THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 15 - 2014   POLITIK 11.04.2014

 

Kabinettstückchen und Prototypen
Fakten und Gerüchte zur neuen Regierung in Ungarn

Das 3. Orbán-Kabinett wird in ein paar Wochen stehen und dem alten sehr ähnlich sein. Nur einige Personalien sollen ausgetauscht oder umgesetzt werden, um das "System" noch effizienter auf Orbán zuzuschneiden. Gehorsam und Treue waren schon immer die Grundvoraussetzungen in seinem Team, ideologische Festigkeit sowie ein gewisses Verkaufstalent kommen jetzt noch hinzu. Martonyi und Hoffmann gehen fix, die Protoypen Rogán und Lázár könnten die Aufsteiger sein.

Die Regierung Orbán 1, verewigt auf einem staatlichen Auftragswerk
aus dem “Jahr der Heiligen Krone”, 2000

Offiziell ist bereits das Ausscheiden von Außenminister János Martonyi. Der gerade 70 Jahre alt gewordende Chefdiplomat geht in den Ruhestand, eigentlich wollte er schon nach Ende der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft seinen Hut nehmen, Anfang 2013 erkrankte er schwer und wirkte danach oft ermattet. Eigene Akzente konnte er nicht setzen, nur versuchen, die internationalen Irritationen über Orbáns Show, seine Anti-EU-Rhetorik sowie dessen "Ostöffnung", wegzulächeln. In den letzten zwei Jahren hat Martonyi seinen sonst auf dem diplomatischen Parkett so geschätzten Charme eingebüßt und reagierte immer dünnhäutiger auf kritische Stimmen in Europa.

Als Nachfolger wird der jetzige Vizepremier und Minister für Justiz und Öffentliche Verwaltung, Tibor Navracsics, ein enger Orbán-Vertrauter und
Vater der neuen (Partei)Verfassung, genannt, allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass Navracsics als nächster ungarischer EU-Kommissar in Brüssel einfällt, dann würde wahrscheinlich einer der aktuellen Botschafter ins Ministeramt aufsteigen, während der Staatssekretär Zsolt Németh die tägliche Wühlarbeit weiterführt.

Das durch Navracsics Wechsel frei werdende, aber für die Machtsicherung so zentrale Ministerium für Justiz und Öffentliche Verwaltung könnte sowohl an den jetzigen Fidesz-Fraktionschef Antal Rogán fallen, ein gehorsamer Karrierist, dessen fachliche und politische Fähigkeiten disproportional zu seinem
Drang zu Selbstdarstellung und Wichtigmacherei gelagert sind oder an Staatssekretär János Lázár, den Amtsleiter Orbáns, Aufseher über die EU-Milliarden, rechte Hand und Mädchen für Alles sowie Pate, auch für die Tabaklizenzen. Ihn umzusetzen, bedeutete jedoch für Orbán, andere Personen in die dunklen Gänge seines Machtlabyrinths einweihen zu müssen, weshalb die Marionette Rogán den praktischeren Weg darstellen sollte. Lázár formulierte kurz vor der Wahl, wie sehr er es bedauere, dass es in Ungarn keine Todesstrafe gibt. Das könnte ihn für Orbán als Justizminister wiederum interessant machen.

Rogán und Lázár sind die Prototypen aus Orbáns Marionettenwerkstatt: jung, dreist, machthungrig und auch sonst giereig, zynisch, nicht zu intelligent, aber auch nicht ganz dämlich, vor allem aber: gehorsam, charakterlos und unermüdlich kampfeslustig, abgerichtete Pitbulls, - nur ohne deren ethische Prinzipien. Ob es - selbst aus Orbáns Machtbrille gesehen - so clever ist, nur noch auf solche Befehlsempfänger zu setzen, wird sich herausstellen. Allerdings unterliegt Orbán hier einem fast zwangsläufigen Gesetz der Alleinherrscher, die Kompetenzen, gar Charakter bei Anderen ja nicht als Gewinn, sondern als Bedrohung wahrnehmen.

Auch der Minister für Landwirtschaft, Ländliche Entwicklung, Umwelt, Lebensmittelsicherheit etc., Sándor Fazekas, steht gerüchteweise auf der Kippe, ihm wird vor allem strukturelle Überforderung mit der Bewältigung des Apparates und mangelnde Stringenz bei der Umsetzung der Orbán-Direktiven vorgehalten, kurz: er ist sogar als Befehlsempfänger zu dämlich. Bestätigt ist das noch nicht, doch der gestrige unwirsche Auftritt vor der Presse bezüglich des "Befreiungskampfes für den ungarischen Pálinka" könnte ein Indiz sein, dass seine berufliche Sattelfestigkeit mit seiner Trinkfestigkeit nicht mehr ganz Schritt hält. Hier könnte Melonenkomissar Gyula Budai nachfolgen, der eine gewisse Bissfestigkeit beim Thema Enteigngungen von Boden und Agrarbetrieben im Interesse der neuen Fidesz-Landbarone an den Tag legt.

Fest im Sattel sitzen hingegen die Hausmeister der Schlüsselressorts: Mihály Varga für Wirtschaft und Finanzen, wahrscheinlich der einzige, der fachlich versteht, was für einen irrwitzigen Kurs er fährt, eigentlich die schlimmste Sorte Politiker, aalglatte Technokraten, die - wider besseren Wissens - ihren Herren dienen. Aber davon haben wir in Europa ja eine ganze Reihe. Dann der offiziell reichste Minister im Kabinett, Innenminister Sándor “Bleiben Sie in Ihren Wagen” Pintér, der neben der Polizei auch 250.000 Kommunalbeschäftigte beaufsichtigt, damit seine Wachschutzgesellschaften auch genügend Aufträge lukrieren sowie der von Orbán besonders geförderte Superminister und kalvinistische Pfarrer Zoltán Balog, der die wohl gründlichste Umprogrammierung unter Orbán durchlaufen hat, was sogar dem deutschen Bundespräsidenten und Glaubensbruder Gauck eine besondere Würdigung wert war.

Zu erwähnen wären noch Verteidigungsminister Csaba Hende, der als viereckiger Feldmarschall seine Aufgaben als Grüßaugust und Aufrüstungsrhetoriker der Honvéd-Truppen wohl erfüllt sowie die durch die Übernahme der EU-Milliarden in Orbáns Vorzimmer völlig marginalisierte Entwicklungsministerin Zsuzsa Németh, deren Hauptaufgabe darin besteht, die kreative Rechnungslegung der neuen Nomenklatura den Brüsseler Geldgebern zu erklären, vielleicht der schwerste wirkliche Job im Kabinett.

Ebenfalls im kommenden Kabinett nicht mehr dabei sein wird die Staatssekretärin im Superministerium für "Humanressourcen", Rózsa Hoffmann, quasi die Bildungsministerin. Ihr wurde nach den Studentenprotesten Ende 2012 bereits die Agenden für die Hochschulbildung entzogen, allerdings nur, damit sie ihr Unwesen umso gründlicher im Pflichtschul- und Kindergartenbereich treiben konnte. Die Zwangsverstaatlichung von rund 3000 ehedem kommunal getragenen Schulen unter die neue Verwaltung KLIK, die Einführung eines nationalistischen Rahmenlehrplans sowie die ideologische Unterwerfung der Lehrerschaft unter ein "Karrieremodell" sind die Hautpleistung der teils offen bildungsfeindlich auftretenden KDNP-Politikerin, die damit die pädagogischen Voraussetzungen für einen ständisch durchstrukturierten Untertanenstaat mit geschaffen hat. Fremdsprachen hält sie für die Masse für unnötig, das Pflichtschulalter wurde so abgesenkt, dass ausreichend billige Hilfsarbeiter und dumme Konsumenten aus dem System hervorgehen können, Religionsunterricht wurde eingeführt, Militärlager zugelassen, Fahnenapelle samt Absingen allungarischer Fantasiehymnen sind an der Tagesordnung, - nicht wenige fühlen sich in die Kádár-Ära zurückversetzt - und zwar in ihre Frühzeit. Ideologisch erfüllte Hoffmann ihren Job überplanmäßig, strukturell und finanziell hinterließ sie Chaos.

Ihr Vorgesetzter, Superminister Balog, trug alle Entscheidungen mit, Gegenwind bekam sie indes vom Fidesz-Bildungssprecher Pokorni, der sich jedoch als Bezirksbürgermeister für einen Budapester Edelbezirk aus der großen Politik zu verabschieden hatte. Dort, am 320 Tage schneefreien Normafa, wird er nun - mit Steuergeldern - ein Skigebiet, samt Hotel- und Spa-Anlagen errichten lassen, denn nicht alle Fidesz-Größen wollen ihren Ruhestand in den VIP-Logen der neuen Fußballstadien verbringen.

Wie zu hören, könnte die Nachfolgeschaft Hoffmanns noch Schlimmeres bringen, auch wenn man das kaum glauben mochte. Parteisprecher Péter Hoppál, das Prachtexempel einer
sprechenden Parteipuppe und ziemlich übler Demagoge, könnte Aufseher über die armen Schüler und Lehrer werden, er ist ein enger Vertrauter aus Balogs Kalvinistenseilschaften und hat sich seine Meriten in der Oppositionszeit bei der Rückeroberung der Stadt Pécs für Fidesz verdient gemacht. Auch der Kulturstaatssekretär könnte, bereits zum vierten Male ausgetauscht werden, hausintern, immerhin verfügt man über einen Pool von 10 Staatssekretären für die Agenden Kultur, Bildung, Soziales, "Romaintegration", Sprot etc.

 

Einen hätten wir fast - wenn auch zu Recht - vergessen, FIDESZ-Anhängsel KDNP-Chef Zsolt Semjén ist Vizepremier, aber auch ein Minister, offiziell ohne Portfeuille, jedoch zuständig für Glauben, Kirche und "nationalen Zusammenhalt." Nebenbei leitet er auch den "Nationalen Jagdverband", was natürlich in keinem Zusammenhang miteinander steht.

Während der abgelaufenen Regierungsperiode mussten zwei Präsidenten und drei der acht Minister ihre Plätze räumen: Enwicklungsminister Tamás Fellegi wurde zuerst zum "IWF-Chefverhandler" degradiert und baut jetzt mit Abermillionen eine Art Orbánscher
Fluchtstiftung in den USA auf. Superminister Miklós Réthelyi ging aus Alters- und Überforderungsgründen, womöglich aber auch aus politischer Restwürde, während György "Matman" Matolcsy aus dem Nationalwirtschaftsministerium in die Zentralbank, auch "Forintkeller" genannt, geschickt wurde, also praktisch in sein natürliches Biotop.

Parlamentspräsident bleibt bewährterweise László Kövér.

red / cssz / ms

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