THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 14 - 2014   POLITIK 07.04.2014

 

Viktor allmächtig?

Wahlen in Ungarn: Orbáns Sieg ist nicht ohne Makel und Preis

Premer Viktor Orbán und seine Regierungsparteien Fidesz-KDNP haben am gestrigen Sonntag einen klaren Wahlsieg eingefahren. Sie erreichten 96 der 106 Direktmandate und 44,5% der abgegebenen Zweitstimmen, was insgesamt zu 133 Mandaten im 199 Plätze umfassenden neuen Parlament und damit hauchdünn zu einer erneuten Zwei-Drittel-Mehrheit führte. Diese stützt sich auf ein Drittel der Bevölkerung und auf Wahlerfolge der Neonazis... - ZAHLEN & KOMMENTAR

Das linke Oppositionsbündnis "Regierungswechsel" konnte die Wähler nicht davon überzeugen, die richtige Alternative zu sein, mit 10 Direktmandaten und 26% der Zweitstimme verfehlte man die selbst gesteckten Ziele bei Weitem, insgesamt teilen sich die fünf Parteien des Bündnisses gerade 38 Mandate.

Eigentlicher Wahlsieger ist die neonazistische Jobbik mit 23 Mandaten aus 20,3% der Wählerstimmen, gerade so schaffte es nochmals die LMP (Grüne), mit 5,3% der Stimmen kommt man auf 5 Sitze.

Das Wahlergebnis der
Parlamentswahlen in Ungarn 20140 auf einen Blick:
UPDATE:
15.April

Mandatsverteilung nach knapp 99% ausgezählter Stimmen

Eine Liste aller 199 Abgeordneten finden Sie hier.

Wahlergebnis nach 99,99% ausgezählter Stimmen

Wahlbeteiligung: 61,73% (60% im Inland, ca. 65% bei den zur Briefwahl Registrierten)

Für die 93 Mandate für die Landeslisten (Zweitstimme)

FIDESZ-KDNP 45,04%
Oppositionsbündnis “Regierungswechsel” 25,67%
Jobbik 20,30%
LMP 5,36%
Sonstige: je unter 1%

Ergebnis 2010: Fidesz-KDNP 52,7%, MSZP 19,3%, Jobbik 16,7%, LMP 7,5
Umfragenspanne 2014: Fidesz-KDNP 41-51%, Linksbündnis 21-29%, Jobbik 18-25%, LMP 4-6%
PL-Prognose: Fidesz-KDNP 44%, Linksbündnis 24%, Jobbik 22%, LMP 5%, Sonstige 5%.

Für die 106 Direktmandate (Erststimme, relative Mehrheit)

FIDESZ 96, Linksbündnis 10

Daraus ergibt sich insgesamt folgende Mandatsverteilung

Fidesz 133 (2/3 sind 133 Mandate)
Oppositionsbündnis 38
Jobbik 23
LMP 5

Gewonne Direktmandate in Budapest

Gewonne Direktmandate landesweit, außer Budapest

Quelle: Nationale Wahlkommission www.valasztas.hu

Festzuhalten ist, dass das neue Wahlrecht Fidesz zwar massiv half, die Opposition aber die Wahlen nicht an den Wahlurnen, sondern bereits viel früher verloren hat. Allerdings wäre die 2/3-Mehrheit der Mandate nach altem Wahlrecht nicht wieder möglich gewesen, vor allem bei den Direktmandaten, bei der in diesem Jahr schon die relative Mehrheit genügte, hätten einige Fidesz-Kandidaten einen zweiten Wahlgang nicht überstanden.

95,49% aller 122.588 Briefwahlstimmen von im Ausland lebenden Ungarn fielen an Fidesz, knapp 3.000 an Jobbik, rund 1.500 an das Linksbündnis, gerade 570 an LMP, rund 60.000 davon wurden erst in der Woche nach der Wahl ausgezählt, was die “Erholung” des Fidesz-Ergebnisses gegenüber der vorletzten Hochrechnung erklärt. Das Ergebnis aus “Trianon-Ungarn” entspricht ca. 1,5 Mandaten, war also für die Erlangung der 2/3-Mehrheit ausschlaggebend.

Ein weiteres hart umkämpftes Mandat in Budapest XIII. Bezirk gewann der Fidesz-Kandidat mit 22 Stimmen Vorsprung, weitere Mandate wurden mit ein paar Dutzend bzw. ein paar Hundert Stimmen Vorsprung von den Fidesz-Leuten gewonnen, sie hätten allesamt einem zweiten Wahlgang nicht standhalten können.

Fidesz verlor massiv, gegenüber den Wahlen 2010 rund 9 Prozentpunkte bzw. rund 660.000 Stimmen. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass immer mehr Menschen mit der Politik nicht einverstanden sind und unter ihren Auswirkungen nicht leben wollen - nicht leben können! Allerdings bleiben sie entweder der Wahl fern oder wählen extremistisch.

Der Sieg Orbáns 2014 stützt sich auf gerade 2.264.730 Zweitstimmen, was rund 23% der in Ungarn lebenden Bevölkerung und 30% der Wahlberechtigten entspricht. Aus weniger als einem Drittel werden so 2/3. Ein Phänomen, das man nicht mehr mit demokratisch bezeichnen kann.

Als einzige Kraft deutlich zulegen konnte die neonazistische Jobbik, die gegenüber 2010 5 Prozentpunkte auf 1.020.476 Stimmen gewann, jeder 5. Wähler bzw. jeder 10. Bürger gab also Rechtsextremen sein Vertrauen.

Die Linke erreichte - vereint - ungefähr so viele Stimmen wie MSZP und ihre Ex-Partner bei ihrer historischen Niederlage vor vier Jahren, 1.290.804 die LMP - als Kraft, die sich von beiden Lagern distanziert - kann unter den Umständen wirklich nur von Glück sprechen, dass sie wieder im Parlament sitzt, immerhin.

 

Orbán gelang es, durch seine Politik, seine Rhetorik und die Wahltaktik, die sich unversöhnlich gegenüberstehende Opposition in zwei etwa gleich große Lager auseinanderzuhalten, ein Erstarken der Rechtsextremisten dabei einkalkulierend.

Die Wahlbeteiligung lag bei 61,2% und ist damit die zweitniedrigste seit der Wende (nach 1998, Wahlsieger damals: V. Orbán), bezogen auf den jeweils ersten Wahlgang (bis 2010 gab es zwei Wahlgänge). 3 Punkte weniger als vor vier Jahren.

Übrigens hat es keine der Minderheitenwahllisten auch nur annähernd über die natürliche Grenze von 19.000 Stimmen für ein Mandat geschafft (Beste hier die Ungarndeutschen mit etwas über 9.000), nur das Quorum für die Symbolmandate ohne Stimmrecht (je 1 pro Minderheit war vorgesehen) wurde von den meisten übersprungen.

red.

Die Schlussfolgerung aus den Wahlen am Sonntag ist für Orbán - das ist zu befürchten - eindeutig: noch konsequentere Anwendung aller bereits vorhandenen Mittel der Machtzementierung, exekutiv, legislativ und judikativ sowie nun auch konstitutiv. Noch stärkere Kontrolle über die Medien, noch gezieltere Klientelpolitik zum Aufbau einer Nomenklatura, die über die Mehrheitsgesellschaft die materielle (Abhängigkeit zum Arbeitgeber), mentale (Propaganda) und notfalls auch physische (Kommunalbeschäftigung) Gewalt ausübt.

Das linke Oppositionsbündnis, das bereits erste Zerfallserscheinungen zeigt, muss sich personell und programmatisch nicht einfach nur "erneuern", sondern die Opposition muss sich völlig neu erfinden und an zwei Fronten bewähren: Rettung der Reste demokratischer und rechtsstaatlicher Mechanismen in Ungarn sowie Darstellung einer realistischen und vertrauenswürdigen Alternative zum Allmachtsanspruch der Orbán-Partei.

Jobbik hingegen schielt nun erst recht auf eine "Machtergreifung" - spätestens - in vier Jahren. Dann könnte es in Europa wieder soweit sein, dass eine "nationalkonservative" Partei zur Machtsicherung auf Neonazis zurückgreift. Dann gibt es keine Wahl mehr.

cs.sz.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.