THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 41 - 2014 POLITIK 10.10.2014

 

Nichts Genaues weiß nur ich...: Orbán droht Ungarn wieder eine "neue Epoche" an

"Ab Montag haben wir eine neue Lage. Dann wird es für dreieinhalb Jahre keine Wahlen geben. Das Land ist nicht mehr im Wahlkampfmodus." Das verprach, bzw. drohte Orbán seinen Landsleuten im Staatsfunk, bei seiner als "Freitagsgebet" verspotteten Plauderstunde "180 Minuten" auf Kossuth Rádió an. Konkretes gab er dem Wahlvolk zwei Tage vor den Kommunalwahlen natürlich wieder nicht mit. Aber es geht um viel Geld und viel Macht - bzw. zu viel Macht, aber zu wenig Geld..

Jetzt kommt der totale Ständestaat

Nur nicht allzu konkret werden, das war die Aufgabe in der Runfdunk-Morgenstunde, daher bediente sich Orbán des Orwellschen Doppelsprechs (felcsúti verzió): die Regierung "wird ab dann schneller arbeiten" (übersetzt: über alle Kontrollinstanzen, Gewalten und Gerichtsurteile drüberbügeln), "die nationalen Konsultationen" werden wieder aufgenommen (ein Fragebogen wird verschickt, die Entscheidungen sind schon gefallen), er werde "die Politik der Einheit fortführen" (d.h. keinen Widerspruch dulden, die Partei hat immer Recht.). Orbán: "das Volk hat den Geschmack der Einheit gekostet" - und, so ist zumindest Orbán überzeugt - für bekömmlich befunden. "Eine neue Epoche wird anbrechen".

Gerüchteweise steckt hinter dem wirren Gefasel die gezielte Exekution der totalen Machtaneignung, der Wiederaufbau Kádárscher Strukturen, beschmückt mit Horthy-Nippes und erweitert um die Illusionen einer "arbeitsbasierten Gesellschaft", lies einem Ständestaat, in dem die Zugehörigkeit zu einer Schicht über die Rechte und Pflichten und die mögliche Lebensperspektive entscheidet. Also ein voraufkläerisches System, in dem der Mensch nicht mehr Herr seines Schicksals und schon gar nicht “gleich” ist.

Dafür wurden in den letzten vier Jahren die legislativen und strukturellen Grundlagen geschaffen. "Wenn das, was wir in den letzten Jahren gesehen haben, eine "Revolution" gewesen sein soll, dann gibt es für das, was nun kommt, keinen Ausdruck mehr." sagte eine Quelle im Amt des Ministerpräsidenten zu der bevorstehenden "Winteroffensive", zu der sie hier mehr lesen können.

Neben der totalen Entmachtung der Kommunen (die bereits weit fortgeschritten ist) dürfte bis 2017 vor allem die Einführung eines Präsidialsystems mit Orbán an der Spitze und Lázár als seinem Kanzler den Übergang des Regierungs- und Staatssystems vollenden, die Republik den Jordan endgültig überschritten haben.

 

Wie man 3 Millionen Menschen gleichzeitig ins Gesicht spuckt

Orbán beharrte in seiner Radiosendung darauf, demonstriert zu haben, dass "erfolgreiche Wirtschaftspolitik auch ohne Sparpakete zu machen" ist. Ungarn könne der EU "einiges in Sachen Abbau der Arbeitslosigkeit" beibringen, die man von 12 auf unter 8% gesenkt habe. - Das ist die Orbánsche Variante davon, ungefähr 3 Millionen Ungarn über den Äther direkt ins Gesicht zu spucken - ohne, dass die meisten es überhaupt merken. Sein Statistikamt ließ er den jährlich fälligen Armutsbericht auf einen Termin nach den Kommunalwahlen verschieben.
Hier ist nachzulesen, warum.

Orbán braucht Geld, viel Geld, sehr viel Geld...

Der Premier verriet weiter, dass die Verwaltung und die Gesundheit bzw. das Sozialsystem insgesamt, also auch die Renten zentrale Themen sein werden und über das 2015er Budget ihm "eine lange Diskussion mit dem Finanzminister" bevorsteht, lies: es gibt umfänglichen Finanzsonderbedarf für eine ganze Reihe Sonderausgaben, von der Verstaatlichung von Banken und Energiefirmen, die Etablierung eines staatlichen Energieversorgers auf “non-profit-Basis”, über eine angekündigte massive Auf- und Umrüstung der Honvéd, Prestigeprojekte wie den Ausbau des
Burgbergs zur Orbán-Residenz für schlappe 600 Mio. EUR, Fußballstadien im Weltmaßstab oder die "Kulturhauptstadt Hungária", bis hin zum Beginn der eigentlich unfinazierbaren Kofinanzierung des AKW-Ausbaus in Paks. Schon das 2014er Budget ist ein stetig reparaturbedürftiges Kartenhaus. Das 2015er kann eigentlich nur noch das reinste Luftschloss werden. Die EU drohte schon mit einem neuen Defizitverfahren im Frühjahr.

Denn gleichzeitig wird auch die Einnahmenseite beschnitten, denn für Orbáns Machtstützen, also die Automobilkonzerne und die eigene Klientel werden weitere Steuerwohltaten fällig, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst sollen sie gegenfinanzieren. Außerdem zeichnet sich ab, dass die bisher robuste Konjunktur in Deutschland nachlässt und so die fiskalen Einnahmen und Exportüberschüsse Ungarns empfindlich reduziert. Allein im August hieß das in Produktion und Exportleistung ein Minus von 6%. Eine Zahl, die so gar nicht ins Bild vom ökonomischen Phönix Ungarn passen mag.

Er hat dem Volk ein Angebot gemacht, das dieses nicht ablehnen kann...

Auch andere Quellen sprudeln längst nicht so wie erhofft, zumindest nicht für die öffentlichen Kassen. Einmalquellen wie die privaten Rentenkassen sind versiegt, Sondersteuern ausgereizt, die Devisenreserven angeknackst, der
finanzielle Harakiri in Zeitlupe wird in den kommenden vier Jahren in seine blutige Phase eintreten.

 

Aufgrund eines "Versprechers" von Finanzminister Varga, sickerte bereits ein Sparpaket in der Größenordnung von 1.700 Milliarden Forint, also bis zu 6% des BIP durch, es wäre das "größte aller Zeiten" - natürlich darf es nicht so heißen. Da man gleichzeitig über die Forex-Gesetze eine (wenn auch nur nominale, da die Belastung durch den Forintverfall stärker gestiegen ist) Entlastung der Schuldner vornehmen kann, wird man das Volk mit einem weiteren Taschenspielertrick bei Laune oder zumindest auf den Sitzen halten.

Insofern kann Orbán nur hoffen, dass dann doch bald wieder Wahlen kommen, damit er die Untertanenschaft mit Versprechen und Verlockungen, Drohungen und Schauermärchen von der zwangsläufig härter werdenden Realität weglocken kann. Er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wem die Leute am Sonntag ihr "Vertrauen aussprechen" sollten und was Kommunen bevorsteht, die sich der "nationalen Einheit" durch "falsche Wahl" entziehen, ist auch allgemein bekannt. Die Fidesz-Größen, längst aller Scham entledigt, haben keine Hemmungen, offen auszusprechen, dass Sozi-Kommunen weitgehend von den EU-Töpfen ausgeschlossen sein werden. Orbán hat seinen Bürgern sozusagen ein Angebot gemacht, dass sie nicht ablehnen können.

red. / cs.sz.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.