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(c) Pester Lloyd / 17 - 2015     POLITIK    24.04.2015

 

Flüchtlinge ins Arbeitslager: Orbáns Ungarn will den "christlichen Kontinent" schützen

Der ungarische Ministerpräsident kündigte die Fortsetzung der pauschalen Haft für alle Flüchtlinge an, neu hinzu kommt Zwangsarbeit zur Kostendeckung und die Möglichkeit einer sofortigen Abschiebung ohne Verfahren. Menschenrechte? EU-Regeln? "Das Volk" soll Orbáns xenophobe Angstmacherei per "nationaler Konsultation" bestätigen. Noch ein Grund für eine gemeinsame, harmonisierte Flüchtlingspolitik der EU.

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Saß auch schonmal lockerer vom Mikro: Premier Orbán. Neben der Flüchtlingsproblematik waren die Finanzskandale, die Niederlage in Tapolca sowie die “boomende Wirtschaft” die Hauptthemen des moderierten Monologs.

Jedes EU-Mitgliedsland müsse die Art seiner Einwanderungspolitik "so weit wei nur möglich" selbst bestimmen dürfen, aber Europa müsse gemeinsam dafür sorgen, dass seine Grenzen geschützt werden (Lies: aber nicht mit unserem Geld). Derzeit seien die Mitgliedsländer durch EU-Regeln "gelähmt". Das sagte Ministerpräsident Orbán sowohl nach dem EU-Sondergipfel am Donnerstag als auch in seiner Freitagspredigt "180 Minuten" im Staatsrundfunk. der übrigens nach Kossuth benannt ist, einem politischen Flüchtling.

Das Grundübel für die Tragödien auf dem Mittelmeer und die stark angestiegene Flüchtlingsbewegung auch auf dem Landweg (Ungarn wurde zu einem der Haupttransitländer) sieht Orbán im "Menschenhandel, der in Nordafrika zu einem einträglichen Business geworden ist". Diese Leute handelten "unverantwortlich, in dem sie die illegalen Einwanderer (offizielle Sprachregelung für Flüchltlinge) auf offener See sich selbst überlassen."

 

Damit aus den Tausenden und Zehntausenden aus Afrika "nicht Millionen werden", müsse es eine Politik geben, die den Menschen vor Ort helfe. Wie die aussehen soll, hatte sein Außenminister kürzlich schon - nicht - konkretisiert, auch Orbán ersparte sich die Mühe, sich mit den Ursachen der Probleme zu befassen.

Europa muss aber den Zustrom schon deshalb drosseln, "um den christlichen Kontinent zu beschützen." Orbán hatte in früheren Wortmeldungen die "illegale Einwanderung" mehrfach als "Quelle des Terrorismus" definiert und die Flüchtlinge selbst als "organisierte Kriminelle" bezeichnet. Er forderte einen “totalen Einwanderungsstopp” für ganz Europa, Ungarn brauche keine Einwanderung und die Arbeiten, die derzeit von Ausländern verrichtet werden, könnten von Zigeunern übernommen werden. Dass Hunderttausende Ungarn, die Orbáns neue Welt fliehen, selbst Anderswo Einwanderer sind, negiert er, dass sei “ökonomischer Tourismus”.
Mehr dazu hier. Parteikollegen sprachen von "artfremden Kulturen", die Ungarns Identität bedrohten. Von den 40.000 Asylantragstellern 2014, wollten gerade 500 in Ungarn bleiben.

Dieser Tage soll eine neue Runde der "nationalen Konsultation" zur Frage der "Einwanderer" starten, die entsprechenden Fragebögen an die Haushalte gehen. Die Fragestellungen sind so klar wie menschenverachtend, die Angstmacherei hat aber eine klare innenpolitische Funktion und dient dem Machtkalkül. Nicht umsonst, nutzte Orbán die Anschläge von Paris doch direkt, um im Inneren eine umfassende
Notstandsgesetzgebung mit der "Einschränkung von traditionellen Freiheitsrechten" vorzubereiten.

Die Fragebögen an das Volk sind entsprechend. Eine Auswahl:

1. Sind Sie einverstanden damit, dass Einwanderer bei illegaler Einreise in Haft genommen werden sollen? (wurde nach UN-Kritik und einem Einspruch des Obersten Gerichtes formal aufgehoben, wird aber nach wie vor praktiziert)

2. Sollen sie sofort zurück geschickt werden? (also Abschiebung ohne Verfahren, Verstoß gegen Menschenrechts- und Flüchtlingskonvention sowie EU-Regeln).

3. Sollen illegale Einwanderer ihre hier verursachten Kosten abarbeiten müssen? (in den meisten Ländern gilt für Asylbewerber zunächst ein Arbeitsverbot, das später teilweise gelockert wird. Der Antragsteller soll aber damit vor allem seinen Lebensunterhalt verdienen bzw. aufbessern können, nicht aber entstandene Verwaltungskosten abdienen, schon gar nicht unter Zwang und interniert...)

4. Sollen alle Flüchtlinge, wenn sie heilige ungarische Erde betreten haben, drei Mal hintereinander das christliche Glaubensbekenntnis ablegen müssen, bevor sie Nahrung und Unterkunft erhalten dürfen? (Diesen Punkt haben natürlich wir ergänzt, wir waren nur auf Ihren Blick gespannt.)

Üblicherweise lässt sich die Regierung bei diesen "Konsultationen", die weder legislativ vorgesehen, noch gesetzlich hinsichtlich Quoren, Überprüfung der Gültigkeit, Datenschutz geregelt sind, stets längst beschlossene Maßnahmen bestätigen. Und so wundert es nicht, dass die obigen Punkte schon von der
Fidesz-Fraktion im Februar abgesegnet wurden.

Orbáns Vorstoß ist, ebenso wie die Zustände in Griechenland oder Bulgarien, ein klarer Hinweis darauf, dass die EU keinesfalls den Mitgliedsländern den Umgang mit Flüchtlingen überlassen darf, wenn sie sich nicht schon wieder zum Mitschuldigen für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen machen will, wie zuletzt einige Gemeinden in Deutschland, die Flüchtlinge, trotz aktueller deutscher Gerichtsurteile, die Ungarn nicht als sicheren Drittstaat defineren, nach Ungarn zurücksandten, einschließlich der Trennung von Familien.

Hintergrund: "Willkürliche Inhaftierung":
Deutsches Gericht verhindert wieder Auslieferung nach Ungarn

 

Ein gemeinsames Grenzregime muss natürlich abschottend wirken, zumindest bis die Lage wieder im fassbaren Rahmen ist, aber eben auch ergänzt werden durch eine harmonisierte Asylpolitik, die Kriegsflüchtlingen und politisch, religiös, sexuell etc. Verfolgten Einlass und Schutz gewährt und transparente Verfahrensregeln beachtet. Dem muss ein am Verkraftbaren und an den Bedürfnissen der Mitgliedsländer bzw. der Regionen orientierte Einwanderungspolitik beigestellt werden, ohne beide zu vermischen oder gegeneinander auszuspielen.

Damit sind die Ursachen der Flüchtlingsströme - Kriege und Armut - natürlich noch nicht angepackt, für Europa geht es jedoch erst einmal darum, für beide Seiten - die EU-Mitglieder und die Flüchtlinge (vor allem auch ihre Kinder!) einen klar abgesteckten, verlässlichen, rechtlichen Rahmen zu finden, der das Bedürfnis nach Beschränkung der Einwanderung mit den Grund- und Menschenrechten für die Schutzsuchenden in einen vertretbaren Einklang bringt.

Dazu taugen bisher weder die hilflosen bis stümperhaften EU-Pläne zwischen "Mauerbau" und hektischer Budgetaufstockung, noch die menschenverachtenden Ankündigungen des "Christenverteidigers" Orbán.

red. / al.

 

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