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(c) Pester Lloyd / 38 - 2016   GESELLSCHAFT     20.09.2016

Respektvoll, aber diskriminierend: Europarat kritisiert Roma-Politik in Ungarn diplomatisch

Körperliche Angriffe und "Diskriminierung in allen Lebensbereichen" als "im Großen und Ganzen respektvollen" Umgang zu qualifizieren, das nennt man wohl Diplomatie. Der aktuelle Bericht des Europarates zur Lage der Minderheiten in Ungarn versucht noch in weiteren Formulierungen, der ungarischen Regierung eine Brücke zu bauen, seine Empfehlungen führen an den Ursachen vorbei, Konsequenzen gibt es keine.

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Es beginnt schon damit, dass der aktuelle Bericht "zahlreiche Rechte" würdigt, die den Minderheiten in der 2011 verabschiedeten Verfassung zugesichert würden. Dass es gerade diese Verfassung ist, die die Minderheiten (und nicht nur die ethnischen) vom nationenbildenden zum lediglich staatsbildenden Teil des Volkes degradiert hat, erwähnt der Europarat nicht, vielleicht hat man diesen feinen Unterschied dort noch gar nicht bemerkt.

Wörtlich heißt es in einer Zusammenfassung: "Laut einem Bericht der Vertreter nationaler Minderheiten gibt es zwischen der Bevölkerungsmehrheit und Minderheitengruppen in Ungarn im Großen und Ganzen einen respektvollen Umgang. (...) Insbesondere im Hinblick auf die Roma gibt es allerdings weiterhin Probleme. Die aktuelle Stellungnahme nennt Berichte über körperliche Angriffe gegen Roma in den vergangenen Jahren. (...) Außerdem erfahren Roma eine systematische Diskriminierung und Ungleichbehandlung in allen Lebensbereichen, einschließlich bei der Vergabe von Wohnraum, Beschäftigung, Bildung und dem Zugang zum Gesundheitssystem. Dem Gutachten zufolge hat die Segregation von Romaschulkindern in den letzten Jahren wieder zugenommen."

Der Spagat, der ungarischen Regierung nicht im gesamten Bericht ans Bein zu pinkeln, geht weiter, in dem man u.a. Bemühungen im Kampf gegen Antisemitismus würdigt. Angesichts einer amtlich errichteten
Büste für einen faschistischen Minister und die dritthöchste staatliche Auszeichnung für einen ausgewiesenen Antisemiten im Kleide eines Kolumnisten blendet man aus.

Immerhin ist die "systematische", mithin also staatlich gewollte, Ausgrenzung und Diskriminierung der ungarischen Roma klar erwähnt, wenn auch die Auswüchse u.a. der offenen rassistischen Maßnahman u.a. durch rechtsextreme Bürgermeister keine "Würdigung" finden. Eine Reihe von Empfehlungen werden in diesem Bericht, der freilich nicht mehr als eine "Opinion" darstellt, auch gegeben. Der Europarat hat selbst keine Macht, gegen Verstöße gegen Menschen- und Grundrechte und demokratische sowie rechtsstaatliche Prinzipien vorzugehen. Seine Informationssammlungen dienen aber anderen europäischen Institutionen, auch Gerichten, jedoch als Arbeits- und Entscheidungsgrundlage. Allein diese Stellung macht den Europarat wichtig.

Aktuelle Empfehlungen an die ungarische Regierung zeigen die Diskrepanz zwischen Wollen und Können, sie lauten u.a.: man solle sich mit Roma-Vertretern zusammentun, um Maßnahmen gegen die "fortgestzte schulische Segregation von Roma-Kindern" zu ergreifen. Das klingt schön, allerdings geht die Segregation von Regierung, Schulbehörde, Kommunen und Eltern der "weißen" Ungarn aus und ist gefordert,
politisch unterstützt.

Hinzu kommt, dass "Romavertreter", zumindest jene, die die Regierung als Partner akzeptiert, Fidesz-Gefolgsleute sind. Der zentrale Ansprechpartner der Regierung in Romafragen, der ORÖ-Chef Florián Farkas
versank im Korruptionssumpf, das Gebahren anderer "Vertreter" aus jüngster Zeit gibt einen Hinweis darauf, wie desaströs der Organisationsgrad der Roma für ihre eigenen Belange - die zentrale Voraussetzung für eine Verbesserung ihrer Lage - ist. Von staatlicher Seite ist nichts zu erwarten, selbst das Ombudsamt für den Schutz der Grund- und Minderheitenrechte ist parteipolitisch dominiert, der für die Roma zuständige Stellvertreter des Leiters der Ombudsbehörde kann nicht einmal mehr selbst Beschwerden einreichen, wie der Europarat in seinem Bericht resignierend feststellen muss. Dieser Stellvertreter musste sich von der Regierung bereits öffentlich kriminalisieren lassen.

 

Besonders zahnlos wirkt der Papiertiger, wenn er "brüllt" man solle für "Zugang zum Gesundheitswesen, Arbeit und verbesserten Lebensbedingungen" ermöglichen. Diese zivilisatorischen Grundlagen kann oder will der ungarische Staat ja nicht einmal allen Nicht-Roma zugestehen. Beleg dafür, dass es vor allem um soziale Diskriminierung geht, die teilweise ethnisch deklinierbar ist.

Die ungarische Regierung reagierte auf den Bericht mit reinwaschenden "Kommentaren", garniert mit ein paar selbst erstellten Statistiken, die Sie
hier in englisch nachlesen können. Das vollständige Gutachten zur Lage der Minderheiten in Ungarn des Europarates können Sie hier in englischer Sprache abrufen.

Die tatsächliche Lage der Roma in Ungarn

Selbsteinschätzungen von Roma und positive Fallbeispiele finden Sie
in diesem Beitrag.


red .

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