THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 02 - 2014 POLITIK 07.01.2014

 

"Liebe Freunde..."

2014: Orbán tritt mit "Team Ungarn" gegen das feindliche Ausland an

Die ungarische Regierung hat zum Jahreswechsel - und mit Blick auf die im Frühjahr antstehenden Parlaments- und Europawahlen - eine weitere Propagandaoffensive gestartet. Mit einem Schreiben wandte sich Premier Orbán an alle Haushalte, weil, "liebe Freunde"... "Ungarn wieder Eure Hilfe braucht". Der "Krieg um die Nebenkosten" tritt als zentrales und fast exklusives Wahlkampfthema auf den Plan. Message: wer nicht für uns ist, ist kein Ungar...

Man müsse sich "vereinen, um die Wohnnebenkosten weiter senken zu können", heißt es in dem von Orbán unterzeichneten Brief an alles Haushalte. Nach den rund 20% gesetzlichen Absenkungen der Strom-, Gas- und Fernheizungskosten im Vorjahr sowie der Deckelung einiger Kommunalversorgungspreise (Abwasser, Schornsteinfeger, Beerdigungskosten etc.), will man im Januar eine dritte Preissenkungsrunde auf den Weg bringen.

Wie mehrfach berichtet, werden Preissenkungen für die Bevölkerung grundsätzlich auch von der Opposition befürwortet, allerdings halten Opposition und Ökonomen die Rasenmähermethode für ökonomisch und versorgungstechnisch für sehr problematisch, da der darauffolgende Investitionsstopp der großen Unternehmen zukünftige Risiken generiere. Die Übernahme von Versorgern in staatliche Hände (wie z.B. RWE´s Fögáz sowie die Gastöchter von E.ON, aber auch etliche kommunale Wasserwerke) jedoch sei an sich noch keine Gewähr für einen langfristig kostengünstigen Betrieb, eher eine weitere Quelle für Korruption und Misswirtschaft, in unseligem Angedenken an Vorwendezeiten. Die Senkung für alle privaten Kunden, unabhängig vom Einkommen, halten oppositionelle Sozialpolitiker zudem für sozial unausgewogen, zumal die einkommensschwachen Schichten unter Orbán massiv mehr belastet wurden.

Diese Einwände lässt die Regierung nicht gelten, die Umfragen belegten, dass die Mehrheit der Wahlbevölkerung die Preissenkungen goutiert. In Orbáns Brief heißt es daher weiter: Man habe im letzten Jahr "bewiesen, dass man die Versorger stoppen und die Interessen der ungarischen Familien schützen könne", aber: "der Kampf ist noch nicht vorbei", denn die "ausländischen Versorgungsunternehmen wollen die Kostensenkungen - mit Hilfe von einheimischen und internationalen politischen Verbindungen - rückgängig machen" und "die kommenden Wahlen für ihre Interessen missbrauchen". Daher müssen "wir uns organisieren", ein "Team Ungarn" bilden, um "unsere Errungenschaften zu schützen". Diejenigen die zum "Team dazu gehören, glauben daran, dass Ungarn nicht Bürger zweiter Klasse in Europa sein dürfen und es daher unfair wäre, wenn wir mehr für kommunale Dienstleistungen (gemeint hier auch Energiekosten, Anm.) zahlen müssen als andere europäische Bürger (diese Kosten sind im Verhältnis zum Einkommen mit die höchsten in Europa, Anm.)."

Auf fast 120 "Bürgerforen", bei denen über 30 Regierungspolitiker im ganzen Land auftreten werden, könnte man sich diesem "Team Ungarn" anschließen. Fidesz erwartet bis zu 100.000 Teilnehmer auf den Versammlungen. Wer nicht kommen könne, solle wenigstens einmal anrufen. Über 4.000, so die Regierung heute, hätten bereits telefonisch ihre Unterstützung zugesagt. Eine gleichlautende Unterschriftensammlung im Vorjahr habe 2,2 Mio. Unterstützungsunterschriften gebracht. Fidesz-Parteisprecher Máté Kocsis, der die Frage, ob es sich bei der Aktion um eine Regierungs- oder eine Partei- also Wahlkampfkampagne nicht beantworten mochte, rief erneut die "Schlacht um die Nebenkosten" aus, Premier Orbán hatte auf einem Parteitag bereits von einem "Krieg gegen die Multis und ihre inländischen Vasallen" gesprochen.

Die Opposition ist über die Offensive so erbost wie machtlos, schon wieder, so jammert es aus linken Parteien, schließe man mit dem "Team Hungary" alle, die "die Lügen des Fidesz" nicht mitmachen wollten, aus der Nation aus. Die Aktion sei schamlos. Die neonazistische Jobbik, zweitgrößte Oppositionskraft im Lande, schloss sich dieser Kritik insofern an, dass man es für verantwortungslos halte, die Versorgungsfrage für "Parteipropaganda zu missbrauchen".

 

Doch mit den Bürgerforen nicht genug, will die Regierung noch vor den Wahlen, die mutmaßlich Anfang April abgehalten werden, eine weitere Runde der sogenannten "Nationalen Konsultationen" einleiten, wieder eine Briefaktion mit Fragebogen und Rückantwortcouvert. Hierbei will man vor allem auf Fragen der Familienplanung ("die ungarische Rasse ist vom Aussterben bedroht), Steuerbegünstigungen für "junge und werdende Mütter" etc. ansprechen. In der Vergangenheit stellte sich heraus, dass das Volk über Dinge befragt wurde, die längst schon beschlossene Sache waren. Die "Auszählungen", die natürlich eine "überwältigende Unterstützung des Volkes" hervorbrachten, wurden medial ausschweifend inszeniert und dienen der Regierung als zusätzliche Legitimation für ihren Kurs.

Im diesjährigen Budget sind 1,5 Mrd. Forint, also rund 5 Mio. EUR für diese Briefwurfsendungen reserviert, allerdings verfügt der Premier noch über eine zusätzliche Kriegskasse von rund 50 Mio. EUR für "Sonderausgaben", die im Budget als "Reserve" bezeichnet werden. Allein die Plakat- und Anzeigenkampagnen zum Slogan "Ungarn macht´s besser" verschlangen im Vorjahr 2,7 Mio. EUR an Steuergeldern, wobei das meiste davon über parteinahe PR-Agenturen in die "richtigen" Kanäle geflossen ist. Während sich die Regierungspartei also aus öffentlichen Quellen bedient, beschnitt man die öffentliche Wahlkampffinanzierung.

Das Volk als Waffe - der Bürger als Statist
Verabsolutierung der Macht im neuen Ungarn: das Beispiel Obdachlosigkleit

cs.sz.

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