, 22.10., 10.40 Uhr: Hinweise auf einen Auftraggeber aus den Reihen der MSZP verdichten sich. MSZP-Chef Mesterházy ließ über seinen Sprecher verkünden, dass er eine “parteiinterne Untersuchung” über die Rolle von György Király, Vizesprecher des Sportausschusses der Sozialisten, angeordnet habe. Solle sich herausstellen, dass - wie einer der Beteiligten an der Video-Erstellung behauptet - Király nicht nur das Video entgegengenommen, sondern als “Lehrfilm über möglichen Stimmenkauf” beauftragt habe, würde er umgehend aus der Partei ausgeschlossen. Király wurde bereits von der Polizei zu den Umständen der Übergabe der Aufnahme befragt und mit den Aussagen der anderen Beteiligten konfrontiert. Für die Ermittler stellt sich als zentrale Frage, wer eine solche Aufnahme “brauche”, wem sie nutzt.

UPDATE, 22.10., 8.00 Uhr: Die Polizei bestätigte mittlerweile sechs Personen, die mit der Produktion des Videos in Verbindung gebracht werden, einer davon ist Vertreter einer Roma-Selbstverwaltung, die vier auf dem Video ebenfalls Angehörige der Minderheit, eine weitere Person soll sich im Raum aufgehalten haben. Die Aufnahme wurde demnach am 15.10., also zwei Tage nach dem Wahlgang in Baja angefertigt und soll einen Tag später direkt bei einem Mitarbeiter der MSZP-Parteizentrale abgegeben worden sein, dessen Rolle nun auch von der Polizei näher überprüft wird.

Die Polizei bestätigte eine "gestellte" und “bestellte” Aufnahme, will sich aber nach wie vor zu Hintermännern und Motiven nicht festlegen. Die Regierungspartei Fidesz forderte die MSZP auf, "die Sache in den eigenen Reihen zu klären", diese wiederum warnte jeden, unter Androhung von rechtlichen Schritten davor, die Partei mit der Sache in Verbindung zu bringen, schließlich sei sie selbst es gewesen, die mit der Aufnahme zur Polizei gegangen ist. Im übrigen würde die Machart der Aufnahme "eher den Interessen der Regierungspartei" dienlich sein. Mittlerweile wird auch ein (ehemaliges) Mitglied von Gyurcsánys Partei DK im Dunstkreis der Aufnahme gesichtet, die Partei verneint die Beteiligung, Wahlbetrug würde sie nie akzeptieren...

Die Zeitung HVG, die das Video zuerst öffentlich gestellt hatte, bedauerte, es vorschnell als "klaren Beweis" deklariert zu haben.

UPDATE, Mo, 21.10., 13.10 Uhr: Die Polizei im Komitat Bács-Kiskun hat mittlerweile bestätigt, dass sie davon ausgeht, dass es sich bei der Aufnahme um eine bestellte Inszenierung handelt, sie könne aber noch nicht zuordnen, wer der Auftraggeber ist und mit welchen Motiven er gehandelt hat. Man habe aber insgesamt sechs Beteiligte ermittelt, die nun befragt werden.

Die gegenseitigen Schuldzuweisungen der politischen Lager setzen sich fort, allerdings wird mittlerweile eine dritte, Variante von den Medien beleuchtet, wonach ein “gewöhnlicher Krimineller” das Video mit einer Gruppe Roma inszeniert haben könnte, um dann die eine oder andere politische Seite gewinnbringend unter Druck setzen zu können. Romaktivisten und liberale Kommentatoren sehen den Vorgang - unabhängig von der Schuldzuordnung - als traurigen Beleg dafür, dass die Roma des Landes derart außerhalb des politischen Geschehens gestellt wurden, dass ihnen nur noch der Verkauf ihrer Wählerstimme für ein paar “Glasperlen” oder “ein Kilo Hühnerhintern” als lohnenswertes Engagement erscheine.

Sonntag, 20.10: Die Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Rundunks, Hírado, sowie das Boulevardblatt Blikk äußerten am Sonntag, dass die Polizei von einer Mainpulation ausgehe. Die Boulevardzeitung Blikk wollte es noch genauer wissen als der Staatsender M1. Danach soll der "Regisseur" der 9-Minuten-Aufnahme gegenüber der Polizei ausgesagt haben, dass die MSZP, also die Opposition, das Video in Auftrag gegeben habe. Ein lokaler Abgeordneter sowie ein prominenter Parlamentsmandatar sollen ihn zwei Wochen vor der Nachwahl um einen "Lehrfilm" gebeten haben, wie eine Fidesz-Manipulation der Wahlen aussehen könnte. Die Mitspieler auf dem Video seien als Facebookfreunde des Initators identifiziert worden, die rund 20 Kilometer von Baja entfernt wohnen. Die Abendnachrichten brachten eine ähnliche Version, die regierungsnahe Presse sieht die MSZP-Schuld bereits als erwiesen an. Ein Team des regierungsnahen bis rechtsradikalen HírTV hat den "Hauptdarsteller" des Videos in Baja ausfindig gemacht, der aber angeblich nur gegen die Zahlung von knapp 1.000 EUR bereit war, gegenüber den Reportern über den Fall zu sprechen und sie mit den Worten wegschickte, dass sie erzählen könnten, was sie wollten.

Die MSZP spricht von "komplettem Unsinn", "jeder der es wagt, zu behaupten, wir hätten irgendetwas mit dem Video zu tun, wird verklagt." sagte der Parteisprecher. Fidesz tut das gleiche mit allen, die behaupten, das Video sei echt. Wie wir in unserem Erstbericht bereits festhielten, ist grundsätzlich alles und noch viel mehr denkbar, immerhin sind mehrere Wahlverstöße rund um die Zwischenwahlen in Baja dokumentiert, ein Gericht nahm den illegalen Wählerfahrdienst eines fidesznahen Roma-Funktionärs schließlich zum Anlass für eine Wiederholung der Nachwahl.
Hier die ganze Geschichte. Beide Seiten wurden wegen Verstößen gegen die Wahlkampfordnung abgemaht.

 

Sollten sich die Anschuldigungen gegen die MSZP jedoch als wahr herausstellen, könnte das nach der Lügenrede Gyurcsánys 2006 den nächsten politischen Selbstmord der "Sozialisten" bedeuten, den Wahlparteitag am Samstag hätte man sich dann sparen können. Nicht unbeschädigt geht auch die bisher als renommiert und seriös geltende Zeitung HVG aus der Affäre hervor, die das unverifizierte Material am Freitag als "klaren Beweis" präsentierte. Die "Aufdeckung" der MSZP-Schuld seitens der regierungsnahen Medien am Sonntag geschah zudem auffallend konzertiert. Einen Beweis lieferte bisher jedoch niemand, denn selbst die  polizeiliche Bestätigung über eine "Fälschung" und auch die Aussagen des Täters sagen noch nichts über Quelle und Hintermänner der Aktion aus, bei der nach wie vor beide politischen Seiten sozusagen unter Tatverdacht stehen.

unser Erstbericht mit dem Video

red.

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