THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 13 - 2014   POLITIK 25.03.2014

 

Frei, aber unfair?

Zehntausende Beobachter sollen Wahlen in Ungarn sichern

Am 6. April gibt es in Ungarn 10.386 Stimmlokale, in denen 31.000 Wahlhelfer und Wahlbeobachter den fairen Ablauf des Urnenganges überwachen sollen. So soll wenigstens noch eine freie Abstimmung gewährleistet werden, denn von "fair, gleich und geheim" hat man sich in Ungarn schon lange verabschiedet. Beobachter rechnen aufgrund des neuen Wahlrechts mit einer Flut von Beschwerden, am Ende könnten sogar Gerichte die Wahl entscheiden. - Ein Überblick über die Knackpunkte.

Die Chefin der Nationalen Wahlkommission präsentierte nationale und lokale Stimmzettel für dne 6. April. Ein Journalist misst nach...

14.190 Wahlbeobachter wurden von der Regierungspartei Fidesz-KDNP geschickt, 9.906 vom linken Oppositionsbündnis, weitere 5.295 von der neonazistischen Jobbik, der Rest verteilt sich auf die LMP sowie mehr als zwei Dutzend Splitterparteien. Zusätzlich werden von der Wahlkommission gestellte Wahlleiter sowie weitere - offiziell - parteiunabhängige Wahlhelfer von den Gemeinden bestellt.

Routinemäßig beobachtet werden die Urnengänge auch von zwei Handvoll OSZE-Beobachtern, die keinen besonderen Observationsbedarf erkennen, wie die Regierung sichtlich stolz betonte. Lediglich in Nebensätzen ließ die OSZE wissen, dass man sich über die Zustände bei den staatlichen Medien sorgt und fürchtet, dass Verstöße von den zuständigen Behörden wegen Parteinähe übersehen werden könnten. Natürlich werden auch die Medien eine wichtige Rolle spielen, vor allem jene News-Portale, die sich mit Live-Tickern und vielen Reportern vor Ort auf die Spurensuche nach Ungereimtheiten begeben. Der Staatsfunk wird seinen ihm zugedachten Beitrag leisten.

Da in diesem Jahr ein von grundauf neues Wahlgesetz und neue Wahlkampfbestimmungen wirksam werden, wird mit einer ganzen Reihe von Beschwerden gerechnet, wobei es hier nicht mehr um die Frage der demokratischen Qualität des Wahlgesetzes an sich geht, sondern nur um die korrekte Umsetzung desselbigen.

Beschwerden und Einsprüche werden zunächst von der jeweiligen lokalen Wahlkommission behandelt, können von diesen aber auch an die Nationale Kommission weitergegeben werden, die ein Monitoringsystem für alle Vorwürfe einrichtet. In den Wahlbüros sind Kameras angebracht, auf die auch die Opposition Zugriff hat. Weitere Einspruchsmöglichkeiten gibt es bei den Gerichten, die, so die Einschätzung von Beobachtern, am Wahltag, aber auch danach, alle Hände voll zu tun haben werden, womöglich kann sich wegen juristischer Streitigkeiten sogar die Verkündigung des amtlichen Wahlergebnisses verzögern.

Die demokratische Opposition hatte bereits vor Monaten eine "Alternative Wahlkommission" aus Experten gebildet, weil man der nationalen, die naturgemäß
von Fidesz-Kandidaten dominiert wird, nicht über den Weg traut und hinter jedem Computervirus eine Verschwörung bei jeder Schlamperei ein Komplott, sogar bei der Anordnung der Logos und Parteinamen eine Benachteiligung erkennt.

Bei Einsprüchen während Zwischenwahlen fiel bereits auch auf, dass die Klagen der Opposition fast immer abgewiesen wurden, während man bei Verfehlungen der Regierungspartei zunächst ein Auge zudrückte. Häufig musste dann erst ein Gericht für Ordnung im Sinne des Gesetzes sorgen. Allerdings hatte sich die Linke mit dem Video-Skandal von Baja den mit Abstand größten Patzer geleistet, der den Kommunikationschef der Partei den Kopf kostete. Dennoch forderte genau jene MSZP "mindestens 1000 OSZE-Beobachter".

Als besonders heikel gelten die Regelungen zur Abschaffung des früheren Wahlfriedens. Dieser ist aufgehoben, d.h. am Wahltag selbst können Parteiaktivisten noch von Tür zu Tür gehen, um Bürger zur "Wahl zu motivieren", die Medien können trommeln und selbst der Pfarrer kann die Schäfchen noch auf den rechten Weg, also von der Kirche erst ins Wahllokal und dann ins Wirtshaus schicken. Auch Fahrdienste sind erlaubt - bei Einverständnis und auf Bitten des Wahlberechtigten. Beide Seiten interpretierten diesen Passus aber bereits vor Inkraftreten als Freibrief für organisierte Massenzuführung zu Wahllokalen, z.B. von Altersheimen oder aus Romasiedlungen, was permanent zu Streitigkeiten führte.

Die Wahl in Ungarn ist als frei, aber nicht als fair zu bewerten, hinsichtlich der unterschiedlichen Registrierungsbedingungen und Stimmabgabemöglichkeit für Auslandsungarn mit bzw. ohne Wohnsitz in Ungarn (
hier und hier), kann auch von keiner gleichen Wahl mehr die Rede sein. Eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit wurde verhindert. Die Effekte des Mehrheitswahlrechtes wurden verschärft (durch Umbuchung von Direktstimmen auf die Zwetistimmenzählung), durch die wegen der Parlamentsverkleinerung notwendige Neuziehung der Wahlbezirke und -kreise, habe sich Fidesz weitere Vorteile verschafft, in dem man oppositionelle Hochburgen geschickt teilte (Gerrymandering). Mehr zu den Eckpunkten des neuen Wahlrechts.

Höhepunkt der Anmaßungen war der Vorstoß aus Fidesz-Kreisen, Menschen mit "mangelnder politischer Einsichtsfähigkeit" von der Wahl auszuschließen, wobei man absichtlich schwammige Auswahl- und Exekutions-Kriterien anlegte, was die Kritiker als Zuschnitt auf die Roma interpretierten. Diesmal kam Fidesz damit genauso wenig durch, wie mit der ähnlich motivierten allgemeinen Wählerregistrierung, wobei hier erst die Zaunpfähle von EU und Verfassungsgericht Wirkung zeigten.

 

Gleichzeitig senkte man die Zugangshürde für die Kandidaten um die 106 Direktmandate, womit man sich durch die schiere Zahl von Kandidaten in einigen Bezirken einen Vorteil verspricht, da nun die relative Mehrheit der Stimmen genügt, d.h. bei 10 Kandidaten, könnten theoretisch schon 11% der abgegebenen Stimmen genügen, um ins Parlament gewählt zu werden. Nach Anmeldeschluss lag die durchschnittliche Kandidatenzahl bei 9, schwankt aber zwischen minimal 6 bis maximal 18. Hier mehr über die Kandidatenstatistiken zu Meldeschluss. Die gleiche Möglichkeit - aus taktischen Überlegungen Kandidaten zurückzuziehen oder hinzuzunehmen, hatte natürlich auch die Opposition, allerdings verfügt sie nicht über das lokale Netzwerk von Bürgermeistern, die mit ihren informellen Ressourcen dem Fidesz Gewehr bei Fuß zu stehen haben.

Ein eigenes Thema war und ist die Frage nach Medien- und PR-Macht und der Verquickung zwischen Regierungs- und Parteikampagnen. Dazu auch: Nationalistisches Wahl-Video im Namen der staatlichen Wahlkommission

Ein Politinstitut errechnete, dass unter entsprechenden Konstellationen, ungefähr 42% aller Wählerstimmen für eine erneute 2/3-Mehrheit der Regierungsparteien genügen könnten oder anders gesagt: fährt Fidesz das gleiche Wahlergebnis wie 2010 ein, verfügt es im neuen Parlament nicht über 68, sondern 79% der Mandate, es entstünde praktisch ein Parlament fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Alles Weitere zum Wahlrecht, aktuelle Umfragen, Parteiportraits und Wahlkampfberichte sowie ein Leserforum finden Sie auf unserer THEMENSEITE. Den Tag der Wiederwahl unseres großen Vorsitzenden begleiten wir selbstverständlich mit einem Live-Ticker.

red.

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