THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 05 - 2014   POLITIK 31.01.2014

 

"Häuserkampf" als letzte Hoffnung der Oppostion

Sind die Wahlen in Ungarn schon entschieden?

Mehrere Meinungsforschungsinstitute haben sich wieder daran versucht, die Bildung der linken Oppositionsallianz in Zahlen zur Wählerstimmung umzurechnen. Wem fehlen wiviele Stimmen, um seine Wahlziele zu erreichen, wo bekommt man sie her? Die aktuellen Umfragen ergeben immer noch das gleiche Bild, eines mit vielen Unschärfen, aber einem klaren Sieger am 6. April.

Aktuelle Regierungsinformation. Natürlich kein Wahlkampf.
Mehr dazu im
Wahl-Watching (Eintrag vom 31.1.)

> Das nicht so sehr unabhängige Institut Nézöpont rechnete dieser Tage vor, dass nach den aktuellsten Befragungen (27.1.) 127 der 199 Mandate im nächsten Parlament an die rechten Regierungsparteien Fidesz-KDNP fallen, das linke Oppositionsbündnis "Zusammenschluss" (MSZP, DK, E2014-PM, Liberale) könne mit 60 Sitzen rechnen kann, die neonazistische Jobbik mit 12, die grün-liberale LMP wäre unter der 5%-Hürde, also raus. Nach dieser Rechnung wäre Orbán also seine bequeme und üppig genutzte 2/3 Mandatsmehrheit los, wenn auch nur knapp.

> Frühere Berechnungen eines anderen Politinstitutes besagen dem widersprechend aber, dass (je nach Abschneiden bei den 106 zu vergebenden Direktmandaten) auf der Parteiliste (Zweitstimme) schon ca. 42% der Stimmen genügen könnten, um eine 2/3-Mandatsmehrheit zu erlangen. Fidesz liegt in allen Umfragen bei den zur Wahl Entschlossenen zwischen 47-52%.

> Die Hoffnung der Opposition, im riesigen Lager der Unentschlossenen (je nach Institut zwischen 40 und 50% aller Wahlberechtigten) überproportional mehr Wähler aktivieren zu können als das Regierungslager, wird von den Demoskopen gedämpft. Es sei schon eher Fidesz, das bei einer Last-Minute-Mobilisierung profitieren wird. Wir schätzen die
"Macht der Verzagten" für die Opposition größer ein: hätten aber auch nicht mit einer derart blamablen Performance der linken Opposition gerechnet.

> Ein Political Capital-Analyst schätzt, dass das linke Lager für einen Wahlsieg rund 300.000 Stimmen mehr braucht, als es jetzt hätte. Derzeit würden rund 1 Mio. Wahlberechtigte für das Linksbündnis stimmen, ca. 1,3 Mio. für Fidesz, das aber locker auf 1,7 Mio. "hochmobilisieren" könnte, meinen die Experten. Das "Bürgereinheitsforum" rund um Minnesänger Zsolt Bayer plant dafür bereits die passenden Maßnahmen: in einem Rundschreiben sollen alle Bürger über die "drohende Gyurcsány-Herrschaft" aufgeklärt werden, eine Woche vor der Wahl wird bei einem "Friedensmarsch" nochmal das Feindbild geschärft werden.

> Sollte die grün-liberale Partei LMP den Einzug ins Parlament schaffen, würde das, laut Analysen, fast ausschließlich auf Kosten von Stimmen des Linksbündnisses geschehen, durch die rechnerischen Methoden des Mehrheitswalhrechts, die bei der Vergabe der Parteilistenmandate zum Tragen kommen, würde die Opposition dann insgesamt geschwächt. Das gänzlich regierungstreue Századvég-Institut beeilte sich denn auch, zu erklären, dass die LMP sicher die 5%-Hürde schafft und der "eigentliche Gewinner" des Linksbündnisses (dem sie ja nicht angehört) sei.

> Laut dem Chef des als unabhängig geltenden Institutes Ipsos konnte die neonazistische Partei Jobbik die Zahl ihrer "aktiven Unterstützer" bei rund 300.000 halten, sie wird also ungefähr ein ähnliches Wahlergebnis wie 2010 einfahren. Es sei zudem wahrscheinlich, dass durch die Regierungs-Oppositionsblock-Polarisierung, Jobbik nicht ein einziges Direktmandat gewinnen könnte. Die Behauptung von Jobbik als der "beliebtesten Partei der jungen Menschen" sei außerdem eine Legende, die Unterstützung bei den Jungen für Fidesz sei deutlich stärker...

Orbán entschwebt wieder in höhere Sphären: Grafik zum Thema Politikerbeliebtheit der wichtigsten Parteichefs bzw. Wahlkampfakteure. Entwicklung seit den letzten Wahlen 2010 bis heute. Daten: Ipsos zum Vergrößern klicken.

> Was bringt nun das Bündnis? Unter dem Strich aller Institute wirkt die linke Opposition gemeinsam bisher nicht stärker als die Summe ihrer Einzelakteure, der Support unter allen Wahlberechtigten wird für "Összefogás" (Zusammenschluss) mit 20% eingeschätzt, der Stimmenanteil bei denen, die morgen zur Wahl gehen würden liegt er, je nach Institut, zwischen 28 und 36%. D.h. der Kohäsionseffekt des gemeinsamen Auftritts wird durch die Adhäsion wegen der Beteiligung des politischen Gottseibeiuns Gyurcsány neutralisiert.

> ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor neben den "Unentschlossenen", sind die in Summe rund 900.000 wahlberechtigten Auslandsungarn bzw. Ungarn im Ausland (der Unterschied zwischen beiden Gruppen klingt marginal, ist aber wahlrechtlich nicht so klein, siehe hier), von denen ca. 250.000 bis 300.000 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden. Aus Siebenbürgen, der Vojvodina oder "Oberungarn", also der Slowakei, gar der Karpato-Ukraine, auch aus Stuttgart, London, Wien oder Berlin gibt es keinerlei verlässlichen Umfragen

> Tenor bei allen Instituten: Fidesz-KDNP gewinnen und werden eine "starke" Mehrheit repräsentieren, die Opposition hat praktisch keine Chance, sollte sie aber nutzen.

Fazit: Der Knackpunkt bei den
Wahlen am 6. April wird für die Opposition also kaum die Hoffnung auf eine kurzfristige Erweckung schlafender Wählermassen sein, dazu ist auch deren Message zu lahm, zu fragmentiert bzw. zu kompliziert und das Spitzenpersonal zu fragwürdig. Wie festzustellen war, ist das Heer der Wähler mittlerweile skandalresistent und demokratieabbauunempfindlich.

 

Also wird das Ringen in den Direktwahlbezirken entscheidend sein, wo man die Gesichter kennt und deren Familiengeschichten, wo Sympathien und Antipathien auch mal die teils religiös-dogmatisch eingehaltenen Parteipräferenzen auflösen können. Die in den 106 Wahlbezirken "nur" erforderliche relative Mehrheit der Stimmen eröffnet, je nach lokaler Lage und Kandidatenangebot, einige taktische Möglichkeiten, u.a. durch zurückziehen oder auch hinzufügen von Kandidaturen oder Strohmännern, die Stimmen abbinden, die man selbst nicht bekommen würde. Wählerströme kann man in Sprengeln mit wenigen hundert Einwohnern leicht erzeugen, bremsen, steuern. Fidesz hat für die Kandidatur in Direktwahlbezirken im neuen Wahlrecht die Hürde extra niedrig gelegt, wofür es einen Grund geben wird, denn in allen anderen Aspekten wurde die jeweils größte Partei bevorzugt. Alles zum Wahlgesetz und -ablauf hier.

Die ungarischen Wahlen werden also, so sie noch nicht entschieden sind, kaum auf den Wahlkampfbühnen oder im TV entschieden, sondern im Häuser- und Straßenkampf, Mann gegen Mann - oder Auge um Auge. Dass daran nichts Ritterliches ist und was der lokale Wahlkampf für Land und Leute bedeuten wird, lässt dieser Bericht von den ersten Manövern mit scharfer Munition bereits erahnen: Die Wahlschlacht von Baja und die Fortsetzung: Für eine Handvoll Forint.

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.