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(c) Pester Lloyd / 40 - 2016     MEDIEN     08.10.2016

Medienkrieg in Orbáns Ungarn: Regierungskritische Tageszeitung "Népszabadság" eingestellt

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Die Printausgabe und sämtliche Onlineaktivitäten der Népszabadság werden "mit sofortiger Wirkung eingestellt". Die Eigentümer sprechen von wirtschaftlicher Notwendigkeit, die Redaktion spricht von einem Putsch. Es ist ein wichtiger Meilenstein beim Aufbau der Orbánschen Medienhegemonie. Ein windiger Österreicher fungiert dabei als williger Helfer des inneren Fidesz-Führungszirkels beim Aufbau eines regierungstreuen Medienimperiums. Die Hintergründe.

 

Das Ende der Népszabadság wurde am Samstag per Eilmeldung auf der eigenen Webseite der Zeitung www.nol.hu  vom Eigner Mediaworks-PLT verkündet. Alle anderen Inhalte sind dort schon nicht mehr abrufbar. Gleichzeitig wurde die Entlassung der gesamten Mitarbeiter angekündigt sowie das Redaktionsstatut außer Kraft gesetzt, das Mitsprachrechte festschrieb. Es sei durch die Fusion mit PLT nichtig geworden. Der Chefredakteur wurde durch den Vorstandschef der Mediaworks ersetzt, sämtliche Mitarbeiter erhielten Hausverbot, ihre Email-Zugänge und Dienst-Handys wurden gesperrt.

Als Begründung gibt der Eigentümer, die Mediaworks Zrt. an, dass man aufgrund der Ende September erfolgten Übernahme der PLT (Pannon Lapok Társasága) das Unternehmen mit rund 1.150 Mitarbeitern nun auf gesunde, ökonomische Füße stellen müsse, um "journalistische Exzellenz" zu garantieren. Die Népszabadság sei dabei zu einer Belastung geworden und habe seit 2007 über 5 Mrd. Forint (ca. 16 Mio. EUR) Verluste gemacht und in zehn Jahren rund 74%, also rund 100.000 Exemplare seiner täglichen Auflage eingebüßt. Auch in diesem Jahr seien bereits signifkante Verluste entstanden.

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Die Népszabadság, früher Zentralorgan der ungarischen, kommunistischen Partei, bis gestern Sprachrohr der links-liberalen Landeshälfte, dabei jedoch qualitativ-publizistisch weit über dem stehend, was die Opposition sonst so zu bieten hat, war immer noch die auflagenstärkste der klassischen Tageszeitungen des Landes. Mit der obigen Begründung könnte man praktisch jede der klassischen Tageszeitungen in Ungarn schließen.

Was steckt also dahinter? Zunächst ist es interessant, zu wissen, dass Eigentümer Mediaworks eine Beteiligung der Vienna Capital Partners VCP ist, eine in Wien, Prag und Warschau ansässige Beteiligungsgesellschaft, die von dem Österreicher Heinrich Pecina geführt wird, der nebenbei auch im Vorstand des Chemiekonzerns BorsodChem sitzt.

VCP kaufte - über Mediaworks - binnen kurzer Zeit sowohl die 28% Anteile der MSZP-Stiftung "Freie Presse" an der Népszabadság auf als auch die 70,6%, die zuvor im Eigentum des Springer-Verlages bzw. anschließend Ringier waren sowie die 1,4% Mitarbeiteranteil. Die klamme MSZP hatte schlicht kein Geld, um "ihre" Zeitung zurückzukaufen, der Springer Verlag musste die Anteile loswerden, um die kartellrechtliche Genehmigung für die Zusammenfassung seiner sonstigen Interessen in Ungarn in einer Ost-Holding mit dem Schweizer Ringier-Verlag genehmigt zu bekommen.

Die Sache hat jedoch mehrere Haken, die sozusagen zum Pressehimmel stinken und den Verdacht einer konzertierten, politischen Aktion zur Aneignung der Medienmacht seitens des Orbán-Lagers - oder wie die Népszabadság-Redaktion erklärte "Putsch" - erhärten.

Zunächst hat die Pannon Lapok (PLT) Teile der Ost-Holding übernommen bzw. Titel herausgekauft. Mit der Übernahme der PLT durch Mediaworks wird also zusammengeführt, was zunächst laut der (natürlich auch von Regierungsleuten kontrollierten) Wettbewerbsbehörde getrennt bleiben sollte. Warum ist heute möglich, was früher - wettbewerbsrechtlich - untersagt wurde, wenn nicht politische Strippenzieher dahinter stecken? Und warum riskiert man das Wegbrechen der Leserschaft und baut nicht - wie branchenüblich - einen solchen Titel Stück für Stück im laufenden Betrieb um? Wer hier an Zufall glaubt, glaubt auch an den Turul...

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Dass sich Impresario Pecina (auf dem Foto bei der Vernehmung vor einem U-Ausschuss zur Hypo-Affäre in Österreich) eher am rechten Rand des politischen Interesses bewegt, darauf wiesen wir schon damals
bei der Übernahme hin, immerhin ist der Mann 2011 Teil von strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gewesen, der Verdacht lautete auf Anstiftung zur Untreue bei der Erstellung bzw. Abrechnung eines Gutachtens im Zuge des Verkaufs der Hypo Alpe Adria an die Bayern LB 2007. Die Ermittlungen sind Teil der epischen, stets um den heißen Brei herum und am Rande der Verjährungsfristen geführten Aufarbeitung der Haider-Zeit sowie der ÖVP/FPÖ-Koalition im österreichischen Nachbarland. Pecina hatte exzellente Beziehungen zum Rechtspopulisten Haider, gilt ansonsten aber als "situationselastisch", wie eigentlich alle österreichischen "Eliten". Das Schicksal einer "sozialistischen" Tageszeitung dürfte einen "Charakter" wie ihn daher von Anfang an nur monetär interessiert haben.

Pecina, in und für dessen Vienna Capital auch hochrangige ÖVP-Ex-Minister und FPÖ-nahe Personen tätig waren bzw. sind, tauchte 2016 auch in den Panama-Papers auf, aus denen ersichtlich war, dass Pecina mit dem Ex-Chef der ungarischen, staatlichen Entwicklungsbank MFB, Erös, bis 2010 Off-Shore-Geschäfte abwickelte.

Auch beim - letztlich gescheiterten - Übernahmeversuch der MOL durch die OMV, hatte Pecina seine Finger im Spiel. War er es doch, der vom russischen Oligarchen Rahumkulow 5,7 Mio. MOL-Aktien erwarb, um sie noch am gleichen Tag an die OMV weiter zu verkaufen, die so ihre Anteile an der MOL auf knapp 20% erhöhen konnte. Dabei soll Pecina - informiert durch seinen Geschätspartner Erös bei der MFB - längst darüber im Bilde gewesen sein, dass der
ungarische Staat gegen die Übernahme intervenieren würde. Gegen Pecina lief außerdem ein Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche, wegen einer dubiosen Kreditvergabe an eine Off-Shore-Firma. Dieses Verfahren wurde ergebnislos eingestellt. Pecina sieht sich bei alldem als Opfer einer unethischen Presse. Nun gehört sie ihm, zumindest in Ungarn, zu großen Teilen.

Dass ihm Medienstrategen aus dem Orbán-Umfeld, allen voran der
zwielichtige "Guru"  Árpád Habony, den Weg für die obigen Deals politisch bei der Wettbewerbsbehörde GVH freigeräumt haben könnte, liegt auf der Hand. Einzige Vorgabe: Weg mit der Népszabadság und den anderen Störenfrieden als Vertreter oppositioneller Stimmen. Dass jemand wie Pecina dabei keine Skrupel kennt, ist leicht zu ahnen. Zufall natürlich auch, dass der Fidesz-Mann, Ex-Außenminister Martonyi im Beirat der VCP sitzt...

Wie geht es nun weiter? Mediaworks hat seine 400 Mitarbeiter bereits in das renovierte, nun "ehemalige" Gebäude der Népszabadság einziehen lassen. Offiziell spricht man von einer "Sicherung der Zukunft der Népszabadság", in dem man nach einem "geeigneten Business-Modell" suchen wird, "in Übereinstimmung mit den derzeitigen Branchentrends." Diese bestehen im Falle Ungarns vor allem darin, regierungsfreundlich zu berichten und dafür massive Anzeigenaufträge und sonstige Förderungen zu erhalten.
Orbán hat dafür extra eine Behörde geschaffen.

 

Abonennten der Zeitung "die wir hoch schätzen", werden in den kommenden Tagen ein "alternatives Angebot" erhalten, sie dürfen aus anderen Titeln der Mediengruppe wählen oder erhalten notfalls den Abopreis erstattet. Viktor Katona, Vorstandschef der Mediaworks übernimmt nun auch die Chefredaktion der nicht existenten Zeitung, wird also zum Liquidator, Chefredakteur Balázs Rónai hat, so heißt es, seinen Posten freiwillig verlassen...

Mediaworks-PLT macht derzeit, nach eigenen Angaben, rund 25 Milliarden Forint Umsatz (rund 82 Mio. EUR) und nennt 1.150 Angestellte. Man betreibt Regionalzeitungen in 12 Komitaten, diese sind für 75% der Gesamtauflage und 50% des Umsatzes verantwortlich. Dazu gehören u.a. die Dunaújvárosi Hírlap, Fejér Megyei Hírlap, Napló (Veszprém), Vas Népe, die Zalai Hírlap. Neben der Népszabadság bringt Mediaworks ein umfassendes Portfolio mit: u.a. die einst renommierte Wirtschaftszeitung "Világgazdaság", das ungarische "Manager Magazin", die "Nemzeti Sport", "Auto Motor" sowie ein Bulk von Frauen-, Jugend- und Klatschmagazinen.

Das neue
Medienimperium der Orbán-Truppe nimmt Gestalt an. Die Népszabadság war ein gewaltiger Meilenstein, die Champagnerkorken dürften knallen. Mit Kleinkriegen á la Klubrádió gibt man sich längst nicht mehr ab. Immerhin hat man einiges erreicht. Den einst regierungskritischen Sender TV2  (ehemals Pro7Sat1) hat man mit Taschenspielertricks übernommen, heute ist Rambo-Produzent und Orbán-Freund sowie Casino-Zar Vajna Herr im Hause. RTL Klub (Bertelsmann), einst medialer Staatsfeind Nr.1 wurde im Zuge eines Deals  ruhig gestellt, dem damals kritischen origo.hu (Magyar bzw. Deutsche Telekom) wurden die Zähne gezogen, das einst renommierte Wirtschaftsblatt Napi Gazdaság zum Regierungsorgan umgewandelt, wobei regelrechte Mafiastrukturen bekannt wurden.

Regional hat man sowieso alles im Griff, PLT marschiert publizistisch im Fidesz-Gleichschritt und kommunal erfüllen die Dorfbürgermeister ihre Pflicht, in dem sie lokale Medien, so sie überhaupt widerspenstig sind, in den politischen und finanziellen Schwitzkasten nehmen. Nur mit dem einstigen Hausblatt "Magyar Nemzet" hat man derzeit noch einige Probleme, ein
Oligarch scherte außerplanmäßig aus. Aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Nicht zu vergessen, die totale Kontrolle, die man über den öffentlich-rechtlichen Rundunk übernommen hat, auch wenn man sich dort eher blamiert als reüssiert.

Nächstes Ziel der Orbánschen Medienstrategen wird die Erledigung von HVG, dem ungarischen "Economist" oder "Spiegel", dem letzten, wirklich einflussreichen, regierungskritischen Qualitäts-Printmedium, das noch nicht gänzlich zur Strecke gebracht wurde. Doch die WAZ-Gruppe (nein, es ist kein Zufall, dass es viele westliche, ja deutsche Medienkonzerne sind, denen das Schicksal der ungarischen Medienvielfalt an der allerwertesten Bilanz vorbeigeht)
ließ die Zeitung, nebst einflussreichem Online-Portal bereits fallen.

Das Ende der Népszabadság, so viel steht trotz Orbáns Macht und den ökonomisch-politischen Ränken fest, steht exemplarisch auch für die Schwäche der MSZP sowie die Uneinigkeit und Planlosigkeit der gesamten links-liberalen Opposition in Ungarn. Deren Schwäche macht die andere Seite stärker als sie sein müsste.

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Die Redaktion der Népszabadság (Foto) wird am heutigen Samstag 18.00 Uhr geschlossen auf den Platz vor das Parlament (Kossuth tér) ziehen und ruft alle Interessierten zu einer Solidaritäts-Demonstration gegen die Schließung der Zeitung auf. Die Redaktion verfügt über eine eigene Facebook-Seite, auf der sie über den Fortgang der Dinge berichtet, wo man sich auch solidarisch erklären kann.
https://www.facebook.com/nepszabadsagszerkesztoseg

red. / m.s.


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