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(c) Pester Lloyd / 13 - 2016   BILDUNG     31.03.2016

Schwänzen für die Schule: Lehrer und Schüler in Ungarn protestieren gegen Orbáns Volksverdummung

Mehr als 10.000 Schüler und Lehrer formierten am Mittwoch an rund 250 Grund-, Oberschulen und Gymnasien Menschenketten bei einem einstündigen Warnstreik, um gegen die Bildungspolitik der Orbán-Regierung zu protestieren und die Forderungen der Protestbewegung "Ich will unterrichten!" zu unterstützen, die sich am Nationalfeiertag des 15. März formiert hatte. Die Regierung reagiert mit halben Drohungen und Etikettenschwindelei.

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Vielfältige, bunte Proteste an hunderten Schulen im ganzen Land. Hier gehts zu einem Fotoalbum davon. Mehr auch auf der Facebook-Seite der Initiative

 

Sollten die Forderungen der Pädagogen und der sie unterstützenden Organisationen nicht erfüllt werden, sind weitere Protestaktionen, bis hin zu einem Generalstreik geplant, dem sich auch andere Berufsgruppen, u.a. aus dem Gesundheitswesen, anschließen könnten. Die zentrale Forderung der Bewegung betrifft die völlig chaotische Verwaltung und Führung der rund 7.000 staatlichen Schulen. Seit der Zentralisierung fehlt es oftmals nicht nur an den fundamentalsten Unterrichtsmaterialien und brauchbaren sowie verfügbaren Schulbüchern.

Die staatliche Schulbehörde KLIK hat sich vor allem darauf spezialisiert, Lehrer und Direktoren mit Verwaltungsbürokratie und ideologisch eingefärbten Dienstanweisungen zuzumüllen sowie Unsummen öffentlicher Gelder zu verbrennen bzw. in entsprechende Kanäle umzuleiten.

Im Zentrum der Kritik stehen dabei der vereinheitlichte nationale Lehrplan, der die ungarische Jugend aus der europäischen Wissensgesellschaft ausschließt sowie das sogenannte Karrieremodell, das an stalinistische Zeiten erinnert. Die Gewerkschaftsvertretung wurde durch eine ministerielle Zunftsordnung ersetzt, Gehaltserhöhungen an ideologische Untwerfung gekoppelt, Denunzation und Spitzelei zur Betriebskultur erhoben. Nationalistische, militaristische Lehrinhalte sowie eine Lehrvermittlung auf dem Niveau von Pauk-Einrichtungen des 19. Jahrunderts wurden zum Standardmodell, das Schulabgangsalter im Interesse schnell verfügbarer Billigarbeitskräfte gesenkt. Die wichtigsten Fakten zu den Zielen und Maßnahmen der Orbánschen Bildungsreformen finden Sie in diesem Beitrag: 
Masterplan Volksverdummung.

Seit Beginn der Lehrerproteste vor gut zwei Monaten war klar, dass sich durch diese auch allgemeine Kritik am System Orbán und der Machtanmaßung der Regierungspartei Fidesz artikuliert, schließlich ist die Bildungsfrage die Frage nach der Zukunft des Landes und den Prespektiven, die man der jungen Generation eröffnet. Diese politische Dimension erkannte Orbán nicht sogleich, dann aber doch, immerhin strahlen die Probleme wie Proteste der Lehrer auch auf Eltern und Schüler ab und bekommen dadurch eine gesamtgesellschaftliche Dynamik, die selbst für die sonst alles kontrollierende Regierungspartei ab einem bestimmten Punkt unkontrollierbar werden könnte.

Als die sonst üblicherweise wirksamen Diffamierungen der Protest-Initiatoren als von der Linken oder gar von ausländischen Kräften gesteuerten Nationenfeinden nicht verfing, versuchte sich die Regierung in einem Scheindialog und berief einen "Runden Tisch der Bildung" ein, an dem allerdings nur regierungstreue, -nahe oder regierungseigene Organisationen teilnehmen durften. Linientreue Pädagogen und Journalisten appelierten zeitgleich an die "nationalen Pflichten" des Lehrkörpers und an dessen Vorbildwirkung. Kleinere Fehler wurden zugegeben, die Ineffizienz von KLIK eingeschlossen. In einem weiteren Schritt kündigte man vor einer Woche sogar die Auflösung der staatlichen Schulbehörde KLIK zum Ende des Schuljahres an, um jedoch gleich hinzuzufügen, dass die zentralistische Schulverwaltung damit nicht aufgehoben, nur in andere Hände gegeben wird - mutmaßlich direkt dem zuständigen Staatssekretariat zugeordnet. Geändert werden soll also lediglich das Etikett.

 

Auch nach den heutigen landesweiten Protesten, die vor allem auch manifestierten, dass die Beteiligten beginnen, die Angst vor dem repressiven Apparat zu verlieren (immerhin sind in Ungarns öffentlichem Dienst Kündigungen ohne weiteren Rechtsschutz allein aus "Vertrauensverlust" an der Tagesordnung), versucht die Regierung weiter zu beschwichtigen, aber auch zu drohen. Allein der "Runde Tisch" sei der angemessene Ort der Verhandlungen, der heutige Schulstreik "dient nicht den Interessen der Lernenden oder den Lehrern" und sei "irreführend", sagte heute Staatssekretär Palkocis. Denn der "Runde Tisch" habe bereits "bedeutende Ergebnisse" gezeitigt. Er sei jedoch gewillt, "die Teilnehmer an der heutigen Aktion nicht zu bestrafen, wenn sie die verlorene Zeit wieder aufholen." Den alternativen Runden Tisch der Protestbewegung "Ich will unterrichten!" bezeichnete Palkovics als destruktive Privatinitiative, die sich weigere, sich mit der Regierung an einen Tisch zu setzen. Die "ungarische Bildung sei "aber keine Privatsache".

red.



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