THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 47 - 2013 POLITIK 20.11.2013

 

Wächter statt Vermittler

Grundrechtsbeauftrager in Ungarn verhindert Verfassungsprüfung zum Wahlrecht

Der eine Wähler muss im Frühjahr 2014 nur bis zum nächsten Briefkasten, der andere womöglich hunderte Kilometer reisen, um sein Wahlrecht auszuüben. Bürgerrechtler finden das diskriminierend und wollen das vom Verfassungsgericht behandelt wissen. Doch der neuernannte parlamentarische Ombudsmann für Grundrechte, László Székely, der den Weg zum VfG ebnen könnte, hat klargestellt, auf wessen Seite er steht. Er richtet lieber gleich selbst.

THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Ein von seinem Vorgänger, Máté Szabó, angestrengtes Prüfverfahren vor dem Verfassungsgericht, das dieser wegen des Endes seiner Amtszeit nicht fertiggestellen konnte (siehe: Der Letzte seiner Art...), stellte Székely (hier die Umstände seiner Ernennung) ein, da er keine Kollision mit in der Verfassung verankerten Grundrechtsnormen feststellen mochte. Konkret geht es dabei um das Gebot gleicher Wahlbedingungen für Wahlberechtigte, das Szabó und mehrere NGOs durch jüngere Modifikationen im Wahlgesetz verletzt sehen.

In Rumänien, Serbien, der Slowakei richten fidesznahe ungarische Parteien, mit massiver Finanzhilfe aus Budapest, Registrierungsstellen für wahlwillige Diaspora-Ungarn ein, in Deutschland, Großbritannien oder Österreich darf man sich zum Konsulat bequemen...

Wahlberechtigte ungarische Staatsbürger, die noch nie einen Wohnsitz in Ungarn hatten, dürfen sich per Post oder Email ins Wahlregister eintragen lassen und die Wahl selbst per Briefwahl absolvieren. Dies betrifft potentiell vor allem die rund 500.000 ethnischen Ungarn in Rumänien, Serbien und der Slowakei, die den ungarischen Pass in den letzten drei Jahren nach dem vereinfachten Verfahren und damit das aktive Wahlrecht erhalten haben. Mindestens 60.000 davon haben sich bereits für die Wahl im kommenden Frühjahr registrieren lassen. Ganz nebenbei kreiert Ungarn in Serbien, aber auch der Karpatho-Ukraine damit auch Zigtausende Neu-EU-Bürger in einem klaren Verstoß gegen das Schengenabkommen. Aber das ist ein anderes Thema.

Wahlberechtigte ungarische Staatsbürger, die zwar in Ungarn gemeldet sind, zum Zeitpunkt der Wahl aber nicht in Ungarn wohnen sowie solche, die einmal in Ungarn lebten, aber ausgewandert sind, müssen, nach Anmeldung, persönlich bei einem ungarischen Konsulat oder einer Botschaft erscheinen, um von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen zu können. Die Zahlen der potentiell Betroffenen liegt ungefähr genauso hoch wie jene der ersten Gruppe, also mehrere Hunderttausend.

Während Bürgerrechtler vor allem die Ungleichbehandlung an sich anprangern, sieht die linke Opposition einen Versuch der Regierungspartei, mit grundrechtswidrigen Bestimmungen einen Vorteil zu erlangen. Gehen sie nämlich davon aus, dass unter den aus Ungarn aus wirtschaftltlichen, politischen oder sonstigen Gründen Ausgewanderten ein größeres Potential von Oppositionswählern zu finden sei als unter den unter nationaler Propaganda "eingesammelten" Ungarn in den Vor-Trianon-Gebieten, die aus mutmaßlicher Dankbarkeit dafür, dass die Fidesz-Regierung ihre (vermeintlichen) Interessen vertritt, eher der Orbán-Partei zuneigen werden. Kurz: man will es potentiellen Oppositionswählern so schwer wie möglich machen.

Die sich abzeichnende Wahlbeteiligung aller Auslandsungarn einkalkulierend, dürften diese Einfluss auf die Vergabe von 1-3 Mandaten bekommen, was der Interpretation darüber, ob sie wahlentscheidend sein können, freien Spielraum lässt. Allerdings macht es einen Unterschied, einen Brief abzusenden oder mitunter mehrere hundert oder gar tausend Kilometer bis zur nächsten diplomatischen Vertretung des einstigen Heimatlandes fahren zu müssen, um sein Grundrecht als Teil des Souveräns wahrnehmen zu können und eine Diskriminierung bleibt eine solche auch, wenn sie nur ein Hundertstel des Wahlergebnisses beeinflussen könnte. Es geht durchaus ums Prinzip.

Székely sieht jedoch "keinen Grund" die Initiative seines Vorgängers fortzuführen und die Sache vor das Verfassungericht zu bringen. Lieber interpretiert er im Namen dessen die Sache gleich selbst und erklärte am Dienstag: so lange die gesetzlichen Garantien dafür vorliegen, dass jeder Berechtigte ungehindert an der Wahl teilnehmen kann, ist eine freie und gleiche Wahl garantiert, die Registrierungsprozedur hingegen nicht Sache des Verfassungsgerichtes, meint Székely. Der Umstand, dass nicht alle Auslandsungarn per Briefwahl abstimmen dürfen, sei nicht diskriminierend. Székely bezieht sich auf zwei Entscheidungen des VfG, von 2010 und Anfang 2012, die angeblich in seinem Sinne feststellten, dass nicht alle Wahlbürger als "homogene Masse" gleich behandelt werden müssten, um dem Grundrecht zur Wahlteilnahme Genüge zu tun. Diese Urteile fielen jedoch aufgrund anderer Beschwerden und zwar vor der heute gültigen Änderung im Anmeldeverfahren.

Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, das VfG die Unbedenklichkeit selbst feststellen und damit alle Zweifel ausräumen zu lassen, denn schließlich soll er als Ombudsmann genau solche, an ihn herangetragenen Zweifel behandeln, da er, im Unterschied zum einfachen Bürger oder einer NGO, das Recht hat, Prüfanträge an das Verfassungsgericht zu stellen. Stattdessen entscheidet sich Székely, seine Rolle nicht als die eines Vermittlers, sondern als die eines Hilfsrichters und seine Behörde als einen Wächterrat zu interpretieren, der der Regierung unliebsame Anfragen, die zu juristischen Niederlagen führen könnten, zu unterbinden. So war es befürchtet worden, so ist es eingetreten. Der Ombudsmann als Regierungspuffer.

 

Eine grundsätzliche Debatte über weiterführende Fragen, z.B. inwiefern Bürger anderer Staaten, die aufgrund ihrer (vermeintlichen) Blutslinie in den Besitz des ungarischen Wahlrechts kommen, überhaupt berechtigt sein sollten in Ungarn abzustimmen, da sie weder die Früchte ihrer Wahlentscheidung ernten können, noch die aus ihrer Wahl folgenden Konsequenzen einer verfehlten Politik zu tragen hätten, sie also praktisch über das Schicksal anderer Leute mitentscheiden um zeitgleich eine Art Loyalitätsbruch gegenüber ihrer Wohnheimat zu begehen, die z.B. in der Slowakei als "Angriff auf die Staatlichkeit und Integrität" des Landes gesehen wird, diese Debatte wird in Ungarn nicht mehr geführt. Die linke Opposition hat sich mit dem Faktischen abgefunden und umwirbt die Auslandsungarn ebenso bzw. fürchtet sie, bei derartigen Fragestellungen deren nationalistisch geprägtes Sentiment weiter an den sich als nationalen Übervater aufspielenden Orbán zu binden.

Sind freie Wahlen in Ungarn überhaupt noch möglich? Ein Blick in die Neuerungen des Wahlrechts und der Wahlkampfregeln.

Alles zu den Wahlen in Ungarn 2014 auf der
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