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(c) Pester Lloyd / 45 - 2016    POLITIK     10.11.2016

Rollenspiele: Orbán in London - 150.000 Ungarn als Brexit-Geiseln - Trump als "Befreier des Westens"

Die Gespräche Orbáns mit seiner britischen Amtskollegin legten die Absurdität des "Brexit" offen, der zu einem Interessenspoker ausarten wird. Beide Regierungschefs betonten dabei einmal mehr ihre Ignoranz gegenüber der europäischen Gemeinschaft. Für den in Britannien als etwas unappetitlich angesehenen Verbündeten Orbán, hatte May ein paar lauwarme Worte für seine Flüchtlingspolitik parat. Der ungarische Führer konnte es sich nicht verkneifen, dem Westen Trumps Wahlsieg noch einmal fett aufs Sandwich zu schmieren.

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Simply disgusting: Nicht nur, dass das Abschlecken von Staatenlenkern nach Breschnew aus dem diplomatischen Protokoll gefallen ist, Orbán führt den Handkuss auch noch falsch aus. Er gehört einhändig exekutiert, blebt dabei angedeutet, in jedem Fall ist der Blick in die Augen der Betörten unumgänglich. Foto: MTI

 

Bei seinem kurzfristig angesetzten Treffen mit der britischen Premierministerin Theresa May am Mittwoch in London, betonte Ungarns - von anderen westlichen Staatschef tunlichst gemiedenen - Regierungschef Orbán seinen Wunsch, dass in Folge des Brexit die "Rechte der im Vereinigten Köngreich lebenden Ungarn nicht beschnitten werden". Lies: dass sie bleiben könnten, wo sie sind. Die Stellungnahme der Downing Street, die sehr knapp ausfiel, zeigt dabei die ganze Absurdität, in der sich Großbritannien verfangen hat. Ein Sprecher Mays drückte aus, dass "die Premierministerin wünscht und erwartet, dass der Status von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich geschützt bleibt, wenn dasselbe für den Status britischer Bürger in der EU auch bleibt." Da stellt sich die Frage: Wozu dann der Brexit, dessen Kampagne ja auch gegen die Millionen "Fremdarbeiter" aus Polen, Ungarn etc. gefahren wurde?

Beim Treffen stellte sich ein weiteres Mal heraus, dass May diese Gastarbeiter quasi als Geiseln für die Austrittsverhandlungen nimmt, um beste Konditionen beim Zugang zum europäischen Binnen- und vor allem auch Kapitalmarkt (Londoner City!) aufrecht zu erhalten. Eine EU-Mitgliedschaft, nur ohne deren Pflichten, das ist, was der britischen Regierung offenbar vorschwebt...

Orbán, der - trotz eines
akuten Fachkräftemangels in einigen Schlüsselbranchen - mit einer Rückkehr Hunderttausender dann arbeitsloser junger, zudem weltoffener Ungarn zu Hause ein ziemliches Problem, wirtschaftlich, sozial, aber auch politisch und wahlarithmetisch hätte, fällt dabei die Rolle als Mittelsmann zwischen London und Brüssel zu. Je mehr er für die Briten rausholt, umso besser ergeht es seinen gastarbeitenden Landsleuten hinfort. Ungarn versucht sich hier gegenüber Polen, Slowaken, Tschechen, angeblichen Partnern, wieder einmal in die Pole Position zu setzen.

Offiziell leben und arbeiten derzeit rund 150.000 Ungarn auf der Insel, inoffiziell dürften es doppelt so viele sein. Orbán sagte auch zu, die Interessen der rund 700 in Ungarn tätigen britischen Unternehmen, die rund 50.000 Menschen beschäftigen, zu schützen. Dazu hat man kürzlich einen britisch-ungarischen Wirtschaftsrat gegründet.

May erklärte ihrem ungarischen Gast, dass man den Austrittsantrag nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrages Ende März 2017 stellen wird, aber bis zum "Verlassen eine aktive Rolle in der EU" zu spielen (sic!) gedenke. Im Rollenspiel ist ihr Gast ja bewandert.

Hinsichtlich der in der EU kritisierten Politik gegen Flüchtlinge, die Orbáns Ungarn fährt, betonte May das Recht der Länder, ihre Grenzen zu schützen, aber auch die Verantwortung dafür, nach Dublin-III zurückzuführende Flüchtlinge "zu akzeptieren". Grundsätzlich habe zu gelten, dass "sicherzustellen ist, dass Flüchtlinge im ersten sicheren Transitland unterbzubringen sind" und dass "wir zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftseinwanderern unterscheiden müssen". Orbán will zu diesem Behufe ja ein riesiges Konzentrationslager in der libyschen Wüste errichten lassen, May ging darauf nicht ein.

So nahe sich Großbritannien und Ungarn in ihrer egoistischen Haltung gegenüber der EU und ihrer repressiven Flüchtlingspolitik sein mögen, London, speziell die Downing Street, pflegt gegenüber der Orbán-Regierung einen gewissen, natürlich nur unterschwellig demonstrierten Ekel (disgusting = unappetitlich). Zum Einen wegen der plebejischen Auftritte Orbáns, die dem britischen Understatement und Formempfinden zuwiderlaufen, zum anderen aber auch, da man - als traditionsreiche, wenn auch etwas eingestaubte Demokratie - selbst in konservativen Kreisen wenig Verständnis für den Abbau demokratischer Grundprinzipien und die Einschränkung bürgerlicher und gesellschaftlicher Freiheiten und Selbstverständlichkeiten aufbringt.

 

Da nimmt es auch nicht Wunder, dass die Donwing Street Orbáns Äußerungen zu Trumps Wahlsieg unter den Teppich fallen ließ. Dieser meinte nämlich, in London, sozusagen "in Your face", anmerken zu müssen, dass es der Welt immer gut getan hätte, wenn "sich die Menschen selbst aus der Gefangenschaft zeitgeistiger ideologischer Trends befreit" hätte. Der Westen müsse in Trumps Wahlsieg eine Chance sehen, sich von "Ideologien, politischer Correctness und Moden" zu befreien, die "fern von der Realität" seien und "zurück auf die Erde zu kommen", um zu sehen "wie sie wirklich ist". Trump als Befreier des Westens und Orbán als Beschützer der Ostflanke Europas. Das ist die Realität? Weit haben wir es gebracht...

red. / ms.

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