Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!

Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

AUB6-PESTERLLOYD BANNER2

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2016   POLITIK     23.09.2016

Der Waffenschmied: Orbán rüstet sich zur Eroberung Europas

Wer lauter ist, hat recht. Nach diesem Motto hat, gut eine Woche vor dem Referendum zur Flüchtlingsfrage in Ungarn, Regierungschef Orbán noch einmal die ganz große Trommel gerührt: Er fordert, über eine Million Flüchtlinge aus der EU in Lager außerhalb Europas zu deportieren und den Kontinent dicht zu machen. Doch damit nicht genug, auch die Europäischen Verträge will er ändern. Dabei sieht er sich als Initiator und Führer einer Art nationalen Aufstandes gegen die EU.

+ + +
Aktuelle Entwicklungen zum Referendum in Ungarn im NEWSTICKER + + +

38orbanref (Andere)

 
Alle Details zum Referendum in diesem Beitrag.

"Alle, die illegal gekommen sind, muss man einsammeln und wegbringen – aber nicht in andere EU-Länder, sondern in Gebiete außerhalb der EU." Das äußerte Premier Orbán im Rahmen eines als Interview gestalteten Monologes auf dem News-Portal origo.hu (das ist jenes Newsportal im Eigentum der Magyar / Deutschen Telekom, das seinen Chefredakteur auf Zuruf von Orbáns Amtsleiter entlassen hatte) am Donnerstag.

 

Weiter: "Außerhalb der EU sind, bewacht von bewaffneten EU-Streitkräften und finanziert mit EU-Geld, große Flüchtlingslager zu errichten. Jeder, der illegal gekommen ist, muss dorthin zurück. Dort kann er seinen Asylantrag stellen, und wenn es ein Land gibt, das ihn aufnimmt, kann er kommen. Bis dahin muss er sich in diesem großen Lager außerhalb der EU aufhalten. Das kann eine Insel sein oder irgendein Küstenabschnitt in Nordafrika."

Dieser revolutionär klingende Vorschlag - Orbán nennt ihn Schengen 2.0 Action Plan - ist weder neu, noch exklusiv, denn betreute und bewachte Registrierungs-Hot-Spots sind in Brüssel schon lange im Gespräch. Orbáns Talent besteht daher im geschickten plagiieren und martialischen aufmöbeln, um die Idee als die seine zu verkaufen. Dass der Vorschlag undurchführbar ist, vor allem mit Hinblick auf die bereits in Europa angekommenen Flüchltinge gegen alle Menschen-, Grund- und Asylrechte verstieße, ficht Orbán nicht an. "Wir müssen zeigen, wie heiß wir das Eisen schmieden können", offenbarte er den Test-Charakter seiner Aussage.

Dass es sich jedoch nicht nur um eine singuläre Maßnahme handeln soll, sondern quasi um den Beginn einer kompletten Umgestaltung der EU-Politik - nicht nur auf dem Feld der Flüchtlingspolitik -, den Beginn einer "national-konservativen Revolution", machte sein Kabinettschef gleichzeitig auf der wöchentlichen Regierungspressekonferenz klar: "Wenn das Referendum gültig und erfolgreich ist, kann die Regierung sogar eine Änderung der Verfassung und der Europäischen Vertragswerke in Betracht ziehen."

Klar ist der ungarischen Führung auch, dass ihre "Revolution" nicht ohne Gegenwehr bleiben wird. Schon jetzt hätten "nordeuropäische Länder Vertragsverletzungsverfahren gefordert und potentielle Strafmaßnahmen, um Ungarn für seine Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, zu bestrafen." Lázár behautptet weiterhin, dass Ungarn nicht nur 1.300, sondern 30.000 bis 50.000 Menschen aufnehmen müsse, weil Griechenland und andere Länder "ihren Verpflichtungen" nicht nachkommen.

Doch zurück zu Waffenschmied Orbán: die Schwerter will er vor allem gegen "die Brüsseler Bürokraten" schmieden, denn "ich liebe Ungarn, genauso wie es ist und möchte nicht erleben, dass es jemand auf Anweisung von außen ändert." Dazu brauche er möglichst jede Stimme aus dem Volk und wäre "enttäuscht, wenn ich auch nur eine Person sehen müsste, die nicht am Schicksal seines eigenen Landes interessiert ist." Er wünsche sich daher eine Beteiligung von 100%, auch wenn das "politisch unrealistisch" ist.

Was Orbán hier indirekt anspricht, ist die Panik der Fidesz-Größen, mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten könnten am übernächsten Sonntag den Wahlurnen fern bleiben - aus Protest oder Desinteresse. Dann wäre das Referndum ungültig.

Dem vorzubeugen, dient nicht nur eine Wahlkampge, die mit ca. 36 Mio. EUR Gesamtkosten fast doppelt so teuer ist wie der Fidesz-Wahlpampf bei den letzten Parlamentswahlen, sondern auch "informelle Maßnahmen". Rentnern, Sozialhilfeempfängern und anderen von staatlichen Leistungen abhängigen wird auf kommunaler Ebene schwerstens ans Herz gelegt mit "Nem" zu stimmen, sonst würden ihre Leistungen zu Gunsten der "Einwanderer" gekürzt.
Gleiche Message ging an die ungarischen Roma. Bürgermeistern wurde in einer aktuellen "Befehlsausgabe" offen damit gedroht, "Flüchtlinge (gezielt) bei ihnen anzusiedeln", sollten ihre Kommunen nicht die gewünschten Ergebnisse liefern. Orbán unterstrich diese Drohung. Es sollten sich jene, welche die Quote nicht ablehnen, nicht wundern, dass sie eines Tages "mit einer Flüchtlingsfamilie in der Nachbarschaft" aufwachen...

Orbán gibt sich hinsichtlich der praktischen Konsequenzen eines für ihn erfolgreichen Referendums noch bedeckt, allerdings "wird es natürlich gesetzliche Konsequenzen" haben. Vorgezogene Neuwahlen - über die bereits spekuliert werden - seien jedoch "eine rutschige Angelegenheit". Orbán hofft nach erfolgreichem Referendum vor allem auf einen Domino-Effekt, in dem mehrere osteuropäische Länder, aber auch andere auf seinen Zug aufspringen und so einen Stimmungsumschwung und in der Folge einen Richtungswechsel erzwingen könnten.

 

Gleichzeitig erwartet sich Orbán, dass seine unreflektierenden Anhänger in Westeuropa (von AfD/CSU/FPÖ/Front Nantional etc. bis hin zu Straßenbewegungen) durch seine "Leistung" erstarken und die heimischen Politiker unter Druck setzen. Dass das heutige Ungarn, das Orbán bis aufs Messer verteidigen will, nicht viel mehr ist als eine zur Hälfte verarmte, von demokratischen Kontrollen unbelangte Kleptokratie zur freien Verfügung einer Nomenklatura und nicht im Ansatz als Vorbild für eine europäische Perspektive dient, - diese Umstände klammert Orbán ebenso aus wie seine Anhänger. So lange die Demokraten Europas - in den Grunfragen der Perspektive Europas - nicht mit einer Stimme sprechen, gilt schlicht: Wer lauter ist, hat recht.

red .

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!

Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD mit einem Abo oder einer Spende. Infos hier!





 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854