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(c) Pester Lloyd / 06 - 2017    POLITIK      10.02.2017

Feind Europa: Orbán schwört Ungarn auf nationalen Überlebenskampf ein

"Fünf große Angriffe" seien abzuwehren, um eine erfolgreiche "nationale Politik" zu bestreiten. Das erklärte Ungarns Premier Orbán bei einer Art Rede zur Lage der Nation am Freitag am Burgbasar (Hier die Rede in der offiziellen Übersetzung ins Englische), die von Ferne mit einem Pfeifkonzert Oppositioneller bedacht wurde. Mit suggestiven Fragestellungen versucht er, die Feinde Ungarns zu demaskieren und sich und seine Partei als einzig denkbaren Beschützer der Nation zu präsentieren. Die Opposition kommentierte die Rede als billige Show, jenseits aller Realität.

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Orbán inszenierte sich vor dem gewohnten Fahnenmeer am aufwendig durch Günstlingsfirmen renovierten Burgbasar, am Fuße seines künftigen Amtssitzes auf dem Burgberg. Abgeschottet durch massive Sicherheitsmaßnahmen lauschten geladene Gäste seinen Ausführungen. Die Szenerie so wirklichkeitsfremd wie Orbáns Rede...

1. Energiepolitik

Zunächst gelte es, 2017 die Senkung der Wohnnebenkosten gegenüber Brüssel zu verteidigen. Die EU woll sich einmischen und eine "unabhängige Energiepolitik" Ungarns verhindern, die eine "zentrale Kontrolle" und das "Recht der Preisgestaltung" beinhaltet. Es stellt sich die Frage, ob das Land die "günstigen Energiepreise behalten will" oder man die Energiepreisbildung "wieder in die Hände der Multis überträgt"?

Orbáns Energiepreissenkungen sind für das Volk bei weitem nicht so vorteilhaft, wie die Regierungspartei propagiert. Zunächst hat man die massiven Senkungen der Vorjahre nur zu einem geringen Betrag an die Endkunden weitergegeben, so dass die Ungarn heute im Verhältnis zum Einkommen mehr zahlen als ihre Nachbarn. Die Preisdeckelungen und die massiven Verstaatlichungen haben außerdem zu einem Investitionsdefizit geführt, das die Versorgungssicherheit gefährdet. Gleichzeitig verdienen regierungsnahe Kreise Millionen über staatlich unterstützte Geschäfte auf dem grauen Energiemarkt. Die EU hat nichts gegen Preissenkungen, wohl jedoch gegen Preisdiktate und Eingriffe in die Wettbewerbsfreiheit, wie sie in den Verträgen festgeschrieben ist. Diese wiederum würde gewisse Kreise bei ihren Geschäften stören, weshalb sich die oben gestellte Frage selbst beantwortet.

2. Flüchtlingsproblematik

 

Orbán sieht ein "unslöbares Problem" für Europa, so lange "illegale Einwanderung" nicht gestoppt werde. Sie bringe Terror und Kriminalität und das kulturelle Gleichgewicht der Völker durcheinander. Diese schrecklichen Tatsachen will man in Brüssel nicht sehen. Soll man Migranten also frei herum laufen lassen oder sie verhaften bis ihr Fall endgültig behandelt worden ist, fragt Orbán. Eine rhethorische Frage, denn die Sache ist längst entschieden. Man solle Ungarns Beispiel folgen, Flüchtlinge, auch schon hier anwesende, raus aus Europa, in der Wüste Libyens in bewachte Lager sperren und dort die Verfahren abhalten. Wer Interesse an Einwanderern habe, können sie sich dort ja abholen...

3. Zivilgesellschaft

Laut Orbán wollen "ausländische Organisationen die ungarische Politik beeinflussen".
NGO´s, von Soros finanziert, die "hunderttausende Flüchtlinge und somit Terror ins Land" holen. Diese seien jedoch nicht befugt, weil nicht gewählt, erklärt Orbán in völliger Verkennung der Versammlungsfreiheit und unter Ignoranz der Tatsache, dass es sich - wenn auch aus dem Ausland kofinanziert - um ungarische Bürger handelt, die sich bei Amnesty, Greenpeace etc. organisieren. Wie auch immer, "wir haben bewiesen, dass wir unser Schicksal selbst in die Hände nehmen können", daher die Frage: Sollen wir fremden Einfluss in unserem Land zulassen?

Auch diese Sache ist entschieden: Orbán wird per Gesetz ausgewählte NGO´s (freilich nur jene, die ihm ein Dorn im Auge sind) zur Offenlegung ihrer Finanzierungsquellen zwingen sowie deren Leiter zur Deklaration ihrer Vermögen. Ab einer bestimmten "Fremdfinanzierungsquote" droht die Suspendierung der Tätigkeit, so zumindest der Plan. Gegen mehr Transparenz hat auch die Opposition nichts einzuwenden, fordert diese aber für alle Zivilorganisationen,
die regierungsnahen, wie das CÖF, eingeschlossen.

4. Steuerpolitik

Laut Orbán wollen die "Brüsseler Bürokraten", also die EU, immer mehr Kompetenzen von den Mitgliedsländern auf Gemeinschaftsebene verlegen, u.a. auch die Steuerpolitik soll irgendwann vereinheitlicht werden, bestimmte Grunregeln gibt es schon heute. Angeblich, so Orbán, plant die EU bereits Schritte, die "radikalen Steuersenkungen", die natürlich nur
zum Wohle des gesamten Volkes sind, zu bekämpfen. Konkretes gibt es dazu zwar noch nicht, auch wenn man sich in Brüssel nicht darüber freut, dass Orbán einen innereuropäischen Steuerwettlauf anzettelt und Steuersätze wie in Off-Shore-Paradiesen anbietet, die hinentrum durch erhöhte Verbrauchssteuern gegenfinanziert werden müssen. Orbán stellt aber schon mal die Frage in den Raum, ob die Steuerpolitik nationale Souveräntität bleiben soll. Wenn ja, müsste man das in die Verfassung schreiben, was wohl gegen EU-Recht verstieße.

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5. Arbeitsplatzsubventionen

In ihrer planwirtschaftlich-staatskapitalistischen Besessenheit finanziert die ungarische Regierung die Schaffung neuer Arbeitsplätze mit massiven, stetig anwachsenden Subventionen. So
zahlt der Staat bis zu vier Jahre einen neuen Arbeitsplatz. Die Zuschüsse hat man gerade nochmals erhöht, vor allem auch für Günstlingsfirmen. Die EU sieht solche Subventionen als wettbewerbsverzerrend, also nicht so gern, schaut aber darüber hinweg, wenn die Sache im Rahmen bleibt. Ungarn hat diesen längst gesprengt. Orbán fragt sein Volk nun, ob man das Recht, dass "der Staat Firmen bei der Schaffung von Arbeitsplätzen unterstützt", behalten oder die Entscheidung Brüssel überlassen wolle.

Auch diese letzte Frage beantwortet sich beim Blick in die von Ungarn ratifizierten EU-Verträge von selbst. Orbán tut so als seien diese Regeln neu, dabei hat er sie selbst mit ausgehandelt als er 1998-2002 schon einmal Regierungschef war. Ihm gehe es in allen fünf Punkten um das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Es sei ein Kampf auf Leben und Tod: Nationen gegen Globalisierer, Souveränität gegen Unionisten.

2016 sei gekennzeichnet gewesen von der "Arroganz der westlichen Führer", eines falschen Liberalismus und einer Seuche namens "political correctness", derer die Menschen an vielen Orten müde seien. Der Brexit und der Ausgang der Wahlen in den USA seien klare Anzeichen dafür, dass sich der Wind dreht. Auf sein Volk zu hören sei nicht populistisch. Der Globalismus habe versagt, die Menschen rebellierten gegen ihn und forderten ihre Nationen zurück.

Ungarn sei auf dem richtigen Weg und werde ihn weitergehen. Hier habe man diese Rebellion bereits 2010 gehabt (die ihn an die Macht brachte) und in den sieben Jahren sein "eigenes politisches und wirtschaftliches System errichtet". Früher hatte man Regierungen des Selbstmitleids und des Scheiterns, heute eine des Handelns. Orbán lieferte sodann einen bunten Blumenstrauß seiner vermeintlichen Erfolge. Sein System sei ganz simpel, wer ordentlich arbeitet und sich an die Gesetze hält, hätte in Ungarn ein schönes Leben. Noch direkter kann man 3,5 Millionen an und unter der Armutsgrenze eigentlich nicht ins Gesicht spucken...

Orbán hatte noch eine Botschaft an den Westen: "Natürlich gewähren wir echten Flüchtlingen Zuflucht: Deutschen, Holländern, Franzosen, Italienern, verängstigten Politikern und Journalisten, Christen, die aus ihrem Land flüchten müssen, Menschen, die hier bei uns das Europa wiederfinden wollen, das sie zu Hause verloren haben..."

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Die Reaktionen der Oppositionsparteien in Stichworten

 

MSZP: Regierung realitätsfern, man brauche sich nur die Schlangen an den Suppenküchen ansehen, dann sehe man die "Erfolge" der Orbánschen Wirtschaftspolitik. Die Energiepreise gehörten dem Weltmarkt angepasst, dort seien sie viel niedriger. Warum habe er nichts zum Zustand der ungarischen Krankenhäuser gesagt?

Demokratische Koalition: Orbán solle aufhören, die EU anzugreifen und lieber seinen Job in Ungarn machen. Eine verpfuschte Bildungspolitik und ausufernde Korruption, ein abgeschaffter Sozialstaat könne er nicht Brüssel anlasten.

Jobbik: Orbán hetze zwar mit Herzenslust gegen seine politischen Gegner, aber die wirklichen Probleme spricht er nicht an. Es wird schon einen Grund haben, warum er weder die Bildungs- noch die Gesundheitspolitik mit einem Wort erwähnte.

LMP: Orbáns Unabhängigkeitskampf sehe so aus, dass er zwar gegen Brüssel und die Wall Street wettert, sich aber den russischen und ungarischen Oligarchen unterordnet. Die Jugend habe das Land verlassen, weil sie hier keine Perspektive sehe. Wenn die Regierung ein Referendum zum Thema Flüchtlinge zulassen konnte, könne sie das auch zum Thema Olympia.

Együtt: Die Kleinpartei hielt in der Nähe des Burgbasars unterhalb des Schlosses eine Demonstration mit ca. 100 Teilnehmern ab, die Orbán mit Trillerpfeifen auspfiffen. Együtt-Chef Juhász begründete die Aktion damit, dass es heute weder sinnvoll, noch möglich ist, mit Orbán wirklich zu kommunizieren.

Dialog für Ungarn: Orbán mache eine Politik "der Bestrafung der Armen".

red.


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