THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 05 - 2014 GESELLSCHAFT 27.01.2014

 

"Offenbar fehlgeleitet"

Regierungssprech zum Holocaust Memorial Day und Okkupationsdenkmal in Ungarn

Am 27. Januar, dem Tag, an dem 1945 das KZ Auschwitz befreit wurde, begeht die Welt den Holocaust-Gedenktag, die ungarische Regierung widmet bekanntlich ein ganzes Gedenkjahr dem Thema. Die pflichtschuldigen Gedenkfloskeln der Staats- und Regierungspitze verbergen  kaum noch die Ideologie der "Reinwaschung" der Horthy-Ära. Manch ein Offizieller spuckt den Opfern sogar direkt ins Gesicht. Der Parlamentspräsident warnt außerdem: Linke werden wieder auf uns schießen...

Während auf dem Freiheitsplatz ein, auf den in Opferpose harrenden Erzengel Gabriel herabstürzender Reichsadler, angeblich an die Opfer des Holocausts in Ungarn erinnern soll, sprechen die Schuhe, darunter Kinderschuhe... am Donauufer für sich. Für jeden Budapest-Besucher (jeden Ungarn sowieso) eine gute Gelgenheit inne zu halten und sich dem Polit-Getöse zu entziehen. Für das Faktische gibt es ein umfangreichese Holocaust-Gedenkzentrum, doch das ist - obwohl schon personell bearbeitet - der Regierung noch zu selbständig. Im Gedenkjahr muss noch ein “Wahrheitsinstiut” her.

Staatspräsident János Áder (Fidesz, ruhend) bekannte in einer Aussendung zum heutigen Gedenktag, wie zuvor schon verschiedene Regierungsmitglieder in teils blumig-ausladenden Reden, die Mitschuld ungarischer Institutionen, die "nach dem (!, Anm.) Ungarn von den deutschen Nazis besetzt wurde, kollaborierten". Auch das Staatsoberhaupt lässt also die in ungarischer Souveränität unter der Horthy-Herrschaft geplanten und exekutierten Massengreueltaten an eigenen Bürgern (Untergang der Don-Armeen, Zwangsarbeit am Ostwall für politische Gefangene) und solchen in von Ungarn besetzten Gebieten (Ghettoisierungen, Massaker, Deportationen in von den Nazis besetzte Gebiete) geflissentlich aus. Die Gründe dafür haben wir im Beitrag "Wer ist hier das Opfer?" bereits umfangreich dargelegt.

Als Surrogat für ein Bekenntnis zur Täter-Rolle der Horthy-Ära und seiner Protagonisten (das Konsequenzen für die heutige Politik haben müsste, die man aber vermeiden will) folgten die üblichen Pflichtphrasen vom "unwiederbringlichen Verlust" und eine weitere Relativierung: die Pfeilkreuzler nannte er "Marionetten Hitlerdeutschlands", die sie sicher auch, aber längst nicht nur waren, sie waren eine innere Machtsäule des Ständestaates, ebenso wie heute die Jobbik für die Regierungspartei ein wahltaktisches Medium darstellt.

Präsident Áder bat die Bevölkerung, am heutigen Abend um 19 Uhr mit 70 Gedensenkunden, die auch im öffentlichen TV und Rundfunk begangen werden, den Opfern zu gedenken. Das demokratische Ungarn habe die historische Lehre gezogen, sich "nie mehr mit inhumanen Ideologien und Konzepten zu identifizieren". Das Gedenken solle das "Gute in uns stärken" und "das Böse verdammen".

Parlamentspräsident bezeichnet Linke als genetische Betrüger

Der rechtsextreme Parlamentspräsident und Fidesz-Wahlkampfleiter, László Kövér, verband sein Statement naturgemäß mit heftigen Wahlkampfsalven. Er teilte dem ungarischen Volk am Sonntag in einem Interview im "Kettenbrückenradio" mit, dass "den Linken das Betrügen im Blut" liegt. Die "linke Mafia" baue ihren Wahlkampf auf Bösartikgeit, Verbitterung und Hetze auf, anstatt (wie die Regierungspartei) auf "nüchterner Abwägung". Seit der "politischen Rehabilitierung" von Ex-Premier Gyurcsány, durch die Aufnahme ins linke Wahlbündnis, sollte man die Worte von Premier Orbán ernst nehmen, wonach: "sie wieder auf uns schießen, wenn sie könnten...", sagte Kövér. "Gyurcsány war involviert in die Polizeigewalt 2006", er "war Ministerpräsident während der Romamorde" (2008/9). (Der
“Putsch gegen das Volk” 2006 und die Involvierung der Gyurcsány-Regierung in die Mordserie an Roma, sind gängige Politlegenden des Fidesz.)

Die Orbán-Regierung habe in den letzten vier Jahren die "soziale und ökonomische Wende" geschafft und das "Parlament einen neuen Weltrekord im Beschließen von Gesetzen aufgestellt." "Trotz aller Intrigen" würden die Auslandsinvestitionen in "einem nie dagewesenen Umfang" ansteigen. Zum umstrittenen Okkupationsdenkmal: "Die Entscheidung bedarf keiner Rechtfertigung", das Denkmal würde "den Hunderttausenden jüdischen Opfern gedenken."

Wer kritisiert: lügt

Die Behauptung, das geplante Mahnmal würde "demonstrieren, dass der ungarische Staat versucht, seine Beteiligung und Verantwortlichkeit für den Holocaust negieren" sei eine "Lüge oder bestenfalls eine Missinterpretation." Im übrigen "sind wir nicht verantwortlich für die Handlungen unserer Vorfahren, wollen aber unsere Schlüsse und Konsequenzen daraus ziehen."

Parlamentspräsident Kövér ehrte bereits öffentlich und in seiner Funktion als Parlamentspräsident einen ehemaligen Politiker der faschistischen Pfeilkreuzler auf rumänischem Territorium als "Vorbild" (Foto) und erklärte "jeden Ort, an dem Ungarn leben" für Ungarn sowie, dass man der Slowakei eigentlich mit Waffengewalt beikommen müsse. Seit 2010 arbeitet er gezielt an der Marginalisierung und strukturellen Entmachtung des Parlamentes. (darin auch die weiteren Links zu seinen “Ausrutschern”)

Vizepremier: Denkmal nicht Teil des Holocaust-Gedenkjahres

Vizepremier Zsolt Semjén,
der den Last-Minute-Beschluss zur Errichtung des umstrittenen Okkupationsdenkmals am 31.12. ("aus Zeitnot") einbrachte, von dem das Volk zunächst nur durch eine Eintragung im Amtsblatt erfuhr, redete sich am Freitag dahingehend heraus, dass das Monument gar nicht Teil des Holocaust-Gedenkjahres sei, es lediglich an den "Verlust der Unabhängigkeit Ungarns" 1944 erinnern solle (und das damit das benachbarte Sowjetdenkmal, das an die bei der Befreiung Budapests von ebendiesen Besatzern gefallenen Sowjetsoldaten erinnert, ebenfalls zu einem Besatzerdenkmal umdeklariert.). Warum das Mahnmal dann trotzdem "Prioritätsstatus" von der Regierung erhielt, wenn es gar nicht direkt zum Gedenkjarh gehören soll, mochte Semjén nicht begründen.

Bitte keine Emotionen...

Semjén, (Minister ohne Portfeuille, KDNP-Chef, Vizepremier und Reichsjägermeister mit Hobby Großinquisitor für ungarische Nationen- und Glaubensfragen) drehte den Spieß kurzerhand um, bezichtigte die Vorgängerregierungen, nazistische Aufmärsche in der Burg und die widerstandslose Gründung von Garden geduldet zu haben (wurden 2009, also unter dern Vorgängern verboten, marschieren aber bis heute ungestört weiter). Semjén wiederholte die Lippenbekenntnisse, die das Ausland hören soll, ergänzte aber unmissverständlich, dass, "wenn jemand die Tragödien der Vergangenheit benutzt, um politische Emotionen in der Gegenwart aufzuschaukeln, dann werde der ungarische Staat seine Bürger zu schützen wissen." Lies: wer die offizielle Geschichtsinterpretation nicht mitträgt, ist ein Staatsfeind und Unruhestifter.

"Geschichtsfälschung nicht mittragen": Holocaust-Überlebender gibt staatliche Auszeichnung zurück

Am Vortag des Gedenktages gab der renommierte Historiker und Holocaustüberlebende, der 91jährige Randolph L. Braham, bekannt für sein zweibändiges Standardwerk "Die Politik des Genozids: Der Holocaust in Ungarn" (1981) eine hohe staatliche Auszeichnung, überreicht durch den damaligen Präsidenten Schmitt zurück, weil er die "Kampagne zur Geschichtsfälschung, die versucht, das Horthy-Regime rein zu waschen", nicht mittragen will. Er forderte weiter, seinen Namen vom Braham Information Center (im Holocaust Gedenkzentrum in Budapest) zu tilgen. Den Brief Brahams im Wortlaut können Sie bei den Kollegen von Hungarian Spectrum
im Wortlaut lesen.

Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán (Antisemitismus in Ungarn ist schlecht, weil er linken Journalisten in Europa Stoff liefert, über Ungarn herzuziehen), nannte die Handlung und das Statement Brahams "übertrieben" (was semantisch interessant ist, denn es impliziert, dass eine Reaktion gerechtfertigt sei, nur nicht so eine starke. Wir beobachten solche "Ungenauigkeiten" immer häufiger und kommen nun zu dem Schluss, dass es bei Rogán die reine Dummheit ist, die ihm nicht einmal ein vernünftiges Verbergen seiner wirklichen Gedanken ermöglicht, Anm.)

Rogáns "Respekt"

Gleichwohl "respektiere" er die Meinung Brahams, auch wenn dieser "offenbar fehlgeleitet" wurde, denn es sei eine "schwere Entstellung der Wahrheit" zu behaupten, das Denkmal diene dem Gedenken an die deutsche Okkupation, in Wirklichkeit gedenkt es den Opfern, "den Hunderttausenden Juden, die deportiert und ermordert wurden und den rund 10.000 nichtjüdischen Opfern, die von den deutschen Autoritäten inhaftiert wurden." Rogán sollte vielleicht noch mal mit Semjén Rücksprache halten, ob es nun ein Holocaust- oder ein Unabhängigkeitsverlustdenkmal sein soll. Der 19. März jedenfalls, "war ein historischer Moment, einer der der ungarische Souveränität ein Ende setzte". Rogán findet also vom "Respekt" für die Meinung des Holocaust-Überlebenden und weltweit anerkannten Historikers in zweieinhalb Sätzen zurück zu völliger Kongruenz mit der Regierungslinie. Er hätte dem Mann auch direkt ins Gesicht spucken können.

Auf der Webseite des Ministerpräsidenten waren am Montagmorgen noch "die Vorbereitungen auf 500 Jahre Reformation" vom 23.1. das Titelthema... UPDATE: am Abend dann wurde dieser Brief veröffentlicht (engl.) http://www.miniszterelnok.hu/in_english_article/prime_minister_sends_letter_to_addr ess_holocaust_memorial_meeting

red. / m.s. / Zitate: MTI

Am Tag des Gedenkens an die Befreiung des Budapester Ghettos, glänzte die ungarische Staats- und Regierungsspitze durch Abwesenheit. Siehe hier.

Mehr zu Entwurf und Debatte zum Okkupationsdenkmal

Fidesz-Institutsleiter nennt Deportation unter Horthy "fremdenpolizeiliche Maßnahme"

Zum offiziellen Gedenkjahr, Geschichtsrevisionismus, Schaukelpolitik Fidesz-Jobbik etc.

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