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(c) Pester Lloyd / 03 - 2016   POLITIK     22.01.2016

Stand-by-Diktatur Ungarn: Orbán und sein Ermächtigungsgesetz

In dieser Woche veröffentlichte ein Abgeordneter der neonazistischen Partei Jobbik einen als geheim eingestuften Gesetzentwurf für in die Verfassung zu verankernde Notstandsregelungen im Falle von Anschlägen oder einer nicht näher definierten "terroristischen Bedrohung". Orbán erhält damit umfassende Exekutivrechte, Grund- und Bürgerrechte können suspendiert und demokratische Grundprinzipien ignoriert werden. Per Dekret kann Orbán nun die Demokratie beenden. Niemand hält ihn auf.

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Eine Karikatur seinerselbst und der Geschichte? Was würde Chaplin wohl zu Orbán sagen...

Auf den Punkt gebracht: Die jetzt publik gewordenen "Notstandsgesetze" formulieren letztlich nur aus, was in Ungarn de facto schon gängige Politik, zumindest aber möglich ist, nämlich, dass eine Person, der Regierungschef, sämtliche Entscheidungen fällt, ohne sich vor irgendwelchen Instanzen dafür rechtfertigen zu müssen.

Die Formulierungen im vorliegenden Entwurf haben selbst für orbanistanische Verhältnisse durchaus eine neue Qualität, in punkto Direktheit und Gründlichkeit. Sie erinnern tatsächlich an 1933. Zunächst kann Orbán selbst und allein den Notstand ausrufen und die Regelungen in Kraft setzen. Das Parlament braucht er erst für eine Verlängerung des Ausnahmezustandes, nach 60 Tagen. Jenes Parlament, das diese Regeln beschlossen hat, wohlgemerkt.

Es gibt in dem Text keine klar umrissenen Kriterien, was einen "Terror-Notstand" rechtfertigt, die Angst davor, die Behauptung also muss genügen. Es wird lediglich - wie schon immer, wenn es um False flag Aktionen des Fidesz ging - von "nationaler Sicherheit", dem "Schutz der ungarischen Menschen" und diffusen äußeren und inneren Bedrohungen gesprochen. Das hat bisher genügt, um das Volk auf Linie zu halten, es soll auch diesmal genügen, wenn dem ungarischen Volk die Selbstentrechtung ins Grundgesetz geschrieben werden soll. Orbán fährt jetzt nur noch die Ernte seiner Politik der Angstmacherrei, der Stellvertreterkriege und Sündenböcke ein. Alles genau getimt, nach einem alt bekannten Fahrplan - und unter den Augen seiner europäischen Parteifreunde, zu denen u.a. ÖVP und CDU gehören.

Es obliegt ihm, Orbán, u.a. die Versammlungs- und Pressefreiheit einzuschränken, ja, sogar auszusetzen, die Medien zur Bekanntgabe von Regierungsbulletins zu zwingen und "gefährdende" Medien zu zensieren. Er darf die Grenzen schließen, nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die eigenen Bürger die Reisefreiheit einschränken und sogar deren Kontakte mit dem Ausland kontrollieren und untersagen! Dazu räumt er sich das Recht ein, Telefongesellschaften und Internetanbieter zu Abschaltungen zu zwingen, kontrollieren kann er sie schon jetzt. Streikverbote, Ausgangssperren, Versammlungsverbote sind per Dekret möglich und gerichtlich nicht hinterfragbar. Gesetze können per Dekret außer Kraft gesetzt und neue eingesetzt werden. Die Exekutivgewalt der Geheimdienste, schon jetzt besorgniserregend unkontrolliert, wird ausgeweitet, ebenso jene der Polizei. Auch der Einsatz des Militärs im Innern ist bereits in der Verfassung verankert, nur wird er noch leichter, wenn dem Großen Vorsitzenden das einfällt. Sogar Umsiedlungen - früher unter dem Begriff Deportationen mal als Verbrechen geächtet - sollen im Interesse der Sicherheit möglich werden.

Der "Terrornotstand" ist nichts weiteres als die Fortsetzung der bisherigen Politik mit konstitutionellen Mitteln

Orbán hat ja fünf Jahre nichts anderes getan als sich sämtliche Behörden, Gewalten und öffentlichen Einrichtungen, vom Verfassungsgericht über die öffentlich-rechtlichen Medien, die Vergabestellen der EU-Gelder, das Bodenamt, den Rechnungshof, bis hinunter zum Dorfhospital, den Schulen und zum Zigarettenladen Untertan zu machen. Nicht nur zum Selbstzweck eines im Machtrausch befindlichen Größenwahnsinnigen, sondern aus Profitgier und Notwendigkeit. All dies konnten und können Sie ja auf diesen Seiten nachlesen, mit Namen und Adresse. Denn die "Ehre" seiner Gefolgschaft und seiner Vollstrecker mag zwar auf Treue beruhen, die lässt man sich aber gern mit klingender Münze bezahlen. Es ist dies der gleiche Orbán, der von Europas Rechtsextremisten und "Besorgten" als Held gefeiert und von der EVP seit Jahren gedeckt wird. Kritik an einem, der die Demokratie mit Füßen tritt und sein Land zur Ausplünderung durch Parteikader und Günstlinge frei gibt, wird als gutmenschliches Orban-Bashing abgetan.

Die formale Legitimierung ist der entscheidende und gefährliche Unterschied zu den Vorgängerregierungen im Nachwende-Ungarn. Deren Fehltritte waren juristisch verfolgbar, justiziabel. Orbán und seine Parteigänger schaffen sich hingegen eine formale Rechtmäßgikeit, in dem sie ihr Handeln durch Gesetze absichern. Indem sie auch noch die Verfassung änderten, schufen sie sogar einen legitimierenden Überbau. Ob diese in Konflikt mit rechtsstaatlichen Prinzipien, demokratischen Kontrollanforderungen oder sogar Grund- und Menschenrechten stehen, spielt dabei keine Rolle. Einer formalen Rechtmäßigkeit, so glaubt das Orbán-Regime, sei damit Genüge getan. Es ist dies, man muss das hier wiederholen, der gleiche Orbán, der von Europas Rechtsextremisten und "Besorgten" als Held gefeiert wird, jene, die Merkel vorwerfen, die Demokratie abzubauen und mit "Danke, Orbán"-Schildern Dresden moralisch demolieren.

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Ausriss aus der “nicht öffentlichen” Gesetzesvorlage für eine sechste Verfassungsänderung

Die Enthüllung über die geplante Verfassungsänderung seitens des Jobbik-Abgeordneten war indes keine, denn die Pläne liegen nicht nur allen Abgeordneten vor, sondern kursieren bereits seit Monaten. Der Jobbik-Mann wollte sich nur einmal mehr wichtig machen, eine pathologische Erscheinung in diesen fest geschlossenen Reihen. Einigermaßen absurd ist es zudem, einen Gesetzetwurf für "30 Jahre geheim" einzustufen, der demnächst in der Verfassung stehen soll. Außerdem liegt es nicht zuletzt an Jobbik, Orbán zu der notwendigen 2/3-Mehrheit zu verhelfen. Man kann sicher sein, dass "im Interesse der Nation" die notwendigen Stimmen am Ende zusammenkommen werden, denn der Gesetzestext entspricht - einmal mehr - lang gehegten feuchten Träumen jener "besseren" Ungarn.

 

Warum aber schafft sich Orbán solche Gesetze, wo er sich doch seiner Macht so sicher sein kann? Orbán nutzt auch hier wieder die Gunst der Stunde. Vorsorge ist besser als das Nachsehen haben. Zu viele haben in Ungarn zu wenig, zu viele sind am Limit des Erträglichen. Unrecht, auch das eine Lehre der Geschichte, hat immer, tatsächlich immer ein Verfallsdatum. Es lässt sich nur nicht festlegen. Sich jetzt aufmunitionieren, um späteren Unruhen begegnen zu können: Man könnte ihn geschickt nennen, wenn dazu Geschicklichkeit erforderlich wäre. Die EU ist mit den Flüchtlingen, sich selbst und Polen beschäftigt. An Orbáns Ungarn hat man sich praktisch schon gewöhnt. An eine Stand-by-Diktatur mitten in der Europäischen Gemeinschaft. Niemand hält ihn auf...

red. / m.s.


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