Hauptmenü

 

Unabhängiger Journalismus braucht die Hilfe seiner Leserinnen und Leser! - Was wir beim PESTER LLOYD vorhaben und wie Sie uns helfen können...

 

AUB6-PESTERLLOYD BANNER2

 

(c) Pester Lloyd / 01 - 2017    POLITIK     05.01.2017

Flüchtlingsbilanz 2016: Ungarn bleibt im "Einwanderungsnotstand"

Kriege, Aleppo kommen nicht vor. Die Flüchtlingsbilanz, die Ungarn jetzt für 2016 präsentierte, hat etwas Surreales. Sie wird technisiert, politisch zurecht gebogen und ist voll von fragwürdigen Daten. Selbst der Orbán-Regierung scheint klar: Kein Zaun der Welt wird Ungarn und Europa vor einem weiteren Ansturm Flüchtender schützen, wenn sich die Umstände nicht ändern. Weiter gebaut wird trotzdem und die Regierung verhindert weiterhin eine gemeinsame EU-Politik.

1701Grenzbilanz


 

Es ist Machtkalkül, die Angst vor einer "Invasion von kulturfremden Eindringlingen" beim Volke hochzuhalten, - auch wenn schon 2015, als mehr als eine halbe Million Menschen "über Ungarn herfielen" (Orbán), so gut wie keiner der Flüchtlinge in Ungarn bleiben wollte. Dennoch baute man einen Eisernen Vorhang, der jedoch so löchrig und ineffizient zu sein scheint, dass Ungarns oberster "Katastrophenschützer", Orbáns Sicherheitsberater Bakondi eine erneute "Verschärfung der Lage 2017" ankündigt.

Das muß er natürlich, denn anders ließen sich die martialischen und
sündteuren Ausstaffierungen der ungarischen Grenzanlagen und -truppen kaum rechtfertigen. Die Zahlen die Bakondi verkündet, sollen gleichzeitig belegen, dass der "Einwanderungsnotstand", in dem sich Ungarn seit Sommer 2015 befindet - bzw. - in dem das Land von seiner Regierung gehalten wird, um menschenrechtswidrige Sondergesetze zu rechtfertigen, nicht nachlässt, die Maßnahmen der Regierung daher angemessen und auch erfolgreich seien.

"Illegale Einwanderung (Regierungssprech für Flüchtlingsbewegungen, Anm.) wird ein signifikanter Faktor bleiben und die Situation könnte sich 2017 wieder verschlechtern", sagte Bakondi auf einer Pressekonferenz am Mittwoch in Budapest. Damit würde, auch das eine Pflichtformel für jeden Regierungsvertreter, "die terroristische Bedrohung in den Transit- und Zielländern" steigen. Krieg, die Bilder von Aleppo spielen bei Bakondi keine Rolle. Er legte auch keine Zahlen oder Fakten über potentielle Gefährder oder gar gesuchte Terroristen unter den Aufgegriffenen vor, so bleibt die vage Behauptung.

"Sicherheitsexperten" gehen davon aus, dass sich IS-Kämpfer und "Dshihad-Rückkehrer" vermehrt unter die Flüchtlinge mischen, je mehr der IS im Irak, in Syrien etc. an Terrain verliert. Diese lassen sich nicht identifizieren? Das scheint zu viel Arbeit, man macht es sich leichter.

Bakondi: "In dieser Situation ist Ungarns Standpunkt klar: die EU-Außengrenzen müssen geschützt (lies: geschlossen) werden und es sind Hotspots zur Evaluierung von Asylanträgen außerhalb der EU einzurichten."

Das Resümée für 2016 sieht so aus: Sowohl die Balkanroute über Griechenland, Mazedonien/Serbien nach Ungarn als auch die Meeresroute über Libyen gen Italien bleiben die zwei Hauptkanäle für "illegale Einwanderung". Erstere ebbte 2016 ab, Letztere gewann an Bedeutung. Allerdings entwickelten sich gleichzeitig "Alternativrouten", u.a. durch Bulgarien, entlang der Grenzen der Türkei und Griechenlands sowie über Montenegro, Rumänien und die Ukraine. Dort tauchten "noch keine Massen auf", allerdings könne sich das ändern.

Die EU-Maßnahmen seien "nicht ausreichend, um illegale Einwanderung zu stopppen", es gäbe "bis heute keine gemeinsame EU-Grenzschutzeinheiten, weder zu Lande, noch zu Wasser", so Bakondi, der auch hier wieder hinzufügen musste, dass "Gewaltverbrechen und Terror dadurch ansteigen" würden. Kein Wort freilich, dass es vor allem Ungarn ist, das bisher jede gemeinsame EU-Flüchtlings- und somit auch EU-Grenzpolitik torpediert.

Während laut UN 2016 in der EU 361.000 Menschen "illegal" einreisten, 200.000 über Italien, der Rest über die griechischen Inseln, schafften es vor der erneuten Verschärfung des Grenz- und Ausweisungsregimes noch 17.800 Menschen nach Ungarn. Seitdem hätten nur 470 das Land illegal betreten, wurden also außerhalb des 8-km-Streifens ab der serbisch-ungarischen Grenze aufgegriffen, innerhalb dessen Ungarn sofortige Rückschiebungen vornimmt, auch wenn diese gegen EU- und Völkerrecht verstoßen.

Laut Orbáns Sicherheitschef wurden 10.600 Personen "daran gehindert, den Sicherheitszaun zu durchbrechen" und 8.300 wurden "innerhalb der 8-km-Zone zurückbegleitet", womit Bakondi sanft umschreibt, was in der Realtiät mehr ein "zurückprügeln" der Menschen ist. Man kann sich die Dunkelziffern in diesem System ungefähr ausmalen, womit klar ist, dass es mehrere tausend Personen auch trotz des ungarischen Grenzregimes in die EU geschafft haben dürften.

Bakondi erklärte, dass die Grenzübertritte von Rumänien und der Ukraine "signifkant angestiegen" seien, wollte aber keine konkreten Zahlen nennen.

An den Schleusen am Grenzzaun wurden - nach offiziellen Angaben - 29.400 Aslyanträge eröffnet, wovon 438 positiv beschieden wurden, 4.360 wurden abgelehnt, in 48.885 Fällen wurden die Verfahren eingestellt, weil die "fraglichen Personen verschwunden" waren. Dabei handelte es sich zum größten Teil um Altfälle aus 2015, was die Differenz zu den gestellten Anträgen 2016 erklärt, so Bakondi.

Auch die "ethnische Zusammensetzung" der Asylsuchenden hätte sich verändert, so Bakondi: 18.000 kamen aus Afghanistan, 4.900 aus Syrien, 3.800 aus Pakistan, 3.500 aus dem Irak, 1.300 aus Iran.

Gerade einmal 829 Flüchtlinge beherbergt Ungarn derzeit "in bewachten Unterkünften", also Internierungslagern, teils in primitiven Zelten, die Bakondi als "offene Lager" betitelt. Diese würden "ihr Gerichtsurteil" bei einem der Sondergerichte für illegale Einwanderung "erwarten". Weitere 100 Personen würden in einer der "Transitzonen", einem von Ungarn einseitig deklarierten, rechtsfreien "Niemandsland" warten - auf die Gnade, vorgelassen zu werden. Angesichts dieser Behandlung, sollte die EU freiwillig darauf verzichten, Flüchtlinge nach Ungarn umzuverteilen....

 

Journalisten fragten nach, warum Anfang der Woche mehr als 60 "Grenzjäger" urplötzlich in Krankenhäuser eingeliefert wurden. Wie sich herausstellte, handelte es sich jedoch weder um Terror, noch um einen Flüchtlingsaufstand. Die Grenzschützer haben sich lediglich eine deftige Lebensmittelvergiftung eingefangen, was zeigt wie viel sie der Regierung wert sind...

Das von Regierungs-Bla-Bla bereinigte Fazit der Flüchtlingsbilanz 2016 lautet: kein Zaun der Welt wird Ungarn und Europa vor einem weiteren Ansturm Flüchtender schützen, wenn die Zustände in den Herkunftsländern nicht lebenswert werden und sich der Strom der Flüchtenden wegen äußerer Umstände wieder verstärkt über den Balkan ergießt. Konkret und aktuell fürchtet sich Ungarn vor einer Aufkündigung des Türkei-Deals, mittel- und langfristig ist es jedoch die kriegerische Politik sowohl der Großmächte als auch der regionalen Player im Nahen und Mittleren Osten und der Kriegsgewinnler in Europa selbst, der die Sicherheit Europas am stärksten gefährdet. Wie gesagt: kein Zaun, nicht einmal ein ungarischer, wird daran etwas ändern.
Gebaut werden sie trotzdem weiter...

red.

Den Benachteiligten eine Stimme...

ineigenersache (Andere)


Der PESTER LLOYD hat sich für 2017 viel vorgenommen.
Was,
das lesen Sie hier.

Unser Hauptziel bleibt, denen eine Stimme zu geben, die für ein demokratisches und europäisches Ungarn einstehen und auch jenen, die im Kampf der Mächtigen übergangen werden. Denn was in Ungarn geschieht, geht uns alle an, werden hier doch Präzedenzen geschaffen, die ganz Europa in Frage stellen könnten.

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns auf unserem Weg unterstützen, durch eine Spende oder ein virtuelles Abo. Weitere Infos. Direktkontakt: online@pesterlloyd.net







 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

 

 

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854