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(c) Pester Lloyd / 40 - 2016     POLITIK     06.10.2016

Kein Recht auf Asyl in Ungarn: Orbán drängt auf schnelle Verfassungsänderung

EU-Ratspräsident Donald Tusk entlarvte in einem Brief Orbáns Falschspiel mit dem Referendum, hatte dieser doch Quotenregelung im Rat der Regierungschefs im Februar zugestimmt. Dessen ungeachtet forciert Ungarns Premier eine Verfassungsänderung, die in wenigen Tagen durchgeprügelt werden soll. Während die demokratische Opposition Farce, Boykott, Ablenkung ruft, wird die neonazistische Jobbik ihm die erforderliche Mehrheit sichern.

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Der Europäische Ratspräsident Donald Tusk hat in einem Brief an den Vizechef der Partei "Demokratische Koalition" bestätigt, dass Premier Orbán beim Rat der Regierungschefs bereits im Februar 2016 der Einführung einer Quotenregelung für die Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU grundsätzlich zugestimmt hatte. Damit entlarvte er Orbáns Referendumskampagne ganz klar als einen Akt politischer Lüge.

Orbán habe der Deklaration damals "ohne Einschränkung" zugestimmt, die festhielt, dass "Alle Entscheidungen, über die man sich im Dezember geeinigt hat, so schnell wie möglich umgesetzt werden, insbesondere die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Union...". Orbán hätte die Resolution mit seiner Ablehnung zu Fall bringen können, da diese nur einstimmig gültig werden konnte. Darüber hinaus, so Tusk in seinem Antwortschreiben, hätte Orbán bei sechs weiteren Ratssitzungen die Möglichkeit gehabt, mit dem Thema befasste Resolutionen zu beeinspruchen, was er nicht tat.

Diesen Sachverhalt ebenso außer Acht lassend wie die
verfassungsmäßige Ungültigkeit des sonntäglichen Referendums betonte Orbán am Dienstag, dass sein Kabinett noch am heutigen Mittwoch die geplante Verfassungsänderung zur Festschreibung des Verbots zur Ansiedlung von Flüchtlingen in Ungarn ausarbeiten wird. Denn das Referendum habe "eine neue, parteiübergreifende Einheit zwischen Volk und Regierung" geschaffen. Die Menschen hätten weder gegen Flüchtlinge, noch die gegen die EU gestimmt, sondern für einen "angemessenen Umgang mit der neuzeitlichen Einwanderungswelle".

Die Verfassungsänderung werde deutlich machen, dass es Brüssel nicht erlaubt sein werde, die Ansiedlung von Flüchtlingen in Ungarn anzuordnen, wenn das ungarische Parlament dem nicht zustimme. Explizit sollten so "Massenansiedlungen" untersagt werden. Die Ansiedlung von Menschen "ohne das Recht auf Aufenthalt und Bewegungsfreiheit" könne nur auf "individuelle Anstragstellung" und im Einklang mit "vom nationalen Parlament beschlossenen Gesetzen" gewährt werden, was nichts weniger bedeutet, als dass die aktuell angewandten Regelungen in Verfassungsrang gelangen, damit das Asylrecht praktisch abgeschafft wird.

Denn die derzeitige Praxis beinhaltet u.a., dass nur rund 30 Asylanträge pro Tag bearbeitet werden und Ankömmlinge ungeprüft abgeschoben werden, denen nicht selten dabei behördliche Gewalt widerfährt. Wem es dennoch gelingt, ins Landesinnere zu kommen, wird in Schnellverfahren, ohne jeden rechtsstaatlichen Mindeststandard der Prozess gemacht. Internierung bis zur Abschiebung ist die Folge. Eine Prüfung der Asylgründe findet nicht mehr statt, Einspruchsrechte gibt es keine.
Details dazu hier.

Insgesamt soll die Verfassung dabei in vier Punkten geändert werden. Auf Diskrepanzen zwischen den angestrebten Regelungen EU-Recht und internationalen Konventionen, denen sich Ungarn verpflichtet hat, musste Orbán nicht eingehen, die Ankündigungen machte er nämlich auf einer Pressekonferenz ohne Pressevertreter - nur ein Team der Staatsagentur MTI und Protokollanten waren zugelassen.

Gleichzeitig hofft der Minsisterpräsident, dass die Verfassungsänderung die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament erreicht (die Fidesz allein nicht mehr hat, Orbán braucht zwei Stimmen aus dem Oppositionslager, hast sie durch die nazistische Jobbik, siehe unten, aber sicher). Den Parlamentarieren müsste klar sein, dass sich "98% der Menschen dementsprechend geäußert haben", die Wahlbeteiligung von 43% hätte gezeigt, dass auch rund 1 Million Wähler, die nicht Fidesz als Regierungspartei präferieren, der Vorlage zustimmten. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Brüssel gegen eine Mehrheit von 98% Entscheidungen fällt." Die Verfassungsänderung durch das Parlament würde, zusammen mit dem Referendum, eine uneinnehmbare Festung darstellen. Aus etwas mehr als 40% gültiger Stimmen sind also 98% des Volkes geworden.

Fidesz-Fraktionschef Kósa gab als Zeitrahmen an, dass die Verfassungsänderung bereits am 10. Oktober den Parlamentariern vorgelegt werden soll, am 17. Oktober soll dann eine Debatte dazu stattfinden, die Abstimmung ist bereits für den 8. November vorgesehen. Fidesz wolle sich außerdem mit den vier anderen Parlamentsparteien informell darüber austauschen.

Ein ungültiges Referendum als Berechtigung für eine Eiländerung der Verfassung zu benutzen, stößt beim demokratischen Teil der parlamentarischen Opposition auf geschlossene Ablehnung. Die MSZP "warnt" Orbán davor, "ein ungültiges Referendum" für eine Entscheidung zu nutzen, die "die Zukunft von zehn Millionen Bürgern betrifft", denn die Maßnahmen würden langfristige Auswirkungen auch in den Beziehungen zur EU und den Nachbarstaaten haben. Fidesz sei nicht von der Mehrheit der Wähler befugt und ignoriere damit den Willen jener 5 Millionen, die nicht am Referendum teilgenommen haben. Auch dies sei eine klare Willens- bzw. Unwillensäußerung gewesen.

Die neonazistische Partei Jobbik will "eine Verfassungsänderung unterstützen, die dazu geeignet ist, Ungarns Sicherheit zu erhöhen". Nach "sechs vergeudeten Monaten und 15 Milliarden Forint öffentlicher Mittel, die für ein gescheitertes Referendum ausgegeben wurden", habe Orbán "nun verstanden, dass Jobbik von Anfang an Recht hatte", denn seine nun angestrebte Verfassungsinitiative sei "identisch" mit dem, was Jobbik immer wollte. Da es um "das Interesse der Nation" gehe, werde man sich Fidesz´ Vorschlag wohlwollen anschauen, so Parteichef Vona.

Die DK von Ex-Premier Gyurcsány wird sowohl der Debatte wie der Abstimmung fernbleiben und ruft alle anderen Oppositionsparteien auf, es ihr gleich zu tun. Die Ungarn hätten am Sonntag Orbán keine Authorisation erteilt, irgendeine Gesetzgebung hinsichtlich Einwanderung und Flüchtlinge vorzunehmen. Orbán verrate nationale Interssen und riskiere die EU-Mitgliedschaft. Man werde dagegen "die Demokraten auf die Straßen holen".

Die ambivalent grün-national-liberal veranlagte LMP sieht "keine Lösung der Flüchtlingsfrage" in einer solchen verfassungsmäßigen Festschreibung, daher handele es sich um eine "politische Farce", die nur dazu dient, drängende Probleme unter den Teppich zu kehren, wie "Abwanderung, Armut, Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt und die weit verbreitete Korruption", so Sprecher József Gál.

red.

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