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(c) Pester Lloyd / 42 - 2015   POLITIK    14.10.2015


Konspirationen zur Flüchtlingskrise: EU gegen Ungarn, Russland gegen EU, Soros gegen die Welt...

Während die Artikel-7-"Atombombe" der EU gegen Ungarn wegen einer administrellen Ladehemmung vorerst im Magazin bleibt, haben die Ungarn die Schuldigen an der Flüchtlingskrise identifiziert: Soros, die Linke, Imperialisten und andere Juden sind es. Der Verteidigungsminister verplaudert sich über von Russland finanzierte Flüchtlingstransporte Richtung EU und das Staatsfernsehen präsentiert Neonazis als Kronzeugen für eine Terrorgefahr durch "Einwanderer".

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Artikel-7-Verfahren gegen Ungarn bleibt an erster Hürde hängen

Eine Initiative der liberalen Fraktion im Europaparlament, ALDE, gegen Ungarn den Artikel 7 des Lissabon-Vertrages (sog. Atombombe der EU) einzusetzen, ist vorerst gestoppt worden. Das Bemühen, Ungarn wegen des Verstoßes gegen Grundwerte der Gemeinschaft ein Verfahren anzuhängen, dass zur Aberkennung der Stimmrechte im Rat der Regierungschefs hätte führen können, scheiterte bereits an der ersten formalen Hürde. Am Dienstag wies der Grundrechteausschuss des EP, LIBE, den ALDE-Antrag mit 31 gegen 18 Stimmen, bei zwei Enthaltungen ab.

Das bedeutet, dass sich LIBE mit dem Ansinnen nicht befassen wird. Als Grund gaben die Ausschussmitglieder an, dass sie einen Länderbericht der Kommission zu Ungarn vermissen, der bereits im September fertig sein sollte. Darin erhoffte man sich konkrete Einschätzungen, inwiefern die EU-Regelverstöße Ungarns die Artikel 1 und 2 des Lissabon-Vertrages betreffen. Die EU-Kommission wiederum beruft sich darauf, dass sie in den Bericht gerne noch die verschärften
Gesetze zum Grenzregime und der Füchtlingspolitik, vor allem deren rechtliche Ungleichstellung sowie den Einsatz des Militärs im Innern und gegen Zivilisten, aufnehmen wollten, wozu aber noch belastbare Informationen fehlten und man mehr Zeit brauche.

Die Fidesz-Stimme in Brüssel, Kinga Gál sieht in der Abstimmung einen "Beweis, dass die Mehrheit Angriffe auf Ungarn nicht unterstützt", Beobachter sehen darin jedoch eher eine Verzögerung aus technischen Gründen. Fakt ist jedoch, dass die mächtige EVP-Fraktion bisher jede Sanktionierung Ungarns hintertrieben hat.

Soros und seine Handlanger fördern Umvolkung in Ungarn und Europa

Dass sich auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem 28seitigen Bericht zum Ankläger im Sinne Artikel 7 gemacht hat, ist für die Orbán-Regierung Beweis, dass die "Soros-finanzierten" (lies: jüdische Weltherrschaft) Organisationen vor nichts zurückschrecken, wenn es darum geht, Regierungen, die "den Willen ihres Volkes" anstatt die "Interessen großer Konzerne und deren linksliberaler Handlanger" vertreten wollen, zu bekämpfen. AI hatte vorgerechnet, dass Ungarn in der aktuellen Flüchtlingskrise drei Mal so viel Geld für Militarisierung und Grenzanlagen ausgegeben habe wie für Asylverfahren und Flüchtlingsbetreuung. Die neuen Gesetze würden "eine ganze Reihe internationaler Gesetze und Abkommen verletzten." Dafür müsse Ungarn von Europa zur Rechenschaft gezogen werden.

Fidesz feuert zurück: Finanzier Soros und seine Satellitenorganisationen würden "illegale Einwanderung" unterstützen, auch die "ungarische Linke" stelle sich damit gegen den "Volkswillen", der "den Schutz der Heimat vor Einwanderung" wünsche. Der Abgeordnete Hollik nannte u.a. das Ungarische Helsinki Komitee, Migration Aid und TASZ als Organisationen, die auf der Finanzierungsliste des ungarischstämmigen Großfinanziers Soros stünden, der "in der Vergangenheit durch seine Spekulationen - auch gegen Ungarn - nicht dafür zurückschreckte, ganze Länder in den Ruin zu treiben." Diese Koaltion wolle eine "unbegrenzte Anzahl von Einwanderern ins Land lassen". (Stichwort: Umvolkung zur Beherrschung, wieder im Subtext: jüdisch-imperialistische Weltherrschaft). Soros` Aktionen ermutigten die Einwanderer "sich nicht an die Gesetze zu halten oder mit den ungarischen Behörden zu kooperieren". Soros hätte außerdem verlangt, Europa "solle jährlich 15.000 Euro an jeden Flüchtling zahlen und dafür zur Not Schulden machen."
 
Verteidigungsminister soll russische Finanzierung von Flüchtlingswelle gen EU ausgeplaudert haben

Sind die Juden oder die Russen Schuld? Eine andere Nähkästchenplauderei macht in Budapest gerade die Runde, wonach der neue ungarische Verteidigungsminister István Simicskó sich dahingehend verplaudert hätte, dass die russische Regierung in Serbien und Mazedonien Bustransporte mit Abermillionen Euro finanziere, um möglichst viele Flüchtlinge in Richtung Europa zu trsnaportieren, auf das die Gemeinschaft in Nöte gerate. Simicskó soll das seinem tschechischen Amtskollegen Martin Stropnický gesagt haben. Dieser wurde derartig am Wochenende in der führenden tschechischen Tageszeitung Mladá fronta Dnes zitiert. Stropnický weiter: Er habe keine Gründe, Simicskós Äußerungen anzuzweifeln, denn es ist ja offenbar, dass Russland die EU destabiliseren wolle.

Natürlich dementierte das ungarische Verteidigungsministerium auf Anfrage des Portals index.hu prompt. Ja, "auf einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister vergangenen Donnerstag, wurde Russland im Allgemeinen mitdiskutiert", heißt es in einer Aussendung, wobei "mehrere Länder ihre Meinung äußerten, dass Russlands Eingreifen in Syrien den Einwanderungsdruck auf Europa erhöhen könnte." Der ungarische Verteidigungsminister habe jedoch "zu keinem Zeitpunkt eine derartige Äußerung" getätigt.

Staatsfernsehen: Handy-Videos als Beweis für Terrorgefahr durch Flüchtlinge?

Eine andere vom rechten Lager gepflegte "urban legend" der Flüchtlingskrise ist die permanente und chronische Terrorgefahr, die mit jedem Ankömmling existenzbedrohend steige. Ungarische Behörden mühen sich, auch unter Auslassung rechtsstaatlicher Grundwerte, ihrem Volk endlich ein paar handfeste Beweise für diese Gefahr zu liefern. Bisheriges Highlight war der "Terrorist", den man im Zuge der Ausschreitungen in Röszke (siehe
Eintrag vom 24.9. in unserem Newsticker) verhaftete und seitdem am exekutiven Nasenring durch die juristische Arena führt, ohne wirkliche Beweise für terroristische Aktivitäten vorlegen zu können. Dass er in "einer internationalen Datenbank" aufscheint, genügt.

 

Neuer Tiefpunkt war jedoch eine umfangreiche Reportage des Staatsfernsehens M1, die von sämtlichen regierungstreuen Medien als sensationelle Enthüllung übernommen wurde. Darin ging es darum, dass Angehörige einer neonazistischen "Betyaren"-Gruppe, angeblich von Flüchtlingen in Feldern weggeworfene Handys präsentierten, auf denen pronografisches und terroristisches Material, Köpfungs- und Propagandavideos des IS gefunden wurden. M1 übernahm das vorgestellte Material als verifiziert und als Beweis, dass Hunderte Terroristen über die Balkanroute eingesickert seien - was wiederum den Zaunbau und die harsche Rechtsprechung gegen Grfenzeverletzer rechtfertige.

Die linke Oppositionspartei DK rief nun die Regierung auf, "diese Lügen über Terrorbedrohung" zu beenden und dem Volk damit unnötig Angst zu machen. Es sei schon schlimm genug, dass die Flüchtlinge per Gesetz pauschal kriminalisiert würden. Selbst der Chef der Forschungsabteilung von Orbáns Privatarmee TÉK habe keine "Anhaltspunkte für eine erhöhte Terrorgefahr durch die Flüchtlingswelle" bestätigt.

red. / a.l.


 

 

 

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