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(c) Pester Lloyd / 46 - 2016    POLITIK     17.11.2016

"Terrorgefahr": Orbáns Kreml und andere Großprojekte werden Staatsgeheimnis

Alles über das Volk zu wissen, es aber zugleich nur mit den Informationen zu belästigen, die es wirklich zum Glücklichsein braucht, das ist eine der großen Errungenschaften der Regierung Orbán. Den Terroristen sei Dank, können in Zukunft die Zahlen und Fakten zu praktisch jedem Investitionsprojekt geheim bleiben, vom Regierungspalast bis zur Spielzeugeisenbahn, von der Metro bis zum Fußballstadion.

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Collage: http://okos-tojas.blog.hu/

 

Wieviel EU- und Steuergelder welche Unternehmen hie und da abzwacken, gehört natürlich nicht zum unbedingt erforderlichen Informationsangebot für den gemeinen Bürger, das regt nur unnötig auf. Gerade hat eine neue Studie belegt, wie frustriert die Ungarn darüber sind, dass sie nichts gegen Korruption (in Fidesz-Sprech: die Würdigung der Leistung patriotischer Unternehmer) unternehmen zu können. Es ist daher besser, die Untertanen erfahren gar nicht erst, was sie verstören könnte... Daher hatte man schon in der Vergangenheit die nur noch so genannte, weil von der EU geforderte "Informationsfreiheit" gründlich beschnitten. Nun kommt der Deckel drauf:

Zwei Gesetze wurden binnen einer Woche auf den Weg gebracht, die hinfort dafür sorgen werden, dass praktisch alle von der Regierung als "sicherheitsrelevant" eingestuften Investitionsprojekte für 30 Jahre einer totalen Geheimhaltung unterworfen werden. Innenminister Sándor Pintér hat dem am Mittwoch eingebrachten Gesetzentwurf sowohl die "nationale Sicherheit" als auch eine "Terrorgefahr" als Attribute, die eine Geheimhaltung rechtfertigen sollen, beigelegt.

Damit erledigt sich nicht nur das Recht von Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen, auf dem Wege des in Ungarn längst zu Unrecht diesen Namen tragenden Informationsfreiheitsgesetzes Auskunft über das finanzielle und administrative Gebaren von Behörden und staatlichen Unternehmen sowie deren privaten Auftragnehmern einzufordern. Auch der Rechtsweg wird zusammengestutzt.

Zwar könnte man noch klagen, den Richtern aber, die sich nun einmal an geltendes Recht halten müssen, sind die Hände gebunden. Selbst innerhalb staatlicher Behörden käme der Informationsaustausch zum Erliegen, denn der Rechnungshof würde nur noch geschwärzte Allgemeinplätze zugestellt bekommen, das Amt des Ministerpräsidenten oder die von ihm beauftragte Struktur könnte allein entscheiden, wer wann welche Informationen erhält - oder eben auch nicht.

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Pintérs Gesetzentwurf zielt zunächst vor allem auf Projekte, die direkt mit der Regierungsarbeit zusammenhängen, ist aber beliebig erweiterbar. Im Vordergrund steht dabei die Umsiedlung des Amtes des Ministerpräsidenten aus dem Parlamentsgebäude hinauf auf den Burgberg, wozu für rund 100 Millionen Euro ein ehemaliges Karmeliterkloster (siehe Foto, MTI), direkt zwischen dem Königsschloss und dem Präsidentensitz gelegen, aufwendig renoviert und umgebaut wird.

Die Gesamtkosten für weitere Umgestaltungen auf dem Burgberg sollen sich sogar auf 600 Millionen Euro belaufen, wobei man bemüht ist, mit Hinweis auf das Weltkulturerbe möglichst viele EU-Mittel zu generieren. Was die von der umfassenden Geheimhaltungsstrategie bei Abrechnungen hält, wird man bald erfahren. Der Umzug Orbáns in seinen "Kreml" sollte schon 2016 stattfinden, verzögert sich aber aufgrund des hohen Bauaufkommens auf historischem Grund und der vielen Extrawünsche hinsichtlich Sicherheit, Komfort und Prunk. Auch

Bereits in der Vorwoche hatte der Minister für Nationale Entwicklung Miklós Seszták ein Gesetz eingebracht, dass in Zukunft sämtliche Investitionsprojekte im Bereich Schiene, also Eisenbahn, Straßenbahnen, U-Bahnen, HÉV, aber auch die kleine Bimmelbahn in Orbáns Heimatort Felcsút zu "Geheimsachen" erklärt, schließlich handelt es sich um "strategische, sicherheitsrelevante Infrastruktur", die man nicht zur leichten Beute von Terroristen, die ja bekanntlich aus allen Himmelsrichtungen nach Ungarn strömen, werden lassen will. Auf diese Weise werden freilich auch Umweltstudien geheim gehalten, die Kostenaufschlüsselung und Auftragsvergabe sowieso. Einsprüche von Bürgern, wie kürzlich
unverschämterweise in Felcsút geschehen, könnten dann mit Hinweis auf den Schutz des Abendlandes unbearbeitet abgewiesen werden.

Um hier mal eine Kennziffer zu benennen: in der EU-Finanzierungsphase bis 2020 will Ungarn
rund 4 Milliarden Euro in seine Schieneninfrastruktur investieren. Werden davon also nur 5% durch "Umwegrentabilität" umgeleitet, fänden mirnichtsdirnichts 200 Millionen Euro eine neue Verwendung. Die gesetzgeberische Motivation der Regierungspartei lässt sich so leicht erklären.

Das Tabakgesetz 2013, bei dem die Öffentlichkeit noch zusehen konnte, wie die lohnenswerten Trafik-Lizenzen unter Fidesz-Leuten aufgeteilt wurde, bildete den Auftakt zur
Beschneidung des Informationsfreiheitsgesetzes, seitdem erfuhr es weiteres Tuning. 2015 hatte die Regierung weitere wichtige Schritte unternommen, um die antiungarische Schnüffelei von Soros-NGO´s oder neugierigen Bürgern zu erschweren. "Übertrieben", die "Arbeitsabläufe behindernde" Anfragen können die Behörden seit dem abschmettern und selbst entscheiden, was sie als berichtenswert erachten. Außerdem bitten sie den Anfragenden zur Kasse, für Kopier- und Bearbeitungskosten. Selbstredend unterliegt auch Projekt AKW Paks II einer 30jährigen Geheimhaltungspflicht, die russischen Finanziers mussten darum nicht lange bitten...

 

Umgekehrt unternimmt die Regierung eine Menge, um dem Volk dessen Wünsche quasi von den Lippen abzulesen. Die Geheimdienste, dabei besonders Orbáns "Privatarmee", das TÉK, wurde mit weitgehenden, fast Orwellschen Vollmachten ausgestattet, der Verfassungsschutz wiederum darf fast alle Informationen über Bürger, die nur irgendwo verfügbar sind, zusammenführen, ohne dafür einen Anlass zu haben oder richterlich kontrolliert zu werden. "Kontrolleur" der Geheimdienste ist Kanzleramtschef János Lázár, Orbáns Exekutor. Die Observation von öffentlich Bediensteten ist schon seit 2011 ein Routinevorgang, auch hier: anlasslos. Das Verfassungsericht hatte zwar noch kurz etwas dagegen, doch das wurde auf dem kurzen Dienstweg entmachtet.

Ebenfalls bereits weit gediehen, ist die Überwachung des Internets. Bekämpfung von illegalem Glücksspiel und Kampf gegen Hetze dienen hier als Vorwand, die Bürger bespitzeln zu können.
Mehr zu diesem Thema hier. Wie auch die EU beim Aufbau eines Big-Brother-Staates Ungarn hilft und wie weit der Kontrollwahn des Orbán-Regimes geht, finden Sie in diesem Beitrag zusammengefasst.

red.

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