THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 02 - 2014 POLITIK 07.01.2014

 

Linke in Panik

Auftakt zum Wahljahr: der Opposition in Ungarn läuft die Zeit davon

Die Wahlallianz zwischen der MSZP und "Gemeinsam 2014" wird neu verhandelt. Denn, so die späte Einsicht, nur mit einer gemeinsamen Kandidatenliste der demokratischen Oppositionskräfte bleibt überhaupt noch eine Chance, dem Regierungslager im April so etwas ähnliches wie Paroli zu bieten. Dabei kommt man nicht umhin, den weitgehend unwählbaren Ex-Premier Gyurcsány mit ins Boot zu holen. Auf diese Vorlage hat die Orbán-Partei nur gewartet...

Update 8.1.: gemeinsame Kandidatenliste beschlossen, Mesterházy wird einziger Spitzenkandidat, mehr am Ende des Textes.

Siegesgewissheit sieht anders aus. MSZP-Chef Mesterházy und Ex-Premier Bajnai
von E2014/PM wollen ihre Wahlallianz nochmal aufschnüren...

Angestrengt mühen sich MSZP-Chef Attila Mesterházy und sein Kollege von Gemeinsam 2014 - Dialog für Ungarn (E2014/PM), Ex-Premier Gordon Bajnai, um Contenance. Bei ihren neujährlichen Medienauftritten versuchen sie wieder Professionalität und Optimismus auszustrahlen, doch ist es die schiere Panik, die sie vor die Mikrofone treibt.

Selbst die optimistischsten Umfragen sagen einen erneuten Kantersieg der Regierungsparteien Fidesz-KDNP für die vermutlich Anfang April stattfindenden Parlamentswahlen voraus, nur in der Höhe variieren die Institute. Seit der letzten Wahl 2010 gab es nicht einen Tag eine Wechselstimmung, ja nicht einmal einen anhaltenden Aufwärtstrend für eine der Parteien im Mitte-Links-Spektrum. “Wir sind überzeugt, dass wir Orbán schlagen können”, tönt es trotzig. Ein Satz, der selbst bei geneigten Zuhörern nur noch mitleidiges Kopfschütteln hervorruft.

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Die beiden Parteichefs erkennen - einmal mehr -, dass ihnen die Zeit davonläuft und ihre Ende Oktober nach schweren Wehen geborene Vereinbarung, die eine eher arithmetische denn wahltaktische Aufteilung der 106 Direktwahlbezirke im ungefähren Verhältnis 3:1 nichts bringt, zumal bei derzeitigem Stand nicht einmal klar ist, ob E2014 überhaupt die 5-Prozenthürde schafft, die, wenn man in einer Landesliste mit der zweiten Partei, also dem Juniorpartner PM antritt, sich auf 10% verdoppelte.

Auch vermied man es, nach wochenlangem eifersüchtigem Streit, einen gemeinsamen Spitzenkandidaten aufzustellen, der Kampagne also ein Gesicht und einen Namen zu geben. Quantitativ hätte diese Rolle dem MSZP-Chef zugestanden, doch Mesterházy kann fachlich und medial Orbán nicht das Wasser reichen, Ex-Premier Bajnai hingegen, der zumindest präsentabel und glaubwürdig auftritt, wurde von den MSZP-Granden im Hintergrund nicht akzeptiert, die gesamte Allianz drohte mehrfach im “Friendly Fire” zu verrecken.

Der Status quo: MSZP und E2014 können, Direkt- und Parteilistenmandate zusammengenommen, bei den Wahlen wohl auf rund 22-30% der Stimmen und aufgrund des getunten Mehrheitswahlrechts auf höchstens 20%-22% der Mandate hoffen. Viel zu wenig für einen Machtwechsel. Schaffen die grün-liberale LMP, die sich wie eine alte Politjungfer jeder Vereinigung selbst zu wahltaktischen Zwecken entzieht und die Gyurcsány-Sekte DK den Einzug ins Parlament, kommt die vereinigte linke Opposition vielleicht auf 30% der Mandate, 10-12% okkupieren mindestens (!) die Neonazis von Jobbik, für die Regierungsparteien stellt sich also nur die Frage nach der absoluten oder einer erneuten 2/3-Mehrheit.

Unsere Collage vom gackernden Hühnerhaufen auf der Suche nach dem Gelben vom Ei ist über zwei Jahre alt, aber immer noch aktuell...

Was tun? Attila Mesterházy sagte am Montag, die Wahlallianz mit E2014/PM müsse "neu geschrieben werden", Gordon Bajnai umschreibt es mit "ausweiten und weiterentwickeln". Noch in dieser Woche, während die "Team Ungarn"-Propagandaoffensive der Regierung anläuft, sollen die wichtigsten Fragen entschieden werden: gemeinsame Kandidatenliste für die Direktwahl- und (!) Landesparteilisten, ein gemeinsamer Spitzenkandidat, Umwerbung und Aufnahme weiterer Parteien und Gruppen von den Sozialdemokraten, über diverse liberale Splitter- bzw. Ein-Mann-Parteien bis hin zu DK und LMP.

Damit stellt sich die Gretchenfrage. Wie halten wir´s mit Ferenc Gyurcsány? Schneidet man das politische Stehaufmännchen weiter, "verliert" man, konservativ gerechnet, 5-8% der Stimmen und holt sich vor allem bei den Direktwahlbezirken einen zusätzlichen Konkurrenten ins Boot. Doch ohne viele kleine Überraschungen in diesen 106 Wahlkreisen wird man im verkleinerten 199-Mann-Parlament nichts ausrichten. Schmiedet man allerdings die Allianz mit dem
kannibalischen Selbstdarsteller und Oppositionspalter, der für die meisten Ungarn unwählbar ist, liefert man dem Fidesz genau die Vorlage, die da lautet: "Es geht der Linken nur um die Rückgewinnung der Macht, nicht um die ungarischen Menschen. (...) Es finden sich wieder die gleichen Gestalten zusammen, die das Land schon einmal in den Ruin getrieben haben..." - Genau das nämlich sagte Parteisprecher Róbert Zsigó schon heute als Reaktion auf die Ankündigungen zur Neuverhandlung der Oppositionsallianz.

Diese Botschaften kommen an und nur schwer ließe sich bei der Konstellation Mesterházy-Bajnai-Gyurcsány darstellen, dass "das, was vor 2010 war", so nicht wiederkommt, wie es Bajnai und Mesterházy allenthalben versprachen. Überhaupt ist es der demokratischen Opposition nicht gelungen, sich außerhalb des Links-Rechts-Schemas zu positionieren und eine, sozusagen, ideologiefreie Alternative darzustellen. Natürlich hat die "Linke Mafia"-Propaganda der Regierungspartei daran auch einen maßgeblichen Anteil.

Und Gyurcsány, der zunächst die MSZP spaltete und dann seine Jünger - ausgerechnet auf der ersten gemeinsamen Großdemo -
gegen die Oppositionsallianz putschen ließ, ist natürlich "bereit" für "neue Gespräche". Eigentlich hält er sich selbst ja für den einzig geeigneten Spitzenkandidaten in dem Trio, das ist die sinngemäße Übersetzung von: "Ich bin für den Wahlsieg der Opposition bereit, auf eine Kandidatur gänzlich zu verzichten." Neusprech kann nicht nur Orbán...

Das Bild von der alten Garde könnte man ein bisschen aufhübschen, bekäme man die LMP mit ins Boot. Einen Teil davon hat man ja mit der Abspaltung "Dialog für Ungarn" (PM) bereits herübergezogen, doch umso bockiger geben sich nun die Übriggebliebenen um den verkopften LMP-Chef Schiffer, auch wenn er damit den Untergang seiner Partei, die bei den Europawahlen 2009 und erst recht 2010 überraschte sowie gleichzeitig die Niederlage der gesamten Opposition bei den Wahlen riskiert.

Orbán und sein Fidesz können sich entspannt zurücklehnen, das Popcorn bereitstellen. Marschrichtung, Feindbild, Slogans stehen fest und sind
auf das Simpelste zusammengeschmolzen worden, Parlamentshasser und -präsident Kövér wurde zum Generalstabschef ernannt, die Truppen sind aufgestellt. "Wir" sind die guten Ungarn, die anderen sind die Vasallen der Multis und Finanzspekulanten, Feinde der Nation. Wir senken die Energie- und Wohnnebenkosten, die Sozis wollen dem Volk die Rente wegnehmen. Oder, um ein Zitat aus einer Provinzzwischenwahl zu nehmen: "Fürchtet Euch nicht, wählt Fidesz, wir beschützen Euch!". Dazu wird zigtausendmal das "Ungarn macht´s besser..." posaunt, Penetranz, die sich auszahlt.

 

Man kann es bedauern, aber es ist nun einmal Fakt, dass der Mangel an einer "echten Führerpersönlichkeit" von den Medien und Politologen als Hauptmanko der Opposition dargestellt wird, zusätzlich zu einer Programmatik, die fragmentiert und nicht sonderlich eingängig, also pouplär daherkommt. Charisma und Populismus, statt Verantwortlichkeit und sinnvoller Politikangebote, das ist nicht nur in Ungarn die Realität bei, vor und nach Wahlen, aber in Ungarn kommt sie seit über einem Jahrzehnt besonders schäbig und plump daher.

Das Wahljahr Ungarn 2014 ist also eröffnet, spannend und interessant dürfte daran nur noch das Spektakel, die Schmutzigkeit der Wahlschlacht werden, der Ausgang des Urnenganges scheint nach heutigen Eckdaten bereits mehr als gewiss. Gut, dass der Schein nicht selten trügt und
der Mainstream die Macht der Verzagten unterschätzt. Wir haben in den letzten vier Jahren gelernt, dass in Ungarn alles möglich ist, sogar das Unmögliche.

UPDATE, 8. Januar 2014: Am Mittwoch einigten sich MSZP und E2014/PM auf ein neu und enger definiertes Wahl- und Parteienbündnis. Es beinhaltet die Aufstellung einer gemeinsamen Kandidatenliste für die Direktwahlkandidaten und die Landeslisten. MSZP-Vorsitzender Attila Mesterházy wurde als Spitzenkandidat der Allianz bestimmt. Auf Grundlage der bereits zuvor vereinbarten politischen Grundsätze, wurden auch die DK von Ex-Premier Gyurcsány sowie weitere linke und liberale Parteien zur Mitwirkung eingeladen, Erstgenannter kündigte an, umgehend von einem Auslandsaufenthalt zurückkehren und die Verhandlungen aufnehmen zu wollen. Das Bündnis soll auch nach der Wahl als Fraktionsgemeinschaft bestand haben, ähnlich der Konstruktion zwischen Fidesz und KDNP. Die demokratische Opposition würde nun mit einer Stimme sprechen und so allen, die das Orbán-Regime loswerden wollten, eine klare Alternative anbieten, betonen die Protagonisten Bajnai und Mesterházy.

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red. / ms.

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