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(c) Pester Lloyd / 38 - 2016   WIRTSCHAFT     19.09.2016

Out means out: Osteuropas Angst vor dem Brexit

Milliarden an Überweisungen aus dem Ausland entfielen, Hunderttausende, dann arbeitslose Rückkehrer würden unberechenbare soziale Spannungen in ihre Heimatländer bringen und sogar die Macht der Herrschenden bedrohen. Doch was wäre die Konsequenz eines angedrohten Vetos gegen einen sanften Brexit wie ihn die EU anstrebt? Doch nur der kalte Ausstieg und das totale Chaos. Das Ergebnis von Nationalismus eben.

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Die Tradition des englischen Premiers, seine Gäste vor der verschlossenen Tür der Downing Street No. 10 zu empfangen, hat schon was für sich. Sind sie erstmal drin, wird man sie nicht wieder los...

 

Es scheint paradox, dass ausgerechnet die von Orbáns Ungarn angeführte antiieuropäische Allianz, Visegrád Vier, die größte Angst vor dem Brexit äußert und der EU damit droht, einem Brexit-Abkommen mit einem Veto zu begegnen, wenn eine zentrale Forderung der vier Osteuropäer, Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn nicht erfüllt wird. Dabei geht es um den Passus der Arbeitsfreizügigkeit für EU-Bürger, die, so die V-4-Forderung, trotz EU-Austritts Großbritanniens unbedingt erhalten bleiben müsse.

Der slowakische Premier, Robert Fico, nominal ein Sozialdemokrat, warnte beim EU-Gipfel in Bratislava, dass "wir jeden Brexit-Deal stoppen werden, der es unseren Bürgern nicht mehr erlaubt, sich frei in Großbritannien zu bewegen" mehr noch "unsere Bürger sollen die gleichen Rechte haben wie britische Bürger und leben und arbeiten können, wo immer sie wollen." Dabei gebe es "keine Kompromisse". Auch ungarische Minister haben diese Forderung bereits unterstrichen, Polen und - mit Abstrichen Tschechien - unterstützen die Position.

Die Panik ist nicht unbegründet. Geschätzt eine Million Polen, rund 400.000 Ungarn und mindestens 100.000 Slowaken leben und arbeiten in Großbritannien. Im Falle Ungarns machen allein die offiziell registrierten Überweisungen dieser "Gastarbeiter" (auch in anderen EU-Staaten) in die Heimat fast 4% des BIP aus, deren Wegfall die Armut vieler von den Geldsendungen abhängiger Familien verschlimmern und soziale Spannungen erhöhen würde. Und was, wenn Hunderttausende Arbeitssuchende nach Ungarn oder Polen zurückgeschickt würden? Immerhin stehen allein in Ungarn laut aktuellen Umfragen weitere Hunderttausende in den Startlöchern, um sich Arbeit - eine anständig bezahlte - im Ausland zu suchen. (
Dazu hier der Hintergrundbeitrag "Die große Flucht")

Wirtschafts- und Sozialpolitikern stellen sich die Haare auf, wenn sie an die Konsequenzen einer Rückwanderungswelle solchen Ausmaßes denken, zumal die Aufnahmekapazitäten Deutschlands und Österreichs, die zwei anderen großen Zielländer der von Orbán ausgelösten Auswanderungswelle, beschränkt sind. Die Folge wäre ein Heer von Arbeitslosen, dem Ungarn nichts anzubieten hätte, außer kommunale Zwangsarbeit zum Hungerlohn. Das System müsste die Hosen herunter lassen, ein wirtschaftspolitischer Offenbarungseid, der die Macht der regierenden Parteien in Bratislava, Warschau und Budapest gefährdet. Und genau das ist der Knackpunkt. Nicht die Sorge um soziale Notstände treibt die Visegrád-Vier-Zyniker, es ist der drohende Machtverlust durch eine unbeherrschbare Masse Prekariat.

 

... Und ein Lehrstück der Konsequenzen von Nationalismus und Populismus: auf der einen Seite betont man die angeblich existentielle Notwendigkeit der Unabhängigkeit und Souveränität von Nationalstaaten und will "Null Einwanderung" und schon gar keine Einmischung durch eine Gemeinschaft wie die EU. Setzt diese Forderungen jedoch ein anderes Land um, ist man nicht bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen und fordert auf einmal "europäische Solidarität" ein.

Sollten die V-4 einen Brexit-Deal, mithin einen sanften Ausstieg der Briten mit Teilhabe am Binnenmarkt, torpedieren, bliebe der EU nur der kalte Rauswurf. Dann wäre nicht nur die Arbeitnehmerfreizügigkeit dahin, sondern auch der freie Waren- und Kapitalverkehr, die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit. "Out is Out" würde dann nicht nur für die Briten gelten, sondern auch für die Armee osteuropäischer Gastarbeiter. Deren Lohndrückerei war ja eines der Hauptargumente vieler Briten für den Ausstieg zu stimmen. Die Angriffe auf Osteuropäer, Mord inklusive, ein trauriger Beleg dafür, wohin Nationalismus zwangsläufig führt...

red.

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