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(c) Pester Lloyd / 47 - 2015   POLITIK     18.11.2015

Ungarn und die Anschläge von Paris: Orbán als Trittbrettfahrer des Terrorismus

Ist endlich die Stunde des ungarischen Premiers gekommen? Bleibt Europa nach den mörderischen Attacken in Paris nur noch der Weg der Orbánisierung? Schon die Anschläge in Paris im Januar schlachtete Orbán politisch aus, fast schon schadenfroh sieht er sich jetzt bestätigt, verbindet die Attentate mit der Notwendigkeit der Ablehnung eines Quotensystems zur EU-weiten Verteilung von Flüchtlingen und gibt der EU sogar eine Mitschuld an dem Blutbad. Doch es geht um mehr: Die vermeintliche Rechtfertigung der Eisernen Vorhänge, der Notstandsgesetze und Sondertribunale bedeutet letztlich nichts weniger als der Anfang vom Ende Europas. Orbán bringt so den Job der Terroristen zu Ende.

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Die Toten von Paris im Januar waren noch nicht zu Grabe getragen, schon erging sich Orbán in einer
regelrechten Hasskampagne gegen "Eindringlinge" und baute darauf seine antieuropäischen Alleingänge auf, die in Eisernen Vorhängen, menschenverachtender Behandlung Schutzsuchender und Sondergesetzen jenseits von Grund- und Menschenrechten gipfelten. Es war zwingend, dass ihm die erneuten, noch blutigeren Anschläge von vor einer Woche wieder das Stichwort für ein Triumphgeheul liefern würden.

Zunächst stellte Orbán in einem Fernsehinterview mit dem Staatssender M1 am Montag klar, dass die Anschläge in Paris seine Politik bestätigten. Denn anders als die Länder, die Flüchtlinge einluden, sei "Ungarn seinem eigenen Weg gefolgt" und "brauche daher keine neue Richtung einschlagen". Ungarn habe - lies: im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern - "alles getan, um seine Bürger und Europa zu schützen" und "sogar eigene Polizisten und Grenzschutz zu den Nachbarn entstandt, um dort zu helfen, die Außengrenzen zu sichern." Subtext: Die Flüchtlinge sind die Terroristen.

Desweiteren hätte Ungarn - "mit Hilfe seiner Geheimdienste" schon "frühzeitig" vor "Massen gewarnt, die aus Ländern kommen, mit denen Europa im Krieg ist." Auch dagegen seien die Grenzzäune errichtet worden. Europa aber blieb auf "dem falschen Weg", indem "Brüssel und führende europäische Staaten die Position behielten, dass Masseneinwanderung allgemein eine gute Sache sei und was Europa jetzt macht, sei korrekt und nützlich." Man habe versucht, den Leuten einzureden, dass "es keine Verbindung zwischen Einwanderung und Terrorismus" gäbe, nun sei klar, "dass Europas Führer ihre Richtung ändern müssen."

Im Parlament hatte Orbán zuvor praktisch den Kriegszustand für Europa ausgerufen. "Nicht nur Frankreich wurde angegriffen, auch die EU als Ganzes wurde angegriffen und daher sind wir auch in Gefahr." Dabei zitierte er den französischen Präsidenten, der die Anschläge als "Kriegsakt" kennzeichnete. Dies könne überall in Europa wieder geschehen - "auch wir sind nicht sicher." "Man hat uns gesagt, es sei inhuman, die Grenzen gegen Massen aus dem Mittleren Osten und Afrika zu schließen. Was ist jetzt human? Die Schließung der Grenzen vor illegalen Grenzverletzern oder das Riskieren von Menschenleben unschuldiger europäischer Bürger?"

Die EU sei "paralysiert", es "gibt Sitzung um Sitzung, aber keine Lösungen". Man sei "gefangen in einem Netz der Ideologien, anstatt auf der Grundlage unserer eigenen Kultur und unseres Erbes zu handeln." "Europas Existenz steht auf dem Spiel." Brüssel sendet "falsche Botschaften und Einladungen an die Einwanderer, anstatt ihnen ehrlich zu sagen, dass sie hier nicht bekommen werden, was sie suchen." Es ist "nun bewiesen, dass Terroristen die Fluchtrouten benutzen, in wohlorganisierter Weise, um sich unter Leute zu mischen, die ihre Heimat auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen." "Alle europäischen Führer kannten die Gefahren, die Griechen hatten vor langer Zeit gesagt, dass die Ankunft von Jihadisten nicht ausgeschlossen werden könne...". Natürlich "denken wir nicht, dass jeder, der von dort kommt, ein Terrorist ist, aber niemand kann uns sagen, wie viele es sind und wer sie sind. ... Jeder Einzelne ist einer zu viel."

Doch es seien nicht nur die Terroristen, die eine unmittelbare Gefahr darstellten. "Auch wenn es nicht `politisch korrekt` sein mag, das anzusprechen, aber die Massen der Menschen aus anderen Kontinenten gefährden auch unsere Kultur, unsere Lebensart, unsere Gewohnheiten und unsere Traditionen." Und in diesem Zusammenhang sei festzuhalten: der Plan der EU um verbindliche Aufnahmequoten für Asylsuchende "verteilt den Terrorismus über Europa".
Mehr dazu hier.

Die Fraktion von Orbáns Partei Fidesz ließ am gleichen Tag erklären, dass die "Terrorkrise von der Europäischen Union verursacht" wurde und "EU-Führer, einschließlich Kommissionspräsident Juncker teilweise für die Anschläge mitverantwortlich sind." Juncker sei zudem "unfähig Unionsrecht durchzusetzen", daher sollte er, zusammen mit allen anderen, die EU-Recht missachteten, zurücktreten. Koalitionspartner KDNP ("Christdemokraten") merkten an, Orbán solle dafür sorgen, dass diese "Wirtschaftsflüchtlinge, Kriminellen, Soldaten und Terroristen" nicht weiter in die EU eindringen könnten. Der neonazistischen Jobbik blieb so nur noch, ein "bindendes Referendum" zu fordern, um Quotensystem und Asylrecht in Ungarn zu verhindern bzw. abzuschaffen.

Die demokratische Opposition sah sich nicht in der Lage, Orbán grundsätzlich zu widersprechen und so forderte auch die MSZP, in deren Reihen es auch eine Pro-Zaun-Fraktion gibt, eine "zwar angemessene, aber starke und effiziente ungarische und europäische Antwort" auf die Anschläge von Paris. Allerdings wüssten "Menschen mit Gefühl", dass man Terroristen vom Schlage jener in Paris "nicht mit Zäunen aufhalten wird" und dass "jeder, der politischen Gewinn aus den Anschlägen zu ziehen versucht, den Interessen der Terroristen dient." Die Bemerkungen Orbáns seien in diesem Zusammenhang "schockierend." Dieser wolle offenbar Spannungen schüren.

Die grün-nationalliberale LMP führte aus, dass Europa "versagt hat, sich zu schützen". Wenn Europas Sicherheitsbehörden und Geheimdienste nicht in der Lage seien, zu kooperieren, dann ist auch Ungarn "schutzlos". Die Terroranschläge seien "Teil einer globalen Krise, die Opfer aber nicht nur Europäer, sondern auch und vor allem die Herkunftsländer der Flüchtlinge."

 

Die linksliberale Partei Együtt sieht in Orbán einen Saboteur gemeinsamer europäischer Strategien. Es liege ja auf der Hand, dass sowohl die Schengen- als auch die Dublin-Regeln angepasst werden müssten, was letztlich nur mit einem Quotensystem funktioniere. Orbán aber beharre auf der Einhaltung von diesen Gesetzen, obwohl er sie selbst monatelang außer Kraft gesetzt hatte, zu Lasten der Nachbarländer.

Die oppositionellen Einwände konnten freilich nicht verhindern, dass die Regierungsmehrheit beschloss, die Entscheidung des Europäischen Rates der Regierungschefs vom 22. September zur Einführung verbindlicher Aufnahmequoten gerichtlich anzufechten. Man sieht das nationale Mitspracherecht, ein fundamentales Recht der EU-Mitglieder, verletzt. Zentral wird jedoch die "Existenzbedrohung für unsere Kultur" als Grund angegeben, der einer Zustimmung Ungarns zum Quotensystem entgegenstehe.

red. / m.s.

 

 

 

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