THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 06 - 2014   POLITIK 03.02.2014

 

Hohle Rituale

Atompakt als Wahlkampfaufhänger: Linke in Ungarn findet keinen Hebel gegen Orbán

In eisiger Winterkälte versammelten sich am Sonntagnachmittag in Budapest nur rund eintausend Anhänger des
linken Oppositionsbündnisses "Zusammenschluss", um gegen den "Orbán-Putin-Pakt" zum Ausbau des AKW in Paks zu demonstrieren. Auch dieses Thema ist als Hebel gegen die Wahlkampfmaschinerie der Regierungspartei ungeeignet. Der genügt ein weiteres Almosen und die schiere Präsenz von Ex-Premier Gyurcsány, um ihren Vorsprung zu halten.

E2014-Chef Bajnai, die Ein-Mann-Partei Fodor sowie der Ex-Grüne Jávor beim petitionieren

Orbán machte den AKW-Deal, wie er seit vier Jahren Politik macht

Bei der Protestkundgebung am Sonntag ging es nicht prinzipiell gegen einen Ausbau des Atommeilers 100 Kilometer südlich von Budapest oder gegen die Kernenergie an sich, sondern vor allem um die enormen Kosten von ca. 10 Mrd. EUR, die überwiegend durch einen russischen Kredit vorfinanziert, aber durch ungarische Steuerleistungen abgesichert werden sowie gegen die debatten- und ausschreibungsfreie, exklusive und völlig intransparente Vergabe an Russland und die damit befürchtete "Abhängigkeit" in Energie- und Geldfragen, woraus sich auch eine politische Abhängigkeit ergibt. Das alles wird als “Orbán-Putin-Pakt” bezeichnet, die semantische Nähe zu diversen anderen historischen Pakten mit russischer Beteiligung ist nicht unbeabsichtigt und sicher auch nicht ganz unbegründbar. Hier die
Details zum Atomdeal. Hier kritische und lobende Stimmen dazu.

Die energiestrategische Fehlplanung, praktisch alles auf russisches Gas und russische Kernenergie zu setzen, ist eher ein Thema für Fachleute als für die breite Masse. Orbán wischt die Argumente einfach zur Seite: Energie müsse in Ungarn so billig werden wie in den USA, sonst sind wir ökonomisch bald weg vom Fenster.

Opposition in Harmonie getrennt

Bereits am Samstag trafen sich Umweltparteien- wie die LMP und Bürgerrechtsgruppen, um gegen den AKW-Ausbau zu demonstrieren. Dass die Gegner des in Form und Inhalt wahrlich größenwahnsinnigen Deals es nicht schafften, gemeinsam aufzutreten, wurde von den Medien als klares Zeichen der Schwäche der demokratischen Opposition herausgearbeitet. Weitere Aktionen gegen den Paks-Pakt finden Sie auch in den
"Bildern der Woche".

Die sonntägliche Veranstaltung demaskierte sich somit selbst als reiner Wahlkampfakt: Orbán habe die Vereinbarung selbstherrlich getroffen, das Projekt symbolisiert alle Gründe, warum er von der Macht abgelöst werden müsse. Die Menschen hätten am 6. April die Chance, ihre eigene Zukunft zu wählen und sich nicht zu Untertanen der Machtegelüste des Ministerpräsidenten zu machen. So lauteten die kernigsten Aussagen der zwei Hauptprotagonisten der Kundgebung unweit des Parlamentes, in dem in dieser Woche Teile der bilateralen Vereinbarung vorgestellt werden sollen.

E2014-Chef und Ex-Premier Gordon Bajnai und der alte, neue "starke" Mann der linken Parteienlandschaft, Ex-Premier und DK-Chef Ferenc Gyurcsány versuchten immer wieder den Bogen vom Paks-Deal zur sonstigen Performance der Regierung in den letzten vier Jahren zu spannen. Denn wie den Atomdeal machen Orbán und Fidesz seit vier Jahren Politik: dem Willen Orbáns folgt der interne Beschluss, danach kommt die Erklärung fürs gemeine Volk, warum es anders nicht geht, am Ende ist jeder ein Nationenfeind, der dagegen ist...

Die Linke bringt nur noch ein müdes Häuflein alter Kämpfer auf die Straßen. Die DK, eine Politsekte von Ex-Premier Gyurcsány hat die Führerschaft übernommen, ganz zum Amüsement der Wahlkampfstrategen der Regierungspartei.

Es wurde deutlich, dass das AKW Paks, dessen Ausbau (wenn auch in anderen Dimensionen und mit einer weltweiten Ausschreibung) von beiden während ihrer Amtszeit befürwortet und beschlossen worden war, nur der Aufhänger für eine prinzipielle Wahlkampftirade war. Genauso deutlich wurde aber auch, dass die linke Opposition weiterhin weder den thematischen Hebel, noch die personelle Überzeugungskraft gefunden hat, um wirklich Massen zu mobilisieren und eine Wechselstimmung herbeizuführen.

Selbst die Themen der "Ausplünderung des Landes im industriellen Maßsstab" (EU-Gelder-Missbrauch, amtlich begünstigter Steuerbetrug, private Bereicherung, Tabakmonopol, Landnahme, Oligarchenrepublik), aber auch der allgemeine soziale Verfall der "unteren" Landeshälfte, bei gleichzeitiger Kádárscher Jubelpropaganda, konnten von der Opposition nicht in eine Wählerbewegung umgemünzt werden.

Die “FDJler” von Fidelitas, der Fidesz-Jugendorganisation bei ihrer “Gegendemo”. Mit Gyurcsány als Maskottchen... Lerne: wenn ein Sozi mit dem Kreml paktiert, ist es böse, macht es ein reiner Ungar wie Orbán, ist es “nationalstrategisch” wertvoll. Danke. Setzen.

Zu einfach ist es der Regierungspartei und der ihr angeschlossenen Medienlandschaft, mit dem Verweis auf die früheren "Leistungen" der linken Führungsfiguren, Slogans von den äußeren Feinden Ungarns und ihren inneren "Vasallen", Angstmacherei "Sie nehmen Euch die Renten weg" sowie ein paar Almosen, z.B. in Form der heute ins Parlament eingebrachten 3. Energiepreissenkungen, die Meinungsführerschaft zu behaupten, mit dem Ergebnis, dass die eigene Anhängerschaft mobilisiert ist und die Unentschlossenen in ihrer ablehnenden Apathie verharren. Wackeln die Umfragedaten, ruft einer laut: "Gyurcsány!" und alles ist wieder in Ordnung.

Die Ungarn sind skandalresistent geworden

Mit den billigsten Argumenten schickt Fidesz nicht einmal mehr die eigenen Sprecher los, sondern delegiert die Gegenpropaganda bereits an ein paar dümmliche Sprechpuppen ihrer Jugendorganisation Fidelitas, welche die Phrasen ihrer Altvorderen gedankenlos weiterplappern, deren Wiedergabe wir mittlerweile mit Rücksicht auf die Würde unserer Leser verweigern.

 

Der Schlagabtausch zwischen Links und Rechts ist in Wortwahl und Methodik nur noch ein hohles Ritual, die verweigernde Abscheu vieler Wähler die richtige Reaktion auf das Fürdummverkaufen. Die Ungarn sind skandalresistent geworden. Die Orbán-Partei wird dabei jede Woche platter und verlogener, worauf die Linke jede zweite Woche folgt. MSZP-Chef und Spitzenkandidat Attila Mesterházy hatte bereits vor Wochen gesagt, dass Demokratie und Rechtsstaat zwar schon "wichtig" seien, es aber auf der Hand liegt, dass man "nur mit Brot- und Butter-Themen" im Wahlkampf punkten könne.

Die Linke musste am Sonntag erneut erkennen, dass sie für die Mehrheit der Wähler weder in Form, noch in Inhalt eine wählbare Alternative darstellt. Möglicherweise hat sie das bereits erkannt, umso mehr bleibt auch ihr nur die eine Kampfparole: "Weg mit Orbán!". Dem Volk den emotionalen und möglicherweise auch materiellen Aufwand einer erneuten totalen Wende aber als lohnend zu verkaufen, dazu braucht es heute etwas mehr als alte Gesichter unter neuem Namen. Es braucht nicht nur eine Vision, ein Plan und glaubwürdige Gestalten, sondern auch noch viel mehr Elend.

Der Wahlkampf im Live-Ticker >>> ZUM WAHL-WATCHING
THEMENSEITE WAHLEN UNGARN 2014

cs.sz.

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