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(c) Pester Lloyd / 43 - 2016    GESELLSCHAFT     27.10.2016

"Hat nichts mit Politik zu tun": Ungarn vor medialer Gleichschaltung

Nach der Übernahme der Népszabadság und Dutzender weiterer Titel durch die Firma eines Orbán-nahen Oligarchen, ist der Hunger der Regierungsstrategen nach weiteren Medien noch längst nicht gestillt. Die Opposition schäumt, die Regierungspartei weist jede Involvierung von sich. Beobachter sprechen bereits von Gleichschaltung der Medienlandschaft, ein starker Kampfbegriff, der aber immer schwerer widerlegbar wird. Ein Überblick.

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Grafik: www.9gag.com

Der Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, Lajos Kósa, findet es gut, dass "ungarische Medien in ungarischen Händen" bleiben, außerdem sollten die "Eigentümerstrukturen das Prinzip sicherstellen, dass die Medien über wichtige Themen, die die Nation betreffen, berichten." Mit dieser dem ungarischen Zeitgeist - und dem ungarischen Mediengesetz - entsprechenden Interpretation, äußerte sich Orbáns Fraktionschef zum gestern amtlich gewordenen Verkauf der Mediaworks an die Opimus Press. "Ein hoher Anteil nationalen Kapitals im Mediensektor ist wichtig in jedem Land und das bedeutet keinesfalls ein Mangel an Medienvielfalt", fuhr er fort.

 

Die börsennotierte Opimus Gruppe, Mutter der Opimus Press, die durch Mediaworks nicht nur die am 8. Oktober eingestellte Népszabadság übernahm, sondern dazu ein Dutzend durch ihre Quasi-Monopolstellung sehr einflussreiche Komitatszeitungen, das Manager Magazin, das einst angesehene Wirtschaftsblatt "Világgazdaság", Orbáns Lieblingszeitung "Nemzeti Sport" (Nationaler Sport) sowie weitere Yellow-Press-Magazine und die frühere Ringier-Druckerei, hat ihre größten Aktieneigner auf den Seychellen und in Nigeria sitzen sowie in einer Holding, die von Orbáns Strohmann und "Gutsverwalter", Lörinc Mészáros kontrolliert wird.

Dieser frühere Gasinstallateur, Bürgermeister von Orbáns Heimatort Felcsút und dort Präsident des örtlichen Fußballklubs, der heute eher im Straßen- und Fußballstadionbau aktiv ist, jüngst eine Hotelkette übernahm (und von der EU sanieren lässt), aber auch der Rinderzucht und dem Ackerbau fröhnt, sich in Finanzgeschäften auskennt und es binnen weniger Jahre zu einem der reichsten Ungarn brachte, ist nun also auch im Mediengeschäft angekommen. Er gilt nicht nur als als Orbáns Strohmann, quasi Gutsverwalter, er ist es.

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Orbán mit seinem Freund und Kupferstecher, Lörinc Mészáros, Foto: MTI

Dieser setzte den Geschäftsführer der regierungstreuen "Magyar Idök" (ein Substitut der zuvor auf irren Wegen erworbenen "Napi Gazdaság"), Gábor Liszkay und weitere Hofschreiber Orbáns umgehend an die Spitze von Mediaworks, das nun prüfen will, ob und wie man auch die Népszabadság weiterführt. Freilich werde sich der Verlag "keineswegs in die redaktionellen Inhalte seiner Titel" einmischen, man interessiere sich nur für das wirtschaftliche Wohlergehen der Gruppe. Natürlich. Das wird auch nicht nötig werden, wenn die Chefredaktion erst mit astreinen Fidesz-Propagandisten besetzt wurde. Wirtschaftliche Motive also, genauso wie beim Vorbesitzer, Heinrich Pecina von Vienna Capital Partners (VCP), der erst sagte, dass niemand die Zeitung kaufen wolle, dann aber reklamierte, dass man sie (Mediaworks) schnell verkaufen musste, weil es viele Interessenten gab, was kaufmännisch natürlich unlogisch ist, aber nur, wenn man die Business-Vita eines Heinrich Pecina nicht kennt.

Fraktionschef Kósa erläutert schlüssig, dass die Opimus Gruppe öffentlich gehandelt werden könne, weil sie ja an der Börse notiert sei, daher sei es "dumm", die Sache als "nahe zu Lörinc Mészáros" zu beschreiben. Für ihn sei es aber nicht vorstellbar, dass die Népszabadság, so sie denn wiedererstehe, "regierungsnah" wird. Zu der Platzierung der Orbánschen Hofschreiber bei Mediaworks meinte Kósa nur, dass es sich bei denen um "Medienmanager" handele, es sei branchenüblich, dass ein Verlag Manager eines anderen Verlages anheuere. "Ich habe keine Ahnung, was sie mit der Népszabadság vor haben, es ist eine Sache der Medien und hat überhaupt nichts mit uns zu tun."

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Proteste, aber keine Gegenkonzepte. Die Opposition verliert eine Stimme, die Gesellschaft einen kritischen Aufdecker. Foto: Népszabi

Unabhängige Beobachter sehen in dem Deal ein seit Sommer abgekartetes Spiel zwischen VCP und dem Orbán-Umfeld. Pecina wurde als unverdächtiger "ausländischer Investor" ins Spiel gebracht. Sein Auftrag: die Népszabadság kaufen und stilllegen und dann im Paket mit den Pannon Lapoks (den oben aufgezählten Titeln) an die Orbán-Günstlingsfirma verkaufen. Der Lohn: ein paar Milliarden Forint Gewinn in einem knappen halben Jahr.

43nepsziproteststrassburgDie Opposition, die - das muss man gerechterweise sagen, nicht in der Lage war, die Népszabadság zu halten, obwohl dazu 2014/15 Chancen bestanden - schäumt: Der Vorgang sei der unverfrorenste Angriff auf die Medienfreiheit im Lande, die sich Orbán bisher erlaubt habe.

Die EU-Fraktion der Grünen protestierte am Mittwoch in Straßburg gegen die politische Übernahme der Népszabadság. Von der EVP? Kam nichts.

Die DK von Ex-Premier Gyurcsány, im Amt selbst nicht gerade eine Leuchte in punkto Respekt vor den Medien gewesen, will die Sache nicht auf sich sitzen lassen und hat für den Fall eines Machtwechsels eine Enteignung Mészáros von seinem "auf barbarische Weise angeeigneten Medienimperium" angekündigt. Die in den USA beheimatete NGO Freedom House sieht einen "wachsenden Regierungseinfluss auf die Medienlandschaft", andere Kommentatoren sehen die ungarischen Medien mehr und mehr zu einem "Werkzeugkasten" für Orbáns politisches Handwerk verkümmern, das Wort "Gleichschaltung" taucht auf und lässt sich anhand der Fülle der Übernahmen auch immer weniger widerlegen.

Die Népszabadság war ein gewaltiger Meilenstein, aber eben nur einer von vielen. Mit Kleinkriegen á la
Klubrádió gibt man sich längst nicht mehr ab. Immerhin hat man einiges erreicht. Den einst regierungskritischen Sender TV2  (ehemals Pro7Sat1) hat man mit Taschenspielertricks übernommen, heute ist Rambo-Produzent und Orbán-Freund sowie Casino-Zar Vajna Herr im Hause. RTL Klub (Bertelsmann), einst medialer Staatsfeind Nr.1 wurde im Zuge eines Deals  ruhig gestellt, dem damals kritischen origo.hu (Magyar bzw. Deutsche Telekom) wurden auf Minister-Anruf die Zähne gezogen, das einst renommierte Wirtschaftsblatt Napi Gazdaság zum Regierungsorgan umgewandelt, wobei regelrechte Mafiastrukturen bekannt wurden.

Regional hat man sowieso alles im Griff, die Lokalblätter von Pannon Lapok (heute Mediaworks) marschierten publizistisch bereits im Fidesz-Gleichschritt und kommunal erfüllen die Dorfbürgermeister ihre Pflicht, in dem sie lokale Medien, so sie überhaupt widerspenstig sind, in den politischen und finanziellen Schwitzkasten nehmen. Nur mit dem einstigen Hausblatt "Magyar Nemzet" hat man derzeit noch einige Probleme, ein
Oligarch scherte außerplanmäßig aus. Aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Nicht zu vergessen, die totale Kontrolle, die man über den öffentlich-rechtlichen Rundunk übernommen hat, auch wenn man sich dort eher blamiert als reüssiert.

 

Der Hunger von Orbáns Medienstrategen scheint schier unstillbar. Nächster auf der Liste ist das Boulevardblatt Bors, das, nach "Blikk" (Ringier, noch) die zweithöchste Auflage im Lande hat, die starke Regionalzeitung "Kisalföld" für den Nordwesten des Landes sowie der Marktführer im Süden, die Délmagyarország. Im Hintergrund laufen bereits die ersten Ränke dazu, weiß das kleine Oppositionsblättchen "Magyar Narancs". Die Voraussetzungen sind dabei ganz ähnlich wie bei Mediaworks/Opimus. Herausgeber aller drei Zeitungen ist die Lapcom, registriert auf den Cayman Inseln. Die Medienbarone des Fidesz seien bereits nach London gereist, um die Details der Übernahme zu verhandeln.

Wie bekannt, ging die linke "Népszava" kürzlich an den schweizerischen Herausgeber des ungarischen "Playboy" Marquard. Es würde nicht wundern, wenn er diesen defizitären Titel bald weitergibt. Die HVG, der ungarische Spiegel, geht geräuschlos von Funke in die Hände einer ungarischen Firma über, über deren Hintergründe wenig bekannt ist. Erst gestern wurde bekannt, dass Orbáns Film-Rambo Vajna nun eine landesweite Reichweite mit seinen Rundfunkanstalten erreicht, Dank guter Connections zur Frequenz- und Medienaufsicht NMHH...

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Der skurril-windige “Geheimberater” Orbáns, Árpád Habóny (links) und der Regierungsbeauftragte für die Filmförderung, Hollywood-Produzent und Casino-Tycoon, Andy Vajna. Ihm gehören Radiosender und mit TV2 der zweitgrößte Privat-TV-Sender des Landes.

Danach bleibt - da man ja auch die Plakatwände verstaatlichten wird - nur noch der ungleich schwerer zu kontrollierende Online-Bereich. Portale wie index.hu, 444.hu, etliche weitere Online-Zeitungen und Blogs, können die Regierung durch ihre Aufdeckungen zwar ärgern, sind aber machttaktisch noch uninteressant, weil sie nicht zur bevorzugten Informationsquelle der Wählerklientel zählen. Ihr Glück.

Noch. Denn auch im Online-Sektor werden im Rahmen von “Notstandsgesetzen” bereits Szenarien ausgetüftelt, die eine Zensur des Internets “aus nationalen Sicherheitsinteressen” und unter dem Deckmantel des Kampfes gegen rechte Hetze durchspielen. Von russischen Verhältnissen gegenüber den Medien ist es nur ein kleiner Schritt zu türkischen und chinesischen. Womöglich braucht es für eine tatsächliche Gleichschaltung bald nur noch eines Knopfdruckes...

red. / m.s.

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