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(c) Pester Lloyd / 34 - 2016   POLITIK     27.08.2016

Mauern und Betonköpfe: Orbán schießt notfalls auch den Vogel ab

Sowohl beim Treffen der Visegrád-Vier-Staatengruppe mit Angela Merkel als auch bei seiner turnusmäßigen Radiosendung am Freitag machte Ungarns Premier Orbán klar, dass mit ihm weder ein humaner Umgang mit Flüchtlingen, noch ein gemeinsames, europäisches Vorgehen bei der Verteilung und Betreuung der bereits anwesenden Flüchtlinge zu machen ist. Mehr noch, nur ein starker Dikator Erdogan sei der Garant für Europas Sicherheit...

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Angela Merkel mit ihren Amtskollegen Robert Fico, Beata Szydlo, Viktor Orbán, Bohuslav Sobotka am Freitag bei ihrem Treffen in Warschau

Daher, insistierte Orbán am Freitag auf Kossuth Rádió: müsse die "Grenze zu Serbien verstärkt werden, es muss dort ein weiterer Zaun, ausgestattet mit neuester Technologie, errichtet werden." Dabei wird es sich um eine "massive Struktur" handeln, die ein "gründlicheres Verteidigungssystem" gegen "hundertausende Eindringlinge" darstellt, die Orbán erwartet, wenn der Türkei-Deal scheitert. Gleichzeitig wurde durch Orbáns rechte Hand, Lázár, angekündigt, dass die unmittelbar an der Grenze eingesetzten Sicherheitskräfte (Polizei, Militär, technische Hilfskräfte, strafgefangene Zwangsarbeiter, 1-Forint-Jobber) um 4.000 Polizisten auf insgesamt 40.000 aufgestockt wird.

 

Ziel soll es sein, dass "nicht einmal mehr Vögel ohne Kontrolle auf ungarisches Territorium vorstoßen können"... Das hat er wirklich gesagt, die Details der Umsetzung lassen hier aber auf sich warten. "Die Grenze kann nicht mit Blumen und Kuscheltieren geschützt werden, sondern nur mit Zäunen, Polizei und Militär." - Rechte Gruppen verzieren indes die Grenzzäune auf ihre Weise: mit archaisch gestalteten Vogelscheuchen und - Schweineköpfen.

Orbán verteidigte weiterhin seine -
außerhalb jeglicher rechtsstaatlicher Mindeststandards -stattfindender Schnellverfahren gegen "illegale Eindringlinge", wie er jene Menschen nennt, die es trotz Zäunen, privaten Menschenjägern aus dem Neonazi-Spektrum sowie Sicherheitskräften noch auf ungarisches Territorium schaffen. Am liebsten würde er diese alle ohne jedes Verfahren abschieben, doch dies ließen "Aktivisten von durch Soros finanzierte Menschenrechtsorganisationen" nicht zu. Vielmehr sei Ungarn gezwungen, diese Menschen während der Verfahrensdauer "in geschlossenen Lagern" zu internieren. Täte man das nicht, würden selbst diese "paar Einwanderer noch von westlichen Schleusern nach Westeuropa gebracht werden."

Nicht so komfortabel fühlt sich der große Zaunbauer aus Budapest bei der Aussicht, dass die Österreicher bald eine Grenzbefestigungsanlage an der österreichisch-ungarischen Grenze errichten könnten, um - im Rahmen einer dem FPÖ-Populismus geschuldeten Notstandsverordnung - das - von den ungarischen Behörden zwar negierte, aber still geduldete - Weiterleiten von Asylantragstellern gen Westen zu unterbinden. Österreich solle Ungarn lieber bei der Sicherung der ungarisch-serbischen bzw. ungarisch-kroatischen Grenze helfen, so Orbán, außerdem würde die wahre Gefahr für Österreich von Italien kommen, nicht von Ungarn. In diesem Zusammenhang forderte Orbán wieder den Einsatz europäischer Mittel, um an der griechisch-mazedonischen Grenze sowie die südlichen griechischen Inseln mit Grenzbauten und Grenzschutzeinheiten abzusichern.

Orbáns Amtskollegen der Visegrád-4 aus Tschechien, Slowakei und Polen folgen den ungarischen Regierungspositionen in unterschiedlichen Abstufungen. Sie alle stellen ihre Länder als Leidtragende der Willkommenspolitik Angela Merkels dar, wiewohl kaum ein Flüchtling in diesen Ländern blieb. Durch eine Ablehnung eines Verteilungsschlüssels soll das auch so bleiben. Vor allem die Regierungen in der Slowakei (nominal sozialdemokratisch!), in Polen und Ungarn haben sich durch ihre aus Machtkalkül geschürte Xenophobie, ihre Politik durch Angst, eine Stimmung im Volk erschaffen, die es nun - Wohl oder Wehe für ihre Länder - zu bedienen gilt.

Während sich jedoch die Slowaken und Polen, mehr noch die Tschechen, hüten, einen Bruch mit der EU - ihrem Markt und deren Milliarden-Mitteln - zu riskieren, setzt Orbán ganz auf Konfrontation. Innenpolitisch hat er die Demokratie in sechs Jahren an der Macht vollkommen ausgehöhlt und sich alle Strukturen Untertan gemacht. Diese Machtfülle, gepaart mit dem latenten Risiko wirtschaftlichen Zusammenbruchs aufgrund Selbstüberschätzung, verfehlter Wirtschaftspolitik,
Korruption, Amtsmissbrauch, Wegfallen von EU-Mitteln oder Schwankungen in der Weltwirtschaft, findet ihre Fortsetzung in vermeintlicher Stärke nach außen wie innen, eine Blase, die immer mehr aufgeblasen werden muss bis ihr zwangsläufig das Schicksal widerfährt, das allen Blasen widerfährt, die immer weiter aufgeblasen werden...

Eine neue Manifestation der unumschränkten Stärke des Orbán-Regimes soll das
Referendum über die Flüchtlingsfrage am 2. Oktober darstellen, das bereits jetzt von fremdenfeindlicher Regierungspropaganda auf Steuerzahlerkosten eingeläutet wird. Der praktische Nutzen dieser Abstimmung ist gleich Null, zumindest was die Auswirkungen für die in Ungarn lebende Bevölkerung betrifft. Die Regierung erhofft sich eine Art zusätzliche Ermächtigung, um ihren Standpunkt gegenüber der EU legitimierter vertreten zu können. Die Zustimmung wird überwältigend sein, denn die Gegner rufen geschlossen zum Boykott auf - im Nichterreichen des Quorums von 25% der Wahlberechtigten liegt denn auch die einzige reale Möglichkeit, das Referendum ungültig werden zu lassen.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Dieser Imperativ verbindet Orbán mit Machthabern wie Erdogan, Putin und anderen Despoten, die mit Angst, Zuckerbrot und - zunehmend - Peitschen ihre Länder regieren. Für Orbán ist die Flüchtlingskrise ein Segen, von dem er endlos weiter zehren kann. "Wer meint, es gebe keine Verbindung zwischen Einwanderung und Terrorismus, weiß nicht, wovon er spricht. Oder er leugnet - aus welchem Grund immer - Fakten, die glasklar sind." "Wir in Ungarn wissen, dass der Terrorismus in Europa auftauchte und anschwoll, weil hunderttausende Menschen von Orten einreisten, in denen Europa als Feind angesehen wird." - Mehr noch, Orbán erwartet bald "halbkriegerische Zustände." - U.a. Dank Merkel, wohlgemerkt.

Die Visegrád-Vier-Staaten würden ihre Ablehnung der "von Brüsseler Bürokraten konstruierten Entscheidung" - Füchtlingsquote etc. - nicht aufgeben. Merkel solle hier endlich einen Richtungswechsel vornehmen. Auch er, Orbán, habe noch "nicht alle Karten ausgespielt, die ich habe." - Knackpunkt für eine Lösung der Flüchtlingskrise ist für Orbán "eine stabile Türkei, einen standfesten Präsidenten Erdogan" und somit eine "voraussagbare türkische Außenpolitik". Sollte die Türkei destabilisiert werden, gäbe es in der "ganzen Region kein Land mehr, mit dem man verhandeln könnte". Daher müsse man "der Türkei alles geben, was unserer Sicherheit dient." Offenbar auch einen Freibrief für die massenhafte Verfolgung Oppositioneller, die Verschleppung von Menschen und die Abschaffung der letzten Reste von Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit.

Die Gemengelage ist komplex, so komplex, dass ideologische Phrasendrescher massenhaften Zulauf Irritierter, Verängstigter bekommen und in die offenen Arme der Populisten laufen. Orbáns Fangemeinde in Westeuropa ist nicht kleiner geworden. Demokratie aufgeben, um - vermeintliche - Sicherheit zu schaffen, das ist ein Deal, den viele gerne und vorschnell eingehen, weil sie gar nicht zu wissen scheinen, was sie aufgeben.

 

Viktor Orbán und sein Regime bauen Ungarn physisch wie ideologisch konsequent weiter zu einer nationalistischen, postdemokratischen Festung inmitten Europas aus. Die dabei zwangsläufig entstehende Nähe zu polternden Populisten und realen Diktatoren, in und außerhalb der EU, ist kein Zufall, sondern bildet Teil einer Koalition der Zerstörungswilligen, die auf der Schwäche des "etablierten" Europas wuchs.

Merkel und das Establishment-Europa, das in den letzten Jahren so viele Baustellen unbetreut zurückgelassen haben - voran die Sozialpolitik - wird sich mit dieser Koalition der Zerstörungswilligen auseinander zu setzen haben und damit gleichzeitig mit ihrem eigenen Versagen konfrontieren müssen. Ist man hier nicht zu klaren Kanten gegen die EU-Feinde und radikalen Kehrtwenden in sozialen Grundsatzfragen in der Lage, wird der große Knall nicht ausbleiben.


red.



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