THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 11 - 2014   WIRTSCHAFT 11.03.2014

 

Last-Minute-Versprechungen

Linkes Oppositionsbündnis in Ungarn zimmert waghalsiges Wirtschafts- und Steuerprogramm

Dem aktuellsten Wirtschaftsprogramm des linken Oppositionsbündnisse sieht man die Panik, in der es geschrieben wurde, förmlich an, es ist eine zwanghafte Reaktion auf den Geldbörsen-Wahlkampf der Regierungspartei. Einige Maßnahmen klingen vernünftig und auch sozial geboten, andere wiederum sind reine Versprechen. Doch mit der ungeschminkten Wahrheit - so glaubt der Berufspolitiker - kann man keine Wahlen gewinnen.

Alles etwas gestellt, I: Oppositions-Spitzenkandidat Mesterházy beim Wahlkampf in Szombathely

Derzeit geben sich Regierungs- und Oppositionsparteien allüberall die Klinke bei Wahlveranstaltungen in die Hand. Nach einer derartigen Veranstaltung in Szombathely, befleißigte sich das linke Oppositionsbündnis "Regierunswechsel" (MSZP, DK, E2014-PM, MLP) einer im Angesicht der Umfragen dringend notwendig erscheinenden Konkretisierung seines Wahlprogrammes, vor allem hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Aspekte nach dem angestrebten - wenn auch sehr unwahrscheinlichen - Machtwechsel. Dieses fasste Spitzenkandidat Mesterházy (MSZP) nun in acht Punkten so zusammen, in Klammern unsere erklärenden Ergänzungen

- 250.000 neue, echte Arbeitsplätze in vier Jahren, dazu Arbeits- oder Fortbildungsplatzgarantie für alle unter 30 (250.000 neue Arbeitsplätze reklamiert auch Orbán als erreicht ein, allerdings bestehen diese fast nur aus umdeklarierten Frührentnern, mitgezählten im Ausland arbeitenden Ungarn und öffentlichen Billigstlöhnern, wo Mesterházy "echte" Arhbeitsplätze in dieser Dimension herzaubern will, bleibt sein Geheimnis. Allein durch eine "Rückgewinnung von Vertrauen" bei Investoren wird das nicht gelingen.)

- Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 100.000 Forint (330 EUR) netto (derzeit ist das brutto, netto kommen dabei rund 65.000 HUF heraus), ohne dabei den Arbeitgeberanteil an den Lohnnebenkosten zu erhöhen (wenn der zweite Teil des Satzes wirklich eingehalten wird, könnte die Rechnung sogar aufgehen, da die meisten Arbeitnehmer sowieso mehr erhalten, allerdings bisher schwarz, eben wegen der hohen arbeitgeberseitigen Abgaben, wenn Mesterházy das aber auch im öffentlichen Dienst, sprich bei Közmunkás durchziehen will, wirds sehr teuer.)

- Kleinst- und Kleinunternehmen sollen die Arbeitgeberanteile an ihren Lohnzahlungen von ihrer Steuerbasis für die Körperschaftssteuern abziehen können. (hier fehlt die Konkretisierung, was Kleinst- und Kleinunternehmen sind, die KMU in Ungarn haben tiefergehende und sehr strukturelle Problemfelder vor sich, die sich nicht mit einem Unterpunkt bereinigen lassen)

- Wir werden den Preis von Grundnahrungsmitteln spürbar senken (gemeint ist die längst überfällige Reduzierung der 20 bzw. 27%igen Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel, die nicht nur den Ärmsten zu schaffen machen, sondern auch zu massivem Steuerbetrug bei Import-Export-Mehrwersteuer-Karussells einlädt. Die jetzige Regierung schiebt die Sache seit Jahren ungelöst vor sich her, wofür man Gründe vermuten darf... Was der Handel an Steuersenkungen mittelfristig tatsächlich weiter gibt, ist eine ganz andere Frage....)

- die Senkung der Energie- und Wohnnebenkosten wird gerecht und nachhaltig gestaltet (an diese heilige Kuh der Regierung traut sich die Linke natürlich nicht frontal ran, übersetzt kann die Ankündigung bedeuten: Senkungen nur für Bedürftige bzw. gestaffelt nach Einkommen, keine weiteren Verstaatlichungen in der Branche und schon gar kein "Profitverbot" für die Versorger - ob sich das am Ende für die Bürger ohne begleitende Regulierung rechnet, dürfte genauso fragwürdig sein, wie die Holzhammer-Planwirtschaft der Orbanisten)

- 24.000 Forint monatlicher Medikamtenzuschuss für alle Rentner ab 65 mit einem Einkommen von 100.000 Forint (310 EUR) oder weniger (tatsächlich sind die Medikamtensubventionen unter Orbán massiv zurückgefahren worden, auch, um die reichenfreundliche 16%ige flat-tax gegen zu finanzieren. Hat nicht gereicht, man musste dazu auch noch die privaten Rentenbeiträge kassieren und verpulvern. Offen ist hier - wie fast überall - die Finanzierungsfrage.)

- Wir werden die langen Wartelisten (für nicht lebensnotwendige Operationen) radikal verkürzen und später ganz abschaffen (nötig und wichtig, wird bei der strukturellen Schwächung des Gesundheistwesens und der massiven Abwanderung von medizinischem Personal ein finanzieller Kraftakt, der sich gewaschen hat)

- Hungernde Kinder wird es in Ungarn mit uns nicht mehr geben. (Zahlen von 2011 sagen, dass mindestens 25.000 Kinder in Ungarn regelmäßig hungern, knapp 400.000 werden nicht angemessen ernährt, 120.000 Schulkinder sind nicht ausreichend versorgt - diese Zustände herrschen übrigens nicht erst seit Orbán, haben sich aber unter ihm weiter verschärft. Egal was es kostet, dieser Zustand, diese Schande ist zu beenden, hier wäre einmal eine Sondersteuer angebracht, natürlich gefolgt von nachhaltigen Projekten)

Alles etwas gestellt, II: Gegendemo der Regierungsfans...

An anderer Stelle kündigte die Oppositionsallianz, vor allem Ex-Premier Gyurcsány (DK) bereits an, dass man die von Orbán eingeführten und von der gleichen Allianz stets heftig kritisierten Sondersteuern, vor allem jene für die Banken, aber auch die für Finanztransaktionen, den Handel, Telekoms etc. nicht "von heute auf morgen" abschaffen könne. Das lassen weder Schuldenstand noch Wirtschaftswachstum derzeit zu, schon gar nicht die Anforderungen des arg ausgereizten "Wahlkampfbudgets" 2014.

Das besagt bereits, dass es mit der Finanzierung der oben angekündigten Maßnahmen ziemlich eng werden dürfte. Allerdings will man die Flat tax von 16% auf alle Einkommen wieder abschaffen, dafür für die Ärmsten Freibeträge installieren und ein zweistufiges Steuersystem, wobei die Besserverdiener mit einem Steuersatz in den 20ern nicht völlig verschreckt werden sollen. Auf rund 500-600 Milliarden Forint, also ca. 2% des BIP schätzt man derzeit die jährlichen Kosten für das Steuergeschenk an die Besserverdiener. Doch diese Summe würde bei Weitem nicht reichen, um das oben Genannte umzusetzen.

Bei einem Machtwechsel sollen alle unter 280.000 HUF (900 EUR, Schnitt bei ca. 740.- EUR) sich gegenüber heute verbessern, während jene die "mehr als das Zweifache als der Schnitt" verdienen, was auf ca. 8-10% der Gehälter zutrifft mehr, 28 Steuern zahlen müssten, was das Bündnis als "Solisteuer" deklariert, so als müsste man sich für ein mehrstufiges Steuersystem schon schämen. Der Mindestlohn soll nur noch mit 8% besteuert werden, sagte dazu heute ein Vertreter der DK, wozu, um die 100.000 HUF Nettogarantie, s.o., zu erreichen, eine 10%ige Anhebung fällig wäre.

 

Dieser neuen Stichwortsammlung / Wirtschaftsprogramm des Oppositionsbündnisse sieht man die Panik, in der es geschrieben wurde, förmlich an, es ist eine zwanghafte Reaktion auf den Geldbörsen-Wahlkampf der Regierungspartei, die wiederum in den kommenden Wochen landesweit in Großplakaten und auf 300 "Bürgerversammlungen" vom Wirtschafts- und Jobwunder fabulieren, den "Nebenkostenkrieg" ausweiten und die "Sicherung der Rentenwerte" behaupten wird. Hier der Faktencheck.

Die ökonomischen
Überlegungen von Ex-Premier Bajnai vor mehreren Monaten waren vorsichtiger und substantieller als das, was er jetzt mit seinen linksliberalen Kollegen im Wahlkampfendsourt vertreten soll. Auch beim Linksbündnis zeigt sich somit die festsitzende Politikerüberzeugung, dass man die Wahlversprechen der Gegenseite immer überbieten muss, man also mit der Wahrheit und realistischen Zusagen keine Wahlen gewinnen kann.

cs.sz. / red.

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