Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!

Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

AUB6-PESTERLLOYD BANNER2

 

(c) Pester Lloyd / 41 - 2016     POLITIK     10.10.2016

"Konstitutionelle Identität": Wie und warum Orbán Ungarns Verfassung ändern will

Ungarns Ministerpräsdient Orbán wird am heutigen Montag dem Parlament die Verfassungsänderungen vorlegen, die, seiner Meinung nach, "den Ausgang des Referendums vom 2. Oktober reflektieren und klar den Volkswillen ausdrücken", sagte er im staatlichen Kossuth Radio am Wochenende. Er "erwarte" dafür die Unterstützung "aller Abgeordneten". Was er vorlegt, ist ideologisches, rechtlich irrelevantes Geschwafel.

UPDATE: Die Verfassungsänderung im Wortlaut

40orbverfassung


Neben den vorgesehenen Regelungen, dass Massen- bzw. "Gruppenansiedlungen" ohne die Genehmigung des nationalen Parlamentes verboten werden und nur "individuelle Anträge auf Basis der nationalen Rechtslage" ein Aufenthaltsrecht ermöglichen, soll als zentraler Bestandteil ein Passus aufgenommen werden, der die angeblich an Brüssel verloren zu gehen drohende Souveränität des Landes stärken soll.

 

Darin heißt es: "Form und Struktur des Staates, des Territoriums des Landes und seine Menschen bilden die konstitutionelle Identität der ungarischen Nation". Diese könne nicht durch "irgendein äußeres Recht überschrieben werden".

Die geplanten Änderungen sind rechtlich irrelevant und weitgehend wirr. Erstens sieht die geplante, aber noch nicht beschlossene, Quotenregelung der EU zur Umverteilung von Flüchtlingen, keine "Gruppenansiedlungen" vor, sondern lediglich die Durchführung von de jure individuellen Asylverfahren - im Falle Ungarns - von 1.300 Personen. Von einem Aufenthaltsrecht, also einer Ansiedlung war nie die Rede.

Zum Zweiten ist der "individuelle Antrag" auf Aufenthalt gelebtes Recht und durch Gesetze geregelt, die Verfassung enthält den entsprechenden Verweis dazu. Eine weitere Erwähnung im Grundsgesetz, dass man sich an vom Parlament beschlossene Gesetze zu halten hat, ist folgen- und somit sinnlos. Hinzukommen müsste nun indes eine Klausel, die EU- und Schengen-Ausländer von der Regelung ausnimmt, wenn Orbán nicht gegen EU-Recht verstoßen will, denn diese Personengruppen müssen keine Anträge auf Aufenthalt stellen, sie haben das - gesetzlich definierte - Recht dazu.

Am stärksten verdeutlicht jedoch die Formulierung zur "konstitutionellen Identität der ungarischen Nation", dass es weder beim Referendum, noch bei Orbáns Flüchtlingspolitik selbst wirklich um die Lösung praktischer Fragen oder bestehender Mängel in der Verfassung geht. Vielmehr handelt es sich um die weitere Einbringung politisch-ideologischer Parolen, die Manifestation von populistischer Stimmungsmache in die Verfassung des Landes.

Die Formulierungen erinnern dabei u.a. an die Involvierung "Gottes" und den völkischen, Minderheiten ausgrenzenden Nationenbegriff der von Fidesz 2011 geschriebenen und übrigens
ohne Authorisierung des Volkes in Kraft gesetzten Verfassung. Nun betont man auf ebenso rechtlich unverbindliche Weise die Souveränität des Landes. Denn was heißt das praktisch? Der Geltungsbereich von EU- und nationalem Recht, also die Abgrenzung, wer, wann, was zu sagen hat, ist im Lissabon-Vertrag, also sozusagen der EU-Verfassung, deutlich geregelt. Den hat Ungarn unterschrieben und ratifiziert und dieser ist auch durch ein gültiges Referendum vom Volk bestätigt worden. Die territoriale Integrität ist ohnehin durch das Völkerrecht gedeckt.

 

Was will uns und den "Seinen" Orbán also sagen? Einen praktischen Nutzen kann die Formulierung für Orbán haben. Er kann und wird künftige EU-Entscheidungen allein mit Hinweis auf die nationale Verfassungslage ablehnen und bekämpfen können. Das ist nicht nur für die Aufrechterhaltung der Mär vom nationalen Freiheitskampf und des notorisch-pathologischen magyarischen Opfermythos` wichtig, sondern könnte vor allem dann überlebenswichtig werden, wenn EU-Strukturen irgendwann - oder sogar bald - "Form und Struktur" des Staates in Frage stellen, in dem sie vor allem Korruptions-Formen und Mafia-Strukturen meinen könnten, die Orbáns Kleptokratie kennzeichnen.

Deren Umbau, Neubau oder Abriss ist und bleibt natürlich letztlich Sache des ungarischen Volkes, genauso wie die Zusammensetzung des ungarischen Parlamentes, die EU kann durch Mittlesperrungen hier nur den Dünger entziehen. Bis die Ungarn zu diesem Wandel bereit sind, müssen sie feststellen, dass sie die Definition ihres Willens, ihr Land und ihre Verfassung kritiklos und unkontrolliert einem einzigen Mann und seiner Hybris überlassen haben.

red.


Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!

Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD mit einem Abo oder einer Spende. Infos hier!






 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854