THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   POLITIK 10.02.2014

 

Ungarns neue Staatspartei

Parteien zur Wahl in Ungarn, Teil 3: FIDESZ-KDNP

Was Orbáns Regierungspartei programmatisch zu bieten hat, das kann man auf diesen Seiten jeden Tag nachlesen. Daher widmen wir dieses Wahlportrait einmal der grundsätzlicheren Frage, ob es sich bei Fidesz überhaupt noch um eine Partei im klassischen Sinne oder nicht längst um ein staatsgleiches (oder -fressendes) System handelt, dass politische Macht nicht mehr als Instrument, sondern als Selbtszweck anwendet. - Eine Kurzanalyse im Klartext.

Parteien zur Wahl: LMP - Jobbik - Zusammenschluss (MSZP, DK, E2014 etc.)
ZUR THEMENSEITE

Stimmenanteil Fidesz 2010: 52,73%, Mandate 263 (68%)
Prognose Umfrageinstitute (unter den zur Wahl Entschlossenen) 2014: 48-52%

Fidesz / KDNP ist ein Parteien- und Fraktionsbündnis rund um den "Bund Junger Demokraten / Bürgerbund" sowie den Christdemokraten. Das Spektrum der Partei, die sich im bürgerlichen Lager innerhalb der letzten eineinhalb Dekaden - mit nicht immer zimperlichen Methoden - eine waschechte Hegemonialstellung erarbeitet hat, reicht von moderat konservativ und christlich-demokratisch über machiavellistisch-opportunistisch, paternalistisch, frömmelnd-nationalistisch bis hin zu einem völkisch-rechspopulistischen Flügel, dessen Ideologie von jener der neonazistischen Jobbik nur noch in Nuancen unterscheidbar ist.

Premier und Parteichef Orbán, der sich und seine Partei binnen 25 Jahren Politkarriere vom libertären Dissidenten zum despotischen Ein-Mann-Demokraten transformierte, ist das unangefochtene Zentralgestirn, dem sich alle und alles unterzuordnen hat, weil seine Person die Erfüllung des Hauptziels der Partei garantiert, das in demokratischen Parteien nur Mittel zum Zweck wäre: Macht und Machterhalt, die Aneignung des Landes.

Verkauft wird dies unter einem konsequenten Feindbildaufbau und Parolen wie "nationalkonservative Revolution", "ökonomisch, politische und moralische Runderneuerung der ungarischen Nation", "Unabhängigkeitskampf" gegen "Multis, Finanzmärkte, Brüsseler Diktat, liberalen Mainstream", etc. Orbán gibt die grundsätzliche Marschrichtung vor, ein kleiner Kreis Vertrauter ist für Umsetzung und "Verkauf" der Maßnahmen zuständig, doch selbst bei den engsten Beratern ist absoluter Gehorsam Existenzvoraussetzung. Innerparteiliche Demokratie existiert nur auf dem Papier.

Die Interessen der Regierung und der Partei werden imperativ mit denen des Volkes und der Nation gleichgesetzt, was zur Folge hat, dass sowohl politisch Andersdenkende aus ihm bzw. ihr ausgeschlossen werden (siehe Orbáns Rede vom 23.10.2013) als auch Ethnien, die sich nicht als ungarisch, lies: magyarisch bekennen, aus der somit völkisch definierten Nation ausgespart werden (in der Verfassung sind die Ungarn nationen-, alle anderen nur noch staatsbildend).

Als wichtigste Figuren unter Orbán können die "starken Minister" gelten: Innenminister Sándor Pintér, Mihály Varga für Wirtschaft und Finanzen, Superminister Zoltán Balog. Alle anderen Kabinettsmitglieder sind nur Dekoration und Ausführende. Wichtige Exekutoren sind zudem der Staatssekretär im Amt des Ministerpräsident János Lázár (vorher Fraktionschef, heute auch für Ostöffnung und EU-Milliarden zuständig) sowie Fraktionschef Antal Rogán als Disziplinator der 2/3-Mehrheit in der parlamentarischen Abstimmungsmaschinerie. Beide verfügen über ihre eigenen Netzwerke, die Orbáns Macht auf dem kurzen Dienstweg bis in den letzten Winkel in der Provinz absichern. Vize-Parteichef und Bürgermeister von Debrecen Lajos Kósa sowie Parlamentspräsident László Kövér sind die Wahlkampfleiter, Letzgenannter deckt als populistischer Rechtsaußen auch die Flanke hin zur Jobbik ab, wobei es hier nicht in erster Linie darum geht, der Neonazi-Partei Symapthisanten abzuwerben, sondern die Stimmung im Lande so zu gestalten, dass dieses große Protestpotential nicht zur Linken wechselt, womit die latente Mehrheit des Fidesz in der so konstruierten "Mitte" arithmetisch gewährleistet bleibt. Am Rande sei noch Vizepremier und KDNP-Chef Zsolt Semjén erwähnt, eigentlich nur eine frömmlerische Witzfigur, der sich als Minister ohne Portfeuille um Glaubens- und Nationalitätenfragen (der Ungarn im Ausland) kümmern darf und nebenbei als Reichsjägermeister und Hofschranze durch die Lande streift, aber - aus taktischen Gründen - auf Platz 2 der Landeseliste geführt wird.

Gleichzeitig rechtfertigt man aus diesem absolutistischen Vertretungsanspruch auch die Anmaßung, demokratische und rechtsstaatliche Grundprinzipien und dazugehörige Kontrollinstitutionen "im nationalen Interesse" außer Kraft zu setzen, gleichzuschalten, im Eigeninnteresse zu beeinflussen oder zu behindern und allen wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben, also u.a. Verfassungsordnung, Ökonomie, Verwaltung, Bildung, Medien etc. den eigenen Stempel aufzudrücken, unabhängig davon, ob die Entscheidungen auch wirklich dem Gemeinwohl dienen oder nicht.

Dabei wird auch die Gewaltenteilung immer mehr ad absurdum geführt, die
Verfassungsordnung auf den Kopf, das von Fidesz festgestellte "Gerechtigkeitsempfinden des Volkes" über "das Recht" gestellt. Als "Nebeneffekt" folgt aus diesem Staatsbild u.a. auch die schrittweise (wenn nötig auch rückwirkende) Legalisierung eigentlich illegaler Machenschaften, die Schaffung eines Parteienstaates, der zur systematischen Aneignung öffentlicher materieller Ressourcen durch parteinahe Netzwerke führt und in vielen Bereichen - sei es bei der Wortwahl, den Nationalisierungsbestrebungen etc. - immer mehr an die poststalinistische Kádárzeit erinnert. Die strukturelle und institutionelle Gründlichkeit ist dann auch der qualitative und quantitatve Unterschied zu den "normal" korrupten Systemen unter den sozial-liberalen Vorgängerregierungen. Mehr dazu hier.

Sowohl Orbán wie auch andere hohe Fidesz-Funktionäre haben regelmäßig ihre Verachtung für die parlamentarische Demokratie zum Ausdruck gebracht, Orbán selbst sagte, dass es "möglich sein könnte, dass die Krise andere Regierungsformen als die Demokratie nötig machen" könnte. Orbán und Fidesz schwebt ein klassischer Ständestaat mit Betonung des christlichen Erbes (zu dem offenbar auch die Vor-Trianon-Gebiete gehören) vor, was auch die angestrengten Bemühungen zur Reinwaschung der Horthy-Ära erklärt sowie ökonomisch und sozial unsinnige bzw. gezielt betimmte Gruppen protektionierende Maßnahmen wie die 16%ige Flat tax besser verstehen lässt.

Ein solcher ständisch definierter Untertanenstaat aber geht von der Ungleichheit der Menschen von ihrer Geburt, sprich sozialen Zugehörigkeit aus und widerspricht damit grundlegend den Werten der Aufklärung, der Demokratie und sogar denen der EU. Er stößt in das Vakuum, das die ungelösten Finanz- und Wirtschaftskrisen, die falsche Prioritätensetzung in der EU eröffneten. Orbáns Ungarn (er sprach selbst vom "Experiment Ungarn") ist (neben Griechenland, Italien) ein Beispiel dafür, wohin die Entwicklung gehen kann, wenn diese Krisen ungelöst bleiben und die Richtungsbestimmung, die Perspektive der EU weiter vom Primat der Wirtschaft bestimmt wird.

Fidesz ist Teil der Europäischen Volksparteien EVP, somit eine Schwesterpartei der CDU. Der SPD-Außenminister Steinmeier nannte die Beziehungen beider Länder stabil, sie hätte sich seit einiger "Bedenken" in den Vorjahren sogar wieder verbessert.

Die Stärke des Fidesz von Viktor Orbán ist auch seine Schwäche: mag die Partei heute noch unerschütterlich erscheinen, kann sie bei einem - wie immer aussehenden - Abgang Orbáns - der nun schon ein Vierteljahrhundert ihre Geschicke leitet - schnell in Puzzleteile verfallen. Denn das System Fidesz beruht nicht vordergründig auf politisch ausgerichteten Interessensgruppen, sondern auf persönlichen und ökonomischen Abhängigkeiten, Gefälligkeiten und informellen Kontaktpyramiden. Verglüht Orbáns Sonne, wird das gesamte Gefüge schnell ins Wanken geraten. Orbáns Charakter ist weder auf Niederlagen, noch auf eine Zeit nach ihm selbst vorbereitet. Überhaupt wird der Einfluss von Orbáns Persönlichkeit auf seine politischen Entscheidungen, sträflich unterschätzt, aber das wäre dankbares Thema eines anderen Artikels.

 

Dumpfe, aber sehr wirksame Propaganda, paternalistische Verteilungsmechanismen und vor allem auch die massive Schwäche der links-liberalen Opposition, eine gangbare und glaubwürdige Alternative (inhaltlich wie personell) darzustellen, machen Fidesz zum fast unangefochtenen Favoriten bei den Wahlen im April. Auch heiße Luft kann ein Vakuum füllen. Es ist davon auszugehen, dass Orbáns Systempartei noch 2-3 Jahre auf dem Höhepunkt ihrer Macht verweilen kann, diese Zeit nutzen wird, um das "Beste" daraus zu machen, bevor Orbáns Stern wegen unaufhaltsamer ökonomischer Fehlentwicklungen und daraus folgender gesellschaftlicher Ablehnung zu sinken beginnen wird.

Alles weitere zur Wahlprogrammatik und zur Aufstellung im Wahlkampf lesen Sie im Parteitagsbericht:
Generalmobilmachung

ms.

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