THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 40 - 2014 POLITIK 29.09.2014

 

Falus zieht sich zurück: Linke wechselt Spitzenkandidaten 2 Wochen vor Budapest-Wahl aus

Was sich seit Tagen andeutete, hat sich am heutigen Montag bestätigt: Ferenc Falus, der parteilose gemeinsame Kandidat der linken Opposition (MSZP, DK, E2014-PM) für die Bürgermeisterwahl in Budapest am 12. Oktober wird zurücktreten und so den Platz für den in Umfragen besser platzierten Lajos Bokros, Chef der Kleinstpartei Bewegung für ein Modernes Ungarn (MoMa), freimachen. Die ungarische Linke bleibt sich treu: zumindest im Grad ihrer Stümperei. Die extreme Rechte hat dafür einen sehr klaren Plan.

UPDATE, 30.09.: nur die Budapester MSZP-Organisation wird Bokros unterstützen, die Landespartei hat auf Anraten des “Ethikkomitees” die Unterstützung versagt.

Vorbericht: Welche Bedeutung haben die Kommunalwahlen am 12. Oktober,
wie sind die Trends und Stimmungen

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Charismatischer Fachmann oder unstete Witzfigur?
Die Meinungen über den Politiker Lajos Bokros gehen weit auseinander.
Nun soll er für die Linke in Budapest das Eisen aus dem Feuer holen.

Hatten die MSZP und auch der Amtsarzt Dr. Ferenc Falus noch vor wenigen Tagen einen Rücktritt kategorisch "ausgeschlossen", drängte vor allem die DK von Ex-Premier Gyurcsány darauf, sich hinter dem aussichtsreicheren Kandidaten zu versammeln. Bokros überflügelte Falus zuletzt um bis zu 7 Prozentpunkte, wenn auch beide je unter der 20%-Marke blieben.

Schon vor Wochen hatte der DK-Chef von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Oppositionsblocks gesprochen - wiewohl dieser Ansatz bei den nationalen Wahlen im April kläglich gescheitert war. Die MSZP-Abspaltung DK erreichte bei den Europawahlen in Budapest bereits Werte wie die MSZP, Gyurcsány untermauerte durch den jetzigen Move wieder einmal seinen Anspruch auf die faktische Oppositionsführerschaft und treibt die alten Genossen vor sich her.

Ferenc Falus, weiteres Opfer der linken Verschleißmaschinerie

Der mit “illuster” annhäernd beschreibbare Lajos Bokros, bekannt für das nach ihm benannte massive Sparpaket während der "sozialistischen" Horn-Regierung Mitte der Neunziger Jahre, bringe ein fundierteres ökonomisches Wissen mit und könne auch bürgerlich veranlagte Wähler mobilisieren, so die Argumentation der Befürworter. Bokros war zuletzt auf MDF-Ticket EU-Abgeordneter und bekennt sich seit einigen Jahren als "moderner Konservativer". Der Konsens zwischen ihm und der Linken sei, dass der Kandidat für die Demokratie, eine soziale Marktwirtschaft und die Werte der Freiheit eintrete, was ihn automatisch zum Gegner des regierenden Fidesz macht.

 

DK und E-PM bestätigten den Wechsel des Spitzenkandidaten bereits, die MSZP hält dazu am Nachmittag eine Präsidiumssitzung ab. Den Wählern gegenüber wird man erklären müssen, warum man einen Kandidaten, der nach monatelangem Streit als "der Beste" für Budapest gefunden wurde, derart schnell verschleißt und warum Bokros - neben fragwürdigen Umfragewerten - nun plötzlich besser geeignet sein soll. Zwar ist er bekannter, gilt aber politisch als zu dünnhäutig für die rohen Bandagen der Budapester Politik.

Ebenfalls in Erklärungsnot gerät nun die grüne LMP, die sich vom linken Lager strikt distanziert und den demokratischen Oppositionskräften in Budapest damit rund 10-15% Stimmen entzieht, womit sie einen Machtwechsel verhindert. Doch für LMP-Chef Schiffe ist Bokros inakzaptebal. Er kommentierte sarkastisch auf seiner Facebook-Seite, dass Bokros fünf Jahre im EU-Parlament an der Seite der EU-Gegner von den britischen Konservativen und der Kaczynski-Partei (damit nominal als noch rechts von Fidesz), mit Klimawandelleugnern und noch rechteren Truppen saß. Die Linke, die den Sommer über mit ihrem Casting verbracht habe, stelle sich nun auf die Bühne, zieht ihre Clownsmütze tiefer ins Gesicht, singt die Internationale, macht ein optimistisches Gesicht und erwartet dafür die Zweidrittelmehrheit. Was der sehr von sich eingenommene Schiffer allerdings für Budapest mit einer zweiten Fidesz-Amtszeit erwartet, verriet er uns nicht.

 

Die neonazistische Jobbik, die mit Gábor Staudt in Budapest antritt und ungefähr 10% erhalten wird, kommentierte das Wechselspiel bei den Erzfeinden noch nicht amtlich, am Sonntag präsentierte man das Wahlprogramm für Budapest. Neben vielen bürgerlich und sozial anmutenden Nebelgranaten stand da vor allem eine Ankündigung im Raum: man werde, sobald man an der Macht ist, eine "effektive" Miliz in Budapest aufstellen, um gegen die "Buntmetall- und Bettlermafia" (lies: Zigeunerjagd), gegen herumlungernde Obdachlose und für die öffentliche Sicherheit, einschliellich Kinder- und Tierschutz aktiv zu werden. So ungefähr, als Nachbarschaftswache, traten auch einmal die Pfeilkreuzler auf die Szene, bis sie als paramilitärische Mordbane Stadt und Land mit einem mörderischen Terrorregime gegen Andersdenkende und -seiende überzogen... Ihre Symbole, ihre Wahlsprüche und ihre politischen Forderungen decken sich mit denen der Jobbik.

Die Regierungspartei Fidesz triumphiert ob der verlässlich wiederkehrenden Balgereien im Lager links von ihm: Vizepartei-, Kampagnenchef und Debrecener Bürgermeister Lajos Kósa resümiert, dass Falus mitsamt der Linken die "Budapester betrogen" habe. Denn erst macht er Wahlkampf und dann, als er erkennt, dass er unfähig ist, "zu den Leuten auf die Straße zu gehen", verschwindet er einfach wieder, was klar mache, dass es den Linken nicht um die Menschen, sondern nur um die Macht ginge.

Fidesz-Vize Kosa ließ DEN Lacher von Falus´ Auftritten natürlich nicht aus und wies nochmals auf die völlig verunglückte "Ice Bucket Challenge" des Kandidaten hin, mitsamt 70er Jahre Funktionärs-Datschen-Stilleben und weinendem Enkelkind, wohl das Einzige, was länger von diesem Kandidaten in Erinnerung bleiben wird:

 

red.

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