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(c) Pester Lloyd / 50 - 2013 GESELLSCHAFT 12.12.2013

 

Virtueller Bürgerkrieg

Regierungspolitiker in Ungarn stellt Staatsanwalt Ultimatum zur Schließung von Neonazi-Portal - MIT KOMMENTAR

Seit Jahren wird das Nazi-Online-Portal kuruc.info von den demokratischen Parteien verteufelt, Gesetze wurden geschaffen, die ein "Abschalten" im Falle fortgesetzter Hassrede ermöglichen sollen, die im Falle von kuruc tagtäglich geliefert wird. Doch sie greifen nicht. Jetzt tauchten großflächige Werbeplakate für kuruc in Budapest auf, EP-Abgeordneter Deutsch stellte daraufhin der Justiz ein Ultimatum. Doch die ist möglicherweise der falsche Adressat...

Diese Plakate erschienen an mehreren Stellen in Budapest. Weiß der spanische Miteigner der Firma ESMA, die an Hungaroplakat beteiligt ist, von den Vorgängen?

Kuruc hat mehr Leser als die Regierungspresse

Man hat zwar mittlerweile Finanziers und Hintermänner von kuruc identifiziert, darunter ein bekannter Winzer mit Wohn- und Arbeitssitzen in Ungarn und den USA, fand aber bisher keine Handhabe, die in den USA ansässige Hosting-Firma zum "Shut down" zu bewegen. Auch kennt man einige der Autoren, die stündlich in übelster "Stürmer"-Sprache über Minderheiten und Andersdenkende herziehen.

Dabei werden Adressen, Telefonnummern von "Judenkindern" (lies: Liberale, Linke) veröffentlicht, Hetzjagden initiiert, die jüdische Weltherrschaft, die Zigeunerkriminalität und die bolschewistische Verschwörung gegen das heilige Hungária sind die Schlagworte, unter denen täglich aufgestachelt, gehetzt wird. Kuruc.info, das ist die tägliche virtuelle Mobilisierung zum Bürgerkrieg. Und diese Plattform ist bestens vernetzt und wirde materiell getragen von einer regelrechten völkischen Industrie, die vom Souvenirladen oder Buchhandel und den "Großungarn"-Taxis bis hin zu unverfänglich wirkenden Beratungs- und Buchhaltungsfirmen reicht.

Über die Jahre wuchs die Lesergemeinde beträchtlich, die Internet-Messfirma alexa.com ordnet die Webseite  nach den Besuchern auf Rang 80 in Ungarn, und auf Platz 19.400 weltweit, zum Vergleich: die führende, regierungsnahe "Magyar Nemzet" kommt in Ungarn nur auf Rang 93, die linksliberale Népszabdság, immerhin die auflagenstärkste der klassischen Tageszeitungen, auf Rang 96.

Die Staatsanwaltschaft sagt offiziell, sie kann nicht gegen die Webseite vorgehen, Kritiker meinen, sie will nicht, einige glauben sogar, sie darf nicht.

Groß-Plakate in Budapest mit Nazi-Werbung

Am Mittwoch bekam die lange Geschichte um das Portal einen neuen Kick, als das führende Onlineportal index.hu (Rang 5) über große Plakatwerbung im Budapester Stadtgebiet für kuruc.info berichtete. Auf Plakatwänden des Unternehmens hungaroplakat.hu tauchten Werbungen im zunächst unverfänglich wirkenden Design der "Nationalen Tabakläden" auf, bei genauerem Hinsehen wurde daraus jedoch das "Nationale Nachrichtenportal", das 24 Stunden geöffnet hat und das man doch bitte täglich besuchen möchte (siehe Abbildung). Und der Gipfel: am Rand prangt noch der Hinweis, dass es sich um eine “Einschaltung im öffentlichen Interesse” handelt, also quasi amtlich ist.

Die Journalisten von Index (laut kuruc ebensolche "Judenkinder") riefen daraufhin bei Hungaroplakat an, um die Auftraggeber in Erfahrung zu bringen und nachzufragen, ob man denn bei der Firma überhaupt keine Skrupel kennt. Das Management stammelte nur etwas von einer Agentur und einer Email-Adresse, man wüsste nichts Genaues und man sei getäuscht worden, etc. Hungaroplakat gehört - laut Angaben auf der Webseite - zur Firma esma.hu, einem spanisch-ungarischen Werbeunternehmen.

Fidesz-EP-Abgeordneter stellt 72-Stunden-Ultimatum

Der Fidesz-Europaabgeordnete Tamás Deutsch, selbst mit jüdischen Wurzeln, dessen politische Laufbahn vom Sportminister der ersten Orbán-Regierung sich zum twitter- und Facebokk-It-Boy der zweiten Regierung entwickelte, platze nun der Kragen. Er verkündete, dass er (!) dem Staatsanwalt 72 Stunden gibt, diese unsägliche Seite endlich abstellen zu lassen, andernfalls, werde er persönlich vorsprechen und jede Menge Rabatz veranstalten. Es kann doch nicht sein, dass ein Hassportal wie kuruc mit einem halben Dutzend Kardinals- und Strafgesetzen nicht zu fassen sei, meint Deutsch. Deren Tätigkeit sei offen illegal, aber nichts geschehe.

Klar, dass es Deutsch bei kuruc am Mittwoch auf die Titelseite schaffte, ansonsten, alles wie gehabt: Kampf gegen den “Antimagyarismus”, Aufdeckung der jüdischen Welt- und Ungarnverschwörung, Ekel-Texte über die Zigeuner und allerlei großungarisches (V)Erbrechen.

Es gibt ein Gesetz für die Datenblockade bei Straftatsverdacht - warum wird es nicht angewendet?

Ob Tamás Deutsch, als Vertreter der Regierungspartei, mit einem Ultimatum an die Judikative nun gerade den rechtsstaatlich vorbildlichsten Weg einschreitet, sei dahingestellt, etwas mehr Empörung tut der Sache aber sicher gut. Doch vielleicht sollte er die Frage nach der Untätigkeit in dem Fall lieber an die eigenen Parteikollegen richten, denn die waren es, die ein sehr streitbares Zensur-Gesetz verabschiedeten, dass es ermöglicht, Webseiten, die die "nationale Sicherheit" gefährden oder Maßgaben des "Jugendschutzes" wiederholt verletzten bzw. gegen andere Strafrechtsparagraphen, wie z.B. "die Hetze gegen Minderheiten" einen darstellt, verstoßen, bereits
abzuschalten, wenn ein Verfahren nur eingeleitet wird. Dazu wurden die Provider verpflichtet, im eintretenden Falle Zugangshürden auch für ausländischen Traffic einzurichten, also auch eingehende Daten zu blockieren. Das würde die Webseite zwar nicht lahmlegen, aber den Konsum behindern. Tamás Deutsch würde es vermutlich erstaunen, dass dieses Gesetz möglicherweise gar nicht wegen kuruc.info geschaffen wurde. Mehr in: “Lex Kuruc als Einstieg in die Internetzensur”

Für die Neonazi-Bande, deren Leser und Autoren auch den Pester Lloyd lesen und "auswerten" und unser "Judenblatt" bei unpassender Berichterstattung immer gerne berichtigen wollen, auch, in dem uns kuruc-Artikel tatsächlich als zuverlässige "Quellen" verlinkt werden, diese Leute werfen sich nun begeistert in die Opferrolle und verteidigen ihre "Meinungsfreiheit". Eine typische Attitüde der Rechten, von gemäßigt bis extrem: sobald man ihnen mit der ihnen eigenen Offensivität gegenübertritt, bricht die große Weinerlichkeit aus, winselt man nach dem Schutz durch Rechtsstaat und Demokratie, die man eigentlich abschaffen will.

Deutsch sollte nicht die Justiz sondern seine Parteistrategen befragen

Deutsch sollte sich darüber im Klaren sein, dass eine Abschaltung im Internet bei allen Würgereflexen, die wir mit ihm teilen, keinen Sinn ergibt, denn der Ausweichmöglichkeiten gibt es Unendliche. Warum man aber der Personen hinter kuruc, den wirklichen Strippenziehern, die täglich Straftaten begehen, nicht habhaft wird: das sollte er nicht den Staatsanwalt, sondern seine Parteistrategen fragen, die gleichen, die auch ein Gesetz gegen uniformiertes Marschieren verabschiedet haben, es bei Garde-Aufmärschen
aber nicht exekutieren, die gleichen, die nichts dabei finden, Rechtsradikale auszuzeichnen, für die Horthy nur ein Historikerthema, "Sache der Kommunen" und "sicher kein Diktator" (Orbán) ist, die gleichen, die einen Parlamentspräsidenten dulden, der die Slowakei als Ungarn ansieht und in Rumänien einen Pfeilkreuzler-Politiker als "Vorbild" feierte, die gleichen, die auch mit Jobbik-Bürgermeistern bei der “Zigeuner-Aufsicht” kooperieren.

Es sind die gleichen, die alles dafür tun, dass rund 15-20% Prozent “Protestwähler” auf der rechten Seite gebunden bleiben und ja nicht zur demokratischen Opposition wechseln wollen - denn das bedeutete den Machtverlust. Und genau deshalb muss das Lippenbekenntnis der “Null-Toleranz-Politik” gegenüber Antisemitismus und Rassismus, das seitens der Regierung in immer blumigeren, schwülstigeren Reden, Konferenzen und Gedenkjahren geäußert wird, genügen. Dem “Juden” und Fidesz-Mitglied Tamás Deutsch genügt es nicht mehr, er sollte daraus seine Schlüsse ziehen...

ms., cs.sz., a.l.

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